VwGH Ro 2022/07/0006

VwGHRo 2022/07/000619.9.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tichy, über die Revision der Kärntner Landesregierung, vertreten durch MMag. Dr. Claus Casati, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1b/17, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 19. Oktober 2021, Zl. KLVwG‑1457/6/2021, betreffend ein aufsichtsbehördliches Verfahren nach der Kärntner Abfallwirtschaftsordnung 2004 (mitbeteiligte Partei: Abfallwirtschaftsverband S, vertreten durch Dr. Walter Brunner, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Villacher Straße 1A/VII), den Beschluss gefasst:

Normen

AWO Krnt 1994 §42 Abs2
AWO Krnt 1994 §43 Abs1
B-VG Art133 Abs4
B-VG Art133 Abs5
B-VG Art141
B-VG Art141 Abs1 litb
B-VG Art141 Abs1 litj
GdO Allg Krnt 1998
GdO Allg Krnt 1998 §21 Abs7
GdO Allg Krnt 1998 §84a Abs1
PflegeG Kärnten 2022
SchulG Krnt 2000 §8 Abs2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs3
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RO2022070006.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Das Land Kärnten hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1.1. Die mitbeteiligte Partei ist ein Abfallwirtschaftsverband nach dem 9. Abschnitt der Kärntner Abfallwirtschaftsordnung 2004 (K‑AWO), dem 25 Gemeinden angehören.

2 1.2. Im Anschluss an die allgemeine Gemeinderatswahl 2021 wandte sich der Geschäftsführer der mitbeteiligten Partei am 12. April 2021 an die zuständige Abteilung im Amt der Kärntner Landesregierung mit dem Ersuchen um Hinweise dafür, wie der neue Vorstand im Hinblick auf die Zuordnung der in den Mitgliedsgemeinden jeweils angetretenen Namenslisten zu besetzen sei. Dazu legte er eine tabellarische Aufstellung der im Verbandsgebiet bei der Gemeinderatswahl abgegebenen Stimmen und deren Zuordnung zu SPÖ, ÖVP, FPÖ, GRÜN, NEOS und 22 weiteren, jeweils nur in einer Gemeinde angetretenen Parteien/Namenslisten vor, aus der sich unter Anwendung des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens für fünf Mandate eine Verteilung von SPÖ 3, ÖVP 1 und FPÖ 1 ergab.

3 Die belangte Behörde erteilte daraufhin am 14. April 2021 die Rechtsauskunft, dass die dargestellte Berechnung plausibel erscheine und auch der durch die Behörde errechneten Mandatsverteilung entspreche. Die Bildung einer Verbandspartei oder der Anschluss an eine von Gesetzes wegen gebildete Gemeindeverbandspartei, wie dies für andere Gemeindeverbände erforderlich sei, sei nach der K‑AWO nicht vorgesehen.

4 In weiterer Folge ersuchte der Geschäftsführer der mitbeteiligten Partei um Prüfung, ob die Stimmen der in der Gemeinde R angetretenen Liste „Team X Y ‑ Volkspartei und Parteifreie“ (insbesondere angesichts des Namensbestandteils „Volkspartei“) zu den ÖVP‑Stimmen hinzugezählt werden könne. In diesem Fall würde sich eine andere Mandatsverteilung für den Vorstand (nämlich SPÖ 2, ÖVP 2 und FPÖ 1) ergeben. Hinsichtlich der übrigen Namenslisten würde eine Hinzurechnung zu anderen Parteien keine Änderung mehr in der Mandatsverteilung für den Vorstand bewirken.

5 Darauf antwortete die belangte Behörde, dass der Namensbestandteil „und Parteifreie“ darauf schließen lasse, dass eine gemeinschaftliche Kandidatur vorliege. Die Zuordnung von Stimmen zu einer Verbandspartei sei aber nur vorzunehmen, wenn sich die Zugehörigkeit zu einer Partei eindeutig erkennen lasse. Es sei daher keine Änderung in der Berechnung vorzunehmen und die Mandatsverteilung im Sinne der ursprünglichen Tabelle nach Möglichkeit umzusetzen.

6 1.3. Bei der konstituierenden Sitzung des Verbandsrates der mitbeteiligten Partei am 31. Mai 2021 erfolgte unter Tagesordnungspunkt 3 die Wahl ihres Vorstandes. Dabei wurde zunächst ein Wahlvorschlag zur Abstimmung gebracht, der einer Verteilung der Vorstandsmitglieder auf SPÖ 3, ÖVP 1 und FPÖ 1 entsprach. Dieser Wahlvorschlag erhielt „nach eingehenden Diskussionen“ nicht die erforderliche einfache Mehrheit der Mitglieder des Verbandsrates. Daraufhin wurde ein zweiter Wahlvorschlag zur Abstimmung gebracht, der einer Verteilung der Vorstandsmitglieder auf SPÖ 2, ÖVP 2 und FPÖ 1 entsprach. Dieser Vorschlag wurde von den Mitgliedern des Verbandsrates mehrheitlich angenommen.

7 1.4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 24. Juni 2021 wurde der in der konstituierenden Sitzung des Verbandsrates vom 31. Mai 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 3 gefasste Beschluss im Zusammenhang mit der Besetzung des neuen Vorstandes (zweiter Wahlvorschlag) gemäß § 53 Abs. 1 K‑AWO iVm §§ 96 und 100 Kärntner Allgemeine Gemeindeordnung (K‑AGO) wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben.

8 Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der angenommene (zweite) Wahlvorschlag mit der Verteilung SPÖ 2, ÖVP 2 und FPÖ 1 die verhältnismäßige Zusammensetzung der in den Gemeindevertretungen der verbandsangehörigen Gemeinden vertretenen politischen Parteien nicht berücksichtige und daher nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 43 Abs. 1 K‑AWO entspreche.

9 1.5. Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde an das Verwaltungsgericht.

10 1.6. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht dieser Beschwerde Folge und hob den angefochtenen Bescheid auf. Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig sei.

11 Begründend erwog das Verwaltungsgericht zunächst, die Bestimmung des § 43 Abs. 1 K‑AWO, wonach bei der Zusammensetzung des Vorstandes die verhältnismäßige Zusammensetzung der in den Gemeindevertretungen der verbandsangehörigen Gemeinden vertretenen politischen Parteien nach Möglichkeit zu berücksichtigen sei, sei im Lichte der bundesverfassungsgesetzlichen Vorgabe des Art. 116a Abs. 3 B‑VG nach demokratischen Grundsätzen zu sehen bzw. zu interpretieren. Weder in § 43 K‑AWO noch in der K‑AGO werde der Begriff „politische Parteien“ definiert, in der K‑AGO werde nur die „Gemeinderatspartei (Fraktion)“ genannt.

Die Verordnung der Kärntner Landesregierung über die Organisation von Gemeindeverbänden nach Bundesrecht (Bundes‑Gemeindeverbandsorganisationsvorschriften), LGBl. Nr. 7/1988, enthalte in § 4 Abs. 2 eine Bestimmung, wonach Mitglieder der Verbandsversammlung, die Gemeinderatsparteien mit jeweils derselben Bezeichnung angehörten, eine Gemeindeverbandspartei bildeten und die übrigen Mitglieder der Verbandsversammlung in der konstituierenden Sitzung aufzufordern seien, Gemeindeverbandsparteien zu bilden oder mitzuteilen, welcher der Gemeindeverbandsparteien sie sich anschließen wollten. Aus Sicht des Verwaltungsgerichtes sei diese Bestimmung auf die Bildung von Gemeindeverbänden in den Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches des Landes sowie des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden analog anzuwenden. Es sei schlüssig und nachvollziehbar, dass dieses Procedere im gegenständlichen Fall eingehalten worden sei. Auch die Landes‑ und Gemeindewahlbehörden hätten die betreffende Namensliste vor und nach der Gemeinderatswahl im Sinne der Gemeinderatspartei (Fraktion) der ÖVP zugerechnet.

Sodann führte das Verwaltungsgericht hingegen aus, dass der Vergleich mit Regelungen zur Vorstandswahl in anderen Gemeindeverbänden (konkret Sozialhilfeverbänden nach § 73 Abs. 2 Kärntner Mindestsicherungsgesetz und Schulgemeindeverbänden nach § 8 Abs. 2 Kärntner Schulgesetz, die jeweils § 4 Abs. 2 der Bundes‑Gemeindeverbandsorganisationsvorschriften im Wesentlichen entsprechen) nicht zwingend geboten sei, weil § 43 Abs. 1 K‑AWO eine Vorgangsweise wie dort gerade nicht festlege. Jedoch könne daraus auch nicht abgeleitet werden, dass für die Zusammensetzung des Verbandsrates eines Abfallwirtschaftsverbandes und die Wahl des Vorstandes dieses Gremiums eine der Bildung der genannten Gemeindeverbände angelehnte bzw. angeglichene Vorgangsweise unzulässig sei.

Die Nichtangleichung des § 43 K‑AWO an diese Regelungen könne nicht dazu führen, dass damit eine vom Verbandsrat nach demokratischen Grundsätzen entschiedene Vorgangsweise für unzulässig erklärt werde, wenn die bezughabende Gesetzesbestimmung keine konkrete Vorgangsweise zum Ausdruck bringe oder vorschreibe, sondern lediglich die Anleitung enthalte, das Wahlergebnis der abgehaltenen Gemeinderatswahlen „nach Möglichkeit“ zu berücksichtigen. Diese Formulierung gestehe aus Sicht des Verwaltungsgerichtes dem Verbandsrat einen erheblichen Freiraum zu, die Zusammensetzung des Vorstandes auch nach dem von den Mitgliedern des Verbandsrates mehrheitlich zustande gekommenen Beschluss, eine dem Wahlmodus anderer Gemeindeverbände vergleichbare Vorgangsweise anzuwenden, zu bestimmen, zumal ansonsten die Autonomie des Verbandes sowie der verbandsangehörigen Gemeinden verletzt wäre.

Da sich die betreffende Namensliste im verfahrensgegenständlichen Fall unwidersprochen auch innerhalb ihres Gemeinderates der politischen Partei der ÖVP zugehörig deklariert habe, sei naturgemäß davon auszugehen, dass sich die Vertreter dieser Namensliste auch innerhalb des mit Mandataren der verbandsangehörigen Gemeinden zu beschickenden Verbandsrates als dieser Partei angeschlossen erklären und auf diese Weise das „nach Möglichkeit“ zu berücksichtigende Verhältnis der im jeweiligen Gemeinderat vertretenen politischen Parteien als Basis für die Zuordnung der zu wählenden Vorstandsmitglieder hergestellt sei.

12 Am Ende seines Erkenntnisses führte das Verwaltungsgericht schließlich aus, dass die belangte Behörde gemäß § 100 iVm § 96 K‑AGO zwar befugt sei, rechtskräftige Bescheide sowie Beschlüsse oder sonstige Maßnahmen, die den Wirkungsbereich überschritten oder Gesetze oder Verordnungen verletzten, von Amts wegen aufzuheben. Jedoch umfasse diese Befugnis nicht die amtswegige Aufhebung von Wahlen.

13 Die Revision sei zulässig, weil zu den Bestimmungen der §§ 41 bis 43 Abs. 1 und § 53 Abs. 1 K‑AWO keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe.

14 1.7. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision der belangten Behörde.

15 1.8. Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Zurückweisung der Revision wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nach Art. 133 Abs. 5 B‑VG und in eventu die Abweisung der Revision sowie jedenfalls Kostenersatz beantragt.

16 2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen der K-AWO lauten:

§ 41 ‑ Organe des Abfallwirtschaftsverbandes

(1) Zur Erfüllung der Aufgaben eines Abfallwirtschaftsverbandes sind berufen:

a) der Verbandsrat (die Verbandsversammlung),

b) der Vorstand,

c) der Vorsitzende (der Verbandsobmann),

d) der Kontrollausschuss.

...

(3) Die Organe des Abfallwirtschaftsverbandes sind nach jeder allgemeinen Gemeinderatswahl binnen drei Monaten nach der Wahl der neuen Gemeinderäte zu bilden. Der bisherige Vorsitzende hat den neuen Verbandsrat einzuberufen und den Vorsitz bis zur Übernahme des Vorsitzes durch den neu gewählten Vorsitzenden zu führen.

...

§ 42 ‑ Verbandsrat

(1) In den Verbandsrat werden über Beschluss des Gemeinderates der verbandsangehörigen Gemeinden der Bürgermeister oder jeweils ein anderes Mitglied des Gemeinderates sowie ein Ersatzmitglied entsandt.

(2) Für die Stellung der Mitglieder des Verbandsrates und die Einberufung und Abhaltung der Sitzung des Verbandsrates sind die für den Gemeinderat geltenden Bestimmungen der Kärntner Allgemeinen Gemeindeordnung sinngemäß anzuwenden.

(3) Dem Verbandsrat obliegen

a) die Wahl des Vorstandes,

...

§ 43 ‑ Vorstand

(1) Der Vorstand besteht aus fünf vom Verbandsrat aus seiner Mitte mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu wählenden Mitgliedern. Befinden sich im Entsorgungsbereich des Verbandes Behandlungsanlagen, so muss dem Vorstand mindestens ein Vertreter einer Gemeinde mit einem Standort einer im Betrieb befindlichen Behandlungsanlage angehören. Für jedes Mitglied des Vorstandes ist ein Ersatzmitglied zu wählen. Bei der Zusammensetzung des Vorstandes ist die verhältnismäßige Zusammensetzung der in den Gemeindevertretungen der verbandsangehörigen Gemeinden vertretenen politischen Parteien nach Möglichkeit zu berücksichtigen.

...

§ 53 ‑ Aufsicht des Landes über Abfallwirtschaftsverbände

(1) Abfallwirtschaftsverbände unterliegen im eigenen Wirkungsbereich der Aufsicht der Landesregierung. Auf die Aufsicht über die Abfallwirtschaftsverbände sind, soweit in diesem Gesetz nicht anderes bestimmt wird, die Bestimmungen des 21. Abschnittes der Kärntner Allgemeinen Gemeindeordnung (K‑AGO) sinngemäß anzuwenden.

...“

17 Die maßgeblichen Bestimmungen der K‑AGO lauten:

§ 21 ‑ Zusammentritt des neugewählten Gemeinderates

...

(7) Die auf Grund des Wahlvorschlages derselben Partei von der Gemeindewahlbehörde als gewählt erklärten Mitglieder des Gemeinderates bilden eine Gemeinderatspartei (Fraktion) im Sinne dieses Gesetzes. Eine Gemeinderatspartei kann auch aus einem Mitglied des Gemeinderates bestehen. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinderatspartei leitet sich von der Kandidatur auf demselben Wahlvorschlag ab und ist von späteren Willenserklärungen unabhängig.

...

21. Abschnitt - Aufsicht des Landes

§ 96 ‑ Allgemeines

(1) Das Land hat das Aufsichtsrecht über die Gemeinde dahingehend auszuüben, daß diese bei Besorgung des eigenen Wirkungsbereiches aus dem Bereich der Landesvollziehung die Gesetze und Verordnungen nicht verletzt, insbesondere ihren Wirkungsbereich nicht überschreitet, und die ihr gesetzlich obliegenden Aufgaben erfüllt.

...

(4) Die Bestimmungen dieses Abschnittes gelten sinngemäß für die Aufsicht über die Gemeindeverbände, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist und soweit es sich nicht um Gemeindeverbände nach Bundesrecht handelt.

...

§ 100 ‑ Aufhebung von Bescheiden, Beschlüssen und sonstige Maßnahmen der Gemeindeorgane, Nichtigerklärung

(1) Außer im Fall des § 99 können rechtskräftige Bescheide sowie Beschlüsse oder sonstige Maßnahmen der Gemeindeorgane, die den Wirkungsbereich der Gemeinde überschreiten oder Gesetze oder Verordnungen verletzen, von der Aufsichtsbehörde von Amts wegen oder über Antrag aufgehoben werden.

...“

18 2.2. Entgegen dem Vorbringen in der Revisionsbeantwortung der mitbeteiligten Partei handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Rechtssache, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehört und daher nach Art. 133 Abs. 5 B‑VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen wäre:

19 Nach Art. 141 Abs. 1 lit. j iVm lit. b B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof u.a. über die Anfechtung von selbstständig anfechtbaren Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im Fall der Anfechtung einer Wahl in ein mit der Vollziehung betrautes Organ einer Gemeinde. Zu Art. 141 Abs. 1 lit. b B‑VG hat der Verfassungsgerichtshof bereits erkannt, dass die Organe eines Sozialhilfeverbandes nicht Organe von Gemeinden sind. Die Tätigkeit des Verbandsausschusses wird nicht den im Sozialhilfeverband zusammengefassten Gemeinden, sondern nur dem Sozialhilfeverband, mithin einem Gemeindeverband zugerechnet. Die in der Bundesverfassung vorgesehenen Gemeindeverbände besitzen aber eigene Rechtspersönlichkeit und werden nicht für die Gemeinden, sondern an deren Stelle tätig. Die Gemeindeverbände sind auch ihrerseits nicht wie Gemeinden im Sinne des Art. 141 Abs. 1 lit. b B‑VG zu behandeln, weil sich aus dem B‑VG nicht eine allgemeine verfassungsrechtliche Gleichstellung der Gemeindeverbände mit Gemeinden ableiten lässt. Im Hinblick auf die eingehende Regelung der Wahlanfechtung im Art. 141 B‑VG verbietet sich eine über dessen Wortlaut hinausgehende ausdehnende Auslegung (vgl. VfGH 1.12.1977, W I-4/77, VfSlg. 8185).

20 Anders als die mitbeteiligte Partei zu argumentieren versucht, ergibt sich vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung auch nicht aus § 42 Abs. 2 K‑AWO, wonach für die Stellung der Mitglieder des Verbandsrates und die Einberufung und Abhaltung der Sitzung des Verbandsrates die für den Gemeinderat geltenden Bestimmungen der K‑AGO sinngemäß anzuwenden seien, dass es sich beim Vorstand eines Abfallwirtschaftsverbandes im Sinne des B‑VG um ein Organ einer Gemeinde handeln würde.

21 Das bekämpfte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes stellt daher keine Entscheidung über eine Wahlanfechtung im Sinne des Art. 141 Abs. 1 lit. j iVm lit. b B‑VG dar, sodass die Revision nicht nach Art. 133 Abs. 5 B‑VG unzulässig ist.

22 2.3. Die Revision erweist sich jedoch auf Grund von Art. 133 Abs. 4 B‑VG als nicht zulässig.

23 2.3.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

24 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Kontrolle der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte nicht nur für den Fall einer außerordentlichen Revision, sondern auch bei ordentlichen Revisionen auf die Wahrnehmung von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne dieser Bestimmung begrenzt. Wird in der Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichts das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht dargestellt und auch vom Revisionswerber nicht (gesondert) dargelegt, dass die Entscheidung der Revision von der Beantwortung einer (anderen als der vom Verwaltungsgericht angesprochenen) Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung abhängt, so ist auch eine ordentliche Revision zurückzuweisen (vgl. VwGH 29.7.2022, Ro 2020/07/0006 und 0007, mwN).

25 2.3.2. Aus der oben dargestellten Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichtes allein ergibt sich noch nicht die Zulässigkeit einer Revision, weil mit dem bloßen Hinweis, dass es noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer konkreten Bestimmung gibt, keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dargetan wird (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2019/05/0092, mwN).

26 2.3.3. Nach den Ausführungen in der Revision zu ihrer Zulässigkeit liege eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in der Frage, inwieweit es der einfachen Mehrheit (des Verbandsrates) zukomme, vom „Verhältnismäßigkeitsprinzip“ (gemeint wohl: Prinzip der Verhältniswahl) abzurücken, wie es etwa in dem vom der österreichischen Rechtsordnung anerkannten Prinzip nach D’Hondt zum Ausdruck komme. Das Verwaltungsgericht gestehe dem Verbandsrat zu Unrecht einen „erheblichen Freiraum“ zu. Die Fragen der Grenzen dieses Freiraumes und der Vorgaben des „Verhältnismäßigkeitsprinzipes“ bei der Wahl zum Vorstand eines Gemeindeverbandes seien von erheblicher Bedeutung.

27 Von dieser Frage hängt die Revision jedoch nicht ab, weil das Verwaltungsgericht nicht die Anwendung des Prinzips der Verhältniswahl auf die Zusammensetzung des Vorstandes in Frage gestellt hat, sondern dem Verbandsrat lediglich einen Freiraum bei der erforderlichen gemeindeübergreifenden Zusammenfassung der in den Gemeindevertretungen der verbandsangehörigen Gemeinden jeweils vertretenen Gemeinderatsparteien (Fraktionen) iSd § 21 Abs. 7 K‑AGO zu den für die verhältnismäßige Vertretung im Vorstand maßgeblichen „politischen Parteien“ iSd § 43 Abs. 1 K‑AWO zugestanden hat.

28 Das Bestehen eines solchen Beurteilungsspielraumes des Verbandsrates bei der Abhaltung der Wahl zum Vorstand ist schon deshalb nachvollziehbar, weil § 43 Abs. 1 K‑AWO in dieser Hinsicht lediglich anordnet, dass im Rahmen einer Mehrheitswahl die verhältnismäßige Zusammensetzung der in den Gemeindevertretungen der verbandsangehörigen Gemeinden vertretenen politischen Parteien „nach Möglichkeit zu berücksichtigen“ ist. Sie schreibt damit gerade nicht (wie etwa nunmehr § 84a Abs. 1 K‑AGO, § 8 Abs. 2 Kärntner Schulgesetz oder § 41 Abs. 2 Kärntner Pflege‑ und Betreuungsgesetz) die Bildung von „Gemeindeverbandsparteien“ als Fraktionen des Verbandsrates und daran anknüpfend ein Fraktionswahlrecht mit einem Vorschlagsrecht der jeweiligen Fraktionen vor. Derartiges wäre schon deshalb nicht zielführend, weil nicht die Berücksichtigung (nur) der im Verbandsrat vertretenen Parteien, sondern jener in den Gemeindevertretungen der verbandsangehörigen Gemeinden vorgesehen ist, welche ‑ wie im Übrigen auch die im vorliegenden Fall betroffene Namensliste ‑ nicht notwendigerweise über Mitglieder im Verbandsrat verfügen.

29 Auch dass der Verbandsrat im vorliegenden Fall diesen Beurteilungsspielraum bei der Zusammenfassung der Gemeinderatsparteien in einer Weise überschritten hätte, dass nicht mehr von einer Berücksichtigung der verhältnismäßigen Zusammensetzung der in den Gemeindevertretungen der verbandsangehörigen Gemeinden vertretenen politischen Parteien gesprochen werden könnte, vermag die Revision nicht darzulegen.

30 2.3.4. Im Übrigen setzt sich die Revision nicht mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichtes auseinander, wonach die Landesregierung auf Grundlage der §§ 96 und 100 K‑AGO (iVm § 53 Abs. 1 K‑AWO) nicht befugt sei, Wahlen aufzuheben.

31 Dabei handelt es sich aber um eine ‑ wenn auch knapp gehaltene und als Zuständigkeitsfrage iSd § 27 VwGVG an sich vorrangig zu behandelnde ‑ allein tragfähige Begründung für die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides.

32 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Revision unzulässig, wenn ein Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht und im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufgezeigt wird (vgl. VwGH 21.6.2023, Ra 2023/07/0073, mwN). Dies gilt selbst dann, wenn davon auszugehen wäre, dass die anderen Begründungsalternativen rechtlich unzutreffend sind (vgl. VwGH 4.3.2019, Ra 2018/14/0358, mwN).

33 3. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

34 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. September 2023

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