Normen
SPG 1991 §38a
SPG 1991 §38a Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RO2022010011.J00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ die Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers wegen behaupteter Rechtswidrigkeit der am 24. Dezember 2021 gegen 17.00 Uhr gegenüber dem Revisionswerber erfolgten Anordnung eines Betretungsverbots für ein näher genanntes Haus und eines Annäherungsverbotes nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. Nr. 566/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 124/2021, als unbegründet ab (Spruchpunkt 1.), verpflichtete den Revisionswerber zum Aufwandersatz (Spruchpunkt 2.) und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei (Spruchpunkt 3.).
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die einschreitende Polizeibeamtin sei im Zeitpunkt der Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbotes über die schwierige Familiensituation und den aktuellen Streit des Revisionswerbers mit seiner Ehefrau am Morgen des 24. Dezember 2021 in deren Haus in K, wo sie die Weihnachtstage verbringen hätten wollen, aufgrund der Schilderungen der Ehefrau, die die Polizeiinspektion K am Nachmittag des 24. Dezember 2021 gemeinsam mit einer Freundin aufgesucht habe, informiert gewesen. Sie habe Screenshots von E‑Mails und WhatsApp-Nachrichten des Revisionswerbers gelesen, die auf aktuell bestehende Konflikte hingewiesen hätten, wie etwa „,Ich wäre jetzt ganz vorsichtig‘ ‚Was du tust‘, ‚Bei mir ist es grade schon übergeschwappt‘, ‚Ich habe hier heute schon die Atomraketen vorbereitet‘, Wenn du jetzt noch meine alten Eltern fertig machst, zünde ich sie‘“. Zudem sei der Polizeibeamtin von der Ehefrau des Revisionswerbers geschildert worden, dass es am 12./13. Juni 2020 einen heftigen Streit mit dem Revisionswerber wegen anderer Frauen bzw. Prostituierten gegeben habe, infolge dessen es zu einem Gerangel gekommen sei und der Revisionswerber mit seinen Fäusten mehrmals ins Gesicht seiner Ehefrau geschlagen habe, sodass diese ein „blaues Auge“ davongetragen habe. Lichtbilder davon habe die Ehefrau der Polizeibeamtin gezeigt. Des Weiteren sei nach Aussage der Ehefrau der Revisionswerber ihr bei einem Streit am 23. oder 24. Mai 2021 wegen Prostituierten und im Haus vorgefundenem Kokain mit einem Schürhaken in der erhobenen Hand im Haus nachgelaufen, sodass sie mit den Kindern und ohne Schuhe aus dem Haus geflüchtet sei. Die Ehefrau habe zudem über Drogenkonsum des Revisionswerbers und am Frühstückstisch am 24. Dezember 2021 entdeckte Kokainreste berichtet. Der Polizeibeamtin sei überdies bekannt gewesen, dass der Revisionswerber seiner Ehefrau kurz zuvor deren Mobiltelefon gesperrt habe. Insgesamt habe die Ehefrau weinerlich und eingeschüchtert gewirkt und ihre Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass die Situation wiederum eskalieren könnte.
3 Zudem habe die Polizeibeamtin fälschlicherweise angenommen, es sei bei einem Streit zwischen dem Revisionswerber und seiner Ehefrau zu einem tätlichen Übergriff des Revisionswerbers gekommen, wonach der Revisionswerber seine Ehefrau an den Händen festgehalten habe und sich diese habe losreißen müssen, obwohl es sich tatsächlich um einen rein verbalen Streit wegen dem Geld für das Weihnachtsessen und einem Bordellbesuch des Revisionswerbers gehandelt habe. Auch diese fälschliche Annahme eines tätlichen Angriffs am 24. Dezember 2021 sei für die Polizeibeamtin bei der Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbotes von Bedeutung gewesen.
4 In seiner rechtlichen Beurteilung legte das Verwaltungsgericht ausgehend von näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dar, die Gesamtbeurteilung der Gefährdungssituation könne allein deshalb, weil die Polizeibeamtin zu Unrecht von einem weiteren tätlichen Übergriff des Revisionswerbers am 24. Dezember 2021 unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffs ausgegangen sei und diesem „auch“ Bedeutung im Rahmen des Gefährdungsprognose zugemessen habe, noch nicht als unvertretbar qualifiziert werden. Auch bei Außerachtlassen des tatsächlich nicht stattgefundenen „tätlichen Angriffs“ lägen ausreichend von der Polizeibeamtin berücksichtigte „Tatsachen“ vor, die in einer Gesamtzusammenschau deren Annahme eines bevorstehenden gefährlichen Angriffs auf Leben, Gesundheit oder Freiheit der Ehefrau vertretbar erscheinen lasse.
5 Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Verwaltungsgericht mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, „ob die falsche Annahme einer ‚Tatsache‘ im Sinne des §38a Abs 1 SPG und deren Berücksichtigung im Rahmen der Gefährdungsprognose zu einer Rechtswidrigkeit des Betretungs- und Annäherungsverbots führt, auch wenn die sonstigen von der einschreitenden Polizeibeamtin berücksichtigten ‚Tatsachen‘ den Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots rechtfertigen“.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG mit der Revisionsbeantwortung der belangten Behörde unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde. Die belangte Behörde beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung die Abweisung der Revision gegen Aufwandersatz.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dem in § 38a Abs. 1 erster Satz SPG normierten Betretungsverbot (mit dem seit der SPG‑Novelle BGBl. I Nr. 105/2019 auch ein Annäherungsverbot verbunden ist) in seiner Rechtsprechung bereits ausreichende Grundsätze und Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festgelegt (vgl. VwGH 10.5.2023, Ra 2023/01/0038, Rn. 25, mwN).
11 Nach dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Betretungsverbot an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Gefährder bevorstehe. Bei dieser Prognose ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen.
12 Das Verwaltungsgericht hat somit die Rechtmäßigkeit eines gemäß § 38a SPG angeordneten Betretungs- und Annäherungsverbots im Sinne einer objektiven ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen. Dabei hat es zu beurteilen, ob die eingeschrittenen Organe entsprechend den dargelegten Grundsätzen vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (vgl. zu alldem VwGH 14.2.2023, Ra 2022/01/0334, Rn. 10, mit Verweis auf VwGH 4.12.2020, Ra 2019/01/0163).
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dieser dargestellten bisherigen ständigen Rechtsprechung zum Gegenstand der Überprüfung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes nach § 38a SPG durch das Verwaltungsgericht klargestellt, dass vom Wissensstand des Beamten zum Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen und die Gefährdungslage anhand des sich dem eingeschrittenen Beamten gebotenen Gesamtbildes zum Zeitpunkt seines Einschreitens einzuschätzen ist. Wesentlich sind somit jene „Tatsachen“, die sich der Polizeibeamtin zum Zeitpunkt ihres Einschreitens geboten haben, nicht jedoch (vermeintliche) „Tatsachen“, die sie im Zeitpunkt ihres Einschreitens ‑ wie vorliegend ohne Deckung in der Schilderung der gefährdeten Ehefrau ‑ zu Unrecht angenommen hat.
14 Ob das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung des sich der eingeschrittenen Polizeibeamtin zum Zeitpunkt ihres Einschreitens gebotenen Gesamtbildes ohne Berücksichtigung deren ‑ mangels Deckung in der Schilderung der Ehefrau ‑ falschen Annahme eines tätlichen Angriffs des Revisionswerbers vor der Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots die Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes beachtet hat, ist eine Frage des Einzelfalls. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls erfolgt durch den Verwaltungsgerichtshof nur dann, wenn die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze und somit der Anwendungsspielraum des Verwaltungsgerichts überschritten werden oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorliegt (vgl. wiederum VwGH Ra 2022/01/0334, Rn. 9 f, mit Verweis auf die Leitfunktion des Verwaltungsgerichtshofes im Revisionsmodell).
15 Ausgehend davon wird mit dem Hinweis des Verwaltungsgerichts auf fehlende Rechtsprechung, „ob die falsche Annahme einer ‚Tatsache‘ im Sinne des §38a Abs 1 SPG und deren Berücksichtigung im Rahmen der Gefährdungsprognose zu einer Rechtswidrigkeit des Betretungs- und Annäherungsverbots führt, auch wenn die sonstigen von der einschreitenden Polizeibeamtin berücksichtigten ‚Tatsachen‘ den Ausspruch des Betretungs- und Annährungsverbots rechtfertigen“, keine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt.
16 Sofern der Revisionswerber der Auffassung ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet, hat er auch in der ordentlichen Revision von sich aus die im Lichte des Art. 133 Abs. 4 B‑VG maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen (vgl. etwa VwGH 23.6.2022, Ro 2021/01/0015, mwN).
17 Mit dem Zulässigkeitsvorbringen, der Zulässigkeitsausspruch des Verwaltungsgerichts sei zutreffend, weil „keine Rechtsprechung des Höchstgerichtes zur Rechtsfrage, ob und inwieweit die falsche Annahme einer Tatsache im Sinne des § 38a Abs 1 SPG und deren Berücksichtigung im Rahmen der Gefährdungsprognose zu einer Rechtswidrigkeit des verhängten Betretungs- und Annäherungsverbotes führt“, verweist die Revision letztlich wie das Verwaltungsgericht auf die einzelfallbezogene Beurteilung des sich der eingeschrittenen Polizeibeamtin gebotenen Gesamtbildes, ohne jedoch aufzuzeigen, inwiefern das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang von den dargelegten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei.
18 Da somit weder in der Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichtes noch im Zulässigkeitsvorbringen der ordentlichen Revision Rechtsfragen aufgeworfen werden, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, erweist sich die ordentliche Revision als nicht zulässig. Diese war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff, insbesondere auf § 51 VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. September 2023
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)