LVwG Tirol LVwG-2022/12/0300-13

LVwG TirolLVwG-2022/12/0300-1331.5.2022

SPG 1991 §38a Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2022.12.0300.13

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Kroker über die Maßnahmenbeschwerde des Herrn AA, CH- Z, vertreten durch Rechtsanwalt BB, Adresse 1, **** Y gegen das am 24.12.2021 durch eine - der belangten Behörde Bezirkshauptmannschaft X zurechenbare - Polizeibeamtin der Polizeiinspektion X ausgesprochene Betretungs- und Annäherungsverbot vom 24.12.2021 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung,

 

zu Recht:

 

1. Die Maßnahmenbeschwerde des Herrn AA gegen den Ausspruch eines Betretungsverbots für das Haus Adresse 2 in X sowie eines Annäherungsverbotes am 24.12.2021 gegen 17.00 Uhr durch eine - der belangten Behörde Bezirkshauptmannschaft X zurechenbare - Polizeibeamtin der Polizeiinspektion X wird als unbegründet abgewiesen.

 

2. Der Beschwerdeführer hat dem Rechtsträger der belangten Behörde Bezirkshauptmannschaft X gemäß § 35 Abs 1, 3 und 7 VwGVG in Verbindung mit § 1 Z 3 und Z 4 VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II 2013/517, für Schriftsatzaufwand der belangten Behörde € 368,80, für deren Vorlageaufwand € 57,40 insgesamt sohin € 426,20 binnen zwei Wochen nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung dieses Erkenntnisses zu ersetzen.

 

3. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

I. Verfahrensgang:

 

Der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer brachte innerhalb offener Frist eine Maßnahmenbeschwerde gegen das am 24.12.2021 um 17:25 Uhr gegen ihn erlassene Betretungsverbot hinsichtlich des Hauses Adresse 2 in **** X sowie das Annäherungsverbot gegenüber der gefährdeten Partei CC ein.

 

Begründend wurde – zusammengefasst – ausgeführt, dass für das ausgesprochene Betretungs- und Annäherungsverbot keine adäquate Veranlassung bestanden habe:

 

Die angeblich gefährdete Person habe zunächst über Vorkommnisse berichtet, die in der längeren Vergangenheit liegen (zumindest 6 bzw über 18 Monate in der Vergangenheit). Besagte vergangene Vorkommnisse seien nicht belegt, sondern wurden lediglich behauptet. Die angeblich gefährdete Person behaupte nicht einmal, dass es unmittelbar am 24.12.2021 einen konkreten ausreichenden Anlass dahingehend gab, welcher die behördlichen Anordnungen gegenüber dem Beschwerdeführer rechtfertigen würde. Bei dem Haus Adresse 2 in **** X handle es sich nicht um den ordentlichen Wohnsitz der angeblich gefährdeten Partei, sondern lediglich um jenen Wohnort, an welchem die Familie das Weihnachtsfest verbringen wollte. Hätte die gefährdete Partei tatsächlich subjektiv eine von ihrem Ehemann gegen sie gerichtete Bedrohung empfunden, wäre es ihr freigestanden, das Haus Adresse 2 zu verlassen und wiederum ihren ordentlichen Wohnsitz in CH-**** Z aufzusuchen. Die belangte Behörde hätte mit entsprechend gebotener Äquidistanz erkennen müssen, dass die Behauptungen der angeblich gefährdeten Person ausschließlich vor dem Hintergrund eines sich abzeichnenden Ehescheidungsverfahrens in vermögenden Verhältnissen erhoben werden. Die belangte Behörde hätte zunächst durch konkrete Befragung hinsichtlich der eigentlichen vermeinten Bedrohungshandlungen bzw Gewalttätigkeiten den Sachverhalt derart ausreichend zu ermitteln gehabt, dass eine hinreichende Objektivierbarkeit der behaupteten subjektiven Gefährdungslage gewährleistet ist. Entgegen der belangten Behörde erkannte auch ein schweizerisches Gericht in dessen Verfügung vom 03.01.2022 über den dort erhobenen Antrag auf Erlass einer superprovisorischen Maßnahme gegen den Beschwerdeführer präzise, dass es „anlässlich der Weihnachtstage in X selbst nach Darstellung der Gesuchstellerin (angeblich gefährdete Person; Anm.) zu keinen tätlichen Auseinandersetzungen gekommen sei und auch die geschilderten Drohungen sich weder zeitlich einordnen lassen, noch hinreichend substantiiert seien, um einen drohenden Übergriff auf die Gesuchstellerin befürchten zu lassen.

 

Nach Darstellung der Rechtslage wurde ausgeführt, dass in Ermangelung eines hinreichend konkretisierten und nicht einmal behaupteten tatsächlich drohenden gefährlichen Angriffs in zeitlichem Zusammenhang mit der Aussage der angeblich gefährdeten Person vom 24.12.2021 vor dem Revierinspektorat X sich die gegenständlich gegen den Beschwerdeführer ausgeübte behördliche Befehls- und Zwangsgewalt als rechtswidrig erweise. Die für die Verhängung derartiger Maßnahmen erforderlichen Voraussetzungen lägen nicht vor. In der „Dokumentation gemäß § 38a SPG“ vom 24.12.2021, GZ: ***, werde unter dem Punkt II „Dokumentation zum Gefährder“ unter dem Unterpunkt „Angaben des Gefährders zum konkreten Vorfall“ ausgeführt: „Heute morgen kam es zu einer körperlichen und verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Gefährder und seiner Frau, wobei diese angegriffen wurde. ….“ Unter dem Punkt III. „Dokumentation zur gefährdeten Person“ sei unter dem Unterpunkt „Angaben der gefährdeten Partei zum konkreten Vorfall“ jener Textbaustein übernommen worden, welcher auch unter Punkt II. verwendet worden sei. Es sei jedoch objektiv falsch, dass sowohl der Gefährder wie auch die angeblich gefährdete Person eine körperliche Auseinandersetzung am Morgen des 24.12.2021 zum Inhalt deren Aussage gemacht haben. Somit sei festzustellen, dass die seitens der Sicherheitsorgane im Rahmen ihrer Einschätzung zugrunde gelegten Annahmen objektiv unzutreffend seien. Die behördlichen Zwangsmaßnahmen würden auf unwiderlegbar unzutreffende Sachverhaltsannahmen gestützt. Hinsichtlich der weiters unter dem Punkt III. der Dokumentation gemäß § 38a SPG angeführten „zusätzlichen Indikatoren aufgrund deren ein gefährlicher Angriff gegen Leib und Leben, Gesundheit oder Freiheit der gefährdeten Person zu erwarten ist“ wurde ausgeführt, dass ungeachtet der fehlenden Dokumentation und Verifizierbarkeit derartiger angeblicher Verhaltensweisen des Beschwerdeführers, diese behaupteten Vorkommnisse in einer so langen Vergangenheit zurücklägen, dass diese für sich alleine in keiner Weise die hier verhängten behördlichen Zwangsmaßnahmen rechtfertigen. Der Beschwerdeführer werde durch die verhängten Maßnahmen gegen seine Person massiv in seinen verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheits-, Eigentums- und Familienrechten insbesondere im Sinne der Bestimmungen nach Art 7 und 8 EMRK verletzt. Insbesondere die damit bewirkte zwangsweise Fernhaltung von seinen vier Kindern am Heiligen Abend sowie während der vorherrschenden Weihnachtsferien an sich stelle eine denkbar weitgehende Einschränkung in der Ausübung des Rechtes auf Familie dar.

 

Es wurden sohin die Anträge gestellt, das Landesverwaltungsgericht Tirol wolle nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung feststellen, dass das verhängte Wegweisungs- und Annäherungsverbot gemäß sicherheitsbehördlicher Verordnung vom 24.12.2021 gegen den Beschwerdeführer rechtswidrig erfolgte. Darüber hinaus wolle das Landesverwaltungsgericht Tirol der belangten Behörde den Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegen.

 

 

Gegen diese Maßnahmenbeschwerde brachte die belangte Behörde, Bezirkshauptmannschaft X, eine Gegenschrift ein und führte – nach Darstellung des Sachverhaltes und der Rechtslage – begründend aus, dass die Maßnahme nach § 38a SPG gerechtfertigt und nicht aufzuheben gewesen sei und wurde auf die Gefährdungsprognose des einschreitenden Organs laut 38a SPG Dokumentation (GZ: ***, Seite 2) verwiesen.

 

Im konkreten Fall sei seitens der Sicherheitsbehörde festgestellt worden, dass der einschreitende Beamte (unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit) davon vertretbar ausgehen habe können, dass der gefährdeten Person etwas passiere. Die einschreitenden Polizeibeamten konnten hier vertretbar annehmen, dass ein gefährlicher Angriff stattgefunden habe. „Bloße“ Belästigungen, Gerüchte, Mutmaßungen, Verdächtigungen, Beschimpfungen, reichen selbstverständlich nicht aus. In der § 38a SPG Dokumentation - GZ: ***, Seite 4, sei eindeutig festgehalten worden, dass die Gefährdete am 24.12.21 aus dem Haus geflüchtet sei, da es zuvor zu einer körperlichen und verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Gefährder und seiner Frau gekommen sei. Weiters konnte die Gefährdete offenbar nur durch „Drängen“ einer Freundin dazu bewegt werden, eine Anzeige bei der PI X zu tätigen. Der Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbotes sei erfolgt, nachdem die Polizeibeamten den Sachverhalt ausreichend ermittelt haben. Insbesondere konnte festgestellt werden, dass der Betroffene (Gefährder) zuvor befragt und ihm Gelegenheit geboten worden sei, zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Dem Beschwerdevorbringen, dass es sich bei dem Haus Adresse 2 in **** X nicht um den ordentlichen Wohnsitz der angeblich gefährdeten Partei handle, sondern lediglich um jenen Wohnort, an welchem die Familie das Weihnachtsfest verbringen wollte, wurde seitens der belangten Behörde entgegnet, dass § 38a Abs 1 SPG nicht definiere, was unter „Wohnung“ zu verstehen sei. Insbesondere seien an eine Wohnung keine qualitativen Voraussetzungen geknüpft. Eine Unterkunftnahme werde danach überall dort anzunehmen sein, wo Räume von einer Person zur Befriedigung eines - wenn auch nur vorübergehenden - Wohnbedürfnisses tatsächlich benützt werden.

 

Die Gefährdungsprognose des vor Ort einschreitenden Organs sei für die Sicherheitsbehörde vertretbar. Die Verhältnismäßigkeit sei im Sinne der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen gegeben. Demnach seien die einschreitenden Polizeibeamten zu Recht davon ausgegangen, dass auf Grund des sich ihnen bietenden Gesamtbildes mit der nach der erwähnten Rechtsprechung erforderlichen "einigen" Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen sei, dass ein gefährlicher Angriff durch den Gefährder bevorstehe. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbotes seien im vorliegenden Fall gegeben.

 

Das Verhalten der Gefährdeten (weinerlich, wollte vorerst keine Angaben machen, eingeschüchtert vom Mann, kam lediglich auf Drängen der Freundin auf die PI) anlässlich des Einschreitens der Polizei komme im gegeben Zusammenhang situationsbedingt Indizcharakter zu. Die vorgebrachte Verfügung vom 3.Januar 2022 des Bezirksgerichts W, Z, sei nicht Gegenstand der Prüfungsmaßstäbe der Sicherheitsbehörde nach § 38a Abs 7 SPG. Zu berücksichtigen seien auch noch die in der Dokumentation nach § 38a SPG angeführten weiteren Indikatoren (frühere Vorfälle). Diese Tatsachen haben die Annahme gerechtfertigt, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen (die einen gefährlichen Angriff gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit darstellen) zu erwarten sein werden.

 

Es wurde daher der Antrag gestellt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen, weil der Beschwerdeführer nicht in seinen gesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. An Kosten wurden geltend gemacht (gemäß § 35 Abs 4 Z 3 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes - VwGVG in Verbindung mit § 1 VwG-Aufwandersatzverordnung - VwG-AufwErsV): Vorlageaufwand von € 57,40, Schriftsatzaufwand von € 368,80 (gesamt: € 426,20).

 

Eingeholt wurden bei der Polizeiinspektion X weiters jene Lichtbilder bzw WhatsApp-Nachrichten, die der Polizeibeamtin vor Ausspruch des Betretungsverbots von der gefährdeten Person zur Verfügung gestellt wurden.

 

Am 04.04.2022 fand vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, anlässlich derer der Beschwerdeführer sowie die gefährdete Person CC, die einschreitende Polizeibeamtin RevInsp DD und EE als Zeuginnen einvernommen worden sind.

 

Am 25.05.2022 wurde die Verhandlung – über Antrag des Beschwerdeführers – zur Einvernahme von GrInsp. FF fortgesetzt. Eine ergänzende Stellungnahme wurde eingebracht. Der Rechtsvertreter gab anlässlich dieser Verhandlung bekannt, dass das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen Körperverletzung, Nötigung und gefährlicher Drohung im Zusammenhang mit den am 24.12.2021 angezeigten Vorfällen vom Landesgericht Tirol eingestellt worden ist.

 

Die Parteien sind ausdrücklich einverstanden gewesen, dass die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten wird, zumal noch weitere rechtliche Überlegungen für die Entscheidungsfindung im Hinblick auf die komplexe Sach- und Rechtslage als erforderlich erachtet wurden. Auf eine mündliche Verkündung wurde ausdrücklich verzichtet.

 

 

II. Sachverhalt:

 

Zwischen dem Beschwerdeführer und der gefährdeten Person CC bestand seit 2008 eine Lebensgemeinschaft, im Jahr 2010 heiratete das Paar und hat vier gemeinsame Töchter im Alter von elf Jahren (Zwillinge), neun Jahren und acht Jahren. Der Hauptwohnsitz für die Familie war im Zeitpunkt des Ausspruchs des Betretungs- und Annäherungsverbotes in Z/Schweiz, Adresse 3. Das Haus mit der Adresse 2 in X hat die Familie im Jahr 2018 erworben. Dort besteht kein ordentlicher Wohnsitz. Die Familie AA und CC wollte dort die Weihnachtstage verbringen.

 

In der Ehe gibt es bereits seit längerem immer wieder Streitigkeiten, unter anderem wirft die gefährdete Person dem Beschwerdeführer Bordellbesuche und Kokainkonsum vor. Die gefährdete Person hatte ihrem Ehegatten bereits am 22.12.2021 mitgeteilt, dass sie sich nach Weihnachten, das sie den Kindern zuliebe noch als Familie verbringen wollte, von ihm trennen werde.

 

Am Morgen des 24.12.2021 kam es zu einem verbalen Streit zwischen dem Beschwerdeführer und der gefährdeten Person über das Geld für das Weihnachtsessen und über einen Bordellbeleg, den die gefährdete Person unter dem Ehebett des Beschwerdeführers gefunden hat. Dabei kam es zu keinen körperlichen Übergriffen.

 

Gegen 11.00 Uhr verließ die gefährdete Person das Haus und hat das Weihnachtsessen abgeholt. Aufgrund des Streits und insbesonders weil der Beschwerdeführer zwischenzeitlich das Handy der gefährdeten Person sperrte, kehrte die gefährdete Person nicht ins Haus zurück, sondern traf sich mit ihrer Freundin EE in einem Hotel in X. Diese begleitete sie dann am Nachmittag zur Polizeiinspektion X.

 

Die gefährdete Person war sehr aufgelöst, weinte immer wieder und schilderte RevInsp DD/Polizeiinspektion X die Situation in der Ehe und zeigte Screenshots von E-Mails und WhatsApp-Nachrichten ihres Ehegatten vor (zB „Ich wäre jetzt ganz vorsichtig“ „Was du tust“, „Bei mir ist es grade schon übergeschwappt“, „Ich habe hier heute schon die Atomraketen vorbereitet“, Wenn du jetzt noch meine alten Eltern fertig machst, zünde ich sie“). Zudem berichtete sie, dass sie am 12./13. Juni 2020 einen heftigen Streit mit ihrem Mann wegen anderer Frauen bzw Prostituierten hatte. Es kam zu einem Gerangel und plötzlich sei ihr Mann im Bett über ihr gewesen und habe mit seinen Fäusten mehrmals ins Gesicht geschlagen, sodass die gefährdete Person ein blaues Auge davontrug. Lichtbilder davon zeigte die gefährdete Person der Polizeibeamtin vor. Weiters gab sie an, dass ihr Mann bei einem Streit am 23. oder 24. Mai 2021 wegen Prostituierten und im Haus vorgefundenem Kokain mit einem Schürhacken, den er mit erhobener Hand hielt, der gefährdeten Person im Haus im oberen Stockwerk nachlief, sodass diese mit den Kindern und ohne Schuhe aus dem Haus flüchtete. Die gefährdete Person berichtete auch vom Drogenkonsum ihres Gatten und dass sie auch Kokainreste am 24.12.2021 am Frühstückstisch entdeckt hatte. Bei einer Rückkehr ins Haus befürchtete sie eine Eskalation der Situation.

 

Festgestellt wird, dass die gefährdete Person von keinem tätlichen Übergriff durch ihren Ehegatten am 24.12.2021 berichtet hat und nicht verletzt gewesen ist.

 

Bereits auf der Polizeiinspektion X wurde die gefährdete Person davon informiert, dass gegen ihren Gatten ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen werden wird. Nachdem die gefährdete Person als Zeugin einvernommen worden ist, wurde sie gegen 16.00 Uhr in Begleitung von Zivilbeamten wieder zurück zum Haus Adresse 2 gebracht und ihr Ehemann – ohne nähere Begründung - aufgefordert, mit zur Polizeiinspektion X zu kommen.

 

Dem Beschwerdeführer wurde vor Ausspruch des Betretungsverbots die Gelegenheit eingeräumt, zu den Aussagen seiner Gattin Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hat die Aussagen seiner Gattin als falsch und haltlos tituliert und nur einen rein verbalen Streit mit seiner Ehegattin geschildert. In weiterer Folge wurde das Betretungs- und Annäherungsverbot gegenüber dem Beschwerdeführer ausgesprochen. Bereits zu Beginn der Befragung durch RevInsp. DD wurde dem Beschwerdeführer jedoch signalisiert, dass ein Betretungsverbot ausgesprochen werden wird.

 

Begründet wurde die Gefährdungsprognose von RevInsp. DD damit, dass es diese Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und der gefährdeten Person an diesem Tag gegeben habe. Es sei auch von Bedeutung gewesen, dass es einen tätlichen Übergriff am Vormittag gegeben habe. Die weinerlich und eingeschüchtert wirkende Ehegattin des Beschwerdeführers habe die Befürchtung geäußert, dass die Situation an diesem Tag eskaliere und sie – aufgrund des gesperrten Handys – nicht die Polizei rufen könne. Die Schilderung der früheren Vorfälle (siehe oben) und insbesondere die Lichtbilder vom blauen Auge hätten der Polizeibeamtin aufgezeigt, dass es tatsächlich bereits zu tätlichen Übergriffen gekommen sei.

 

Nach der Vernehmung konnte der Beschwerdeführer noch notwendige Sachen aus dem Haus abholen. Dabei wurde das Informationsblatt zu § 38a SPG an die gefährdete Person ausgehändigt. Danach wurde der Beschwerdeführer zu einem Hotel gebracht.

 

Das Betretungsverbot wurde am 27.12.2021 von der Bezirkshauptmannschaft X bestätigt.

 

 

III. Beweiswürdigung:

 

Die Familien- und Wohnverhältnisse des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen Aussage vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol und wurden auch bereits weitgehend übereinstimmend von der gefährdeten Person bei ihrer Einvernahme auf der Polizeiinspektion X geschildert.

 

Ein verbaler Streit über das Geld für das Weihnachtsessen am 24.12.2021 wurde vom Beschwerdeführer eingestanden, einen körperlichen Übergriff hat der Beschwerdeführer anlässlich seiner Einvernahme vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol vehement bestritten. Auch der Polizeibeamtin RevInsp. DD gegenüber hat der Beschwerdeführer am 24.12.2021 nur einen verbalen Streit geschildert. Damit übereinstimmend hat die gefährdete Person keinen tätlichen Übergriff an diesem Tag behauptet, sondern nur von einem verbalen Streit über die Kosten des Weihnachtsessens und dem Bordellbesuch ihres Ehegatten (arg: Bordellbelegt unter Ehebett des Gatten) berichtet. Die entgegenstehende Aussage der Zeugin RevInsp. DD, wonach es zu einem Gerangel am 24.12.2021 gekommen sei, überzeugt nicht. Auch die diesbezüglichen Ausführungen in der Dokumentation gemäß § 38a SPG (Angaben des Gefährders zum konkreten Vorfall sowie Angaben der gefährdeten Person zum konkreten Vorfall), wonach es „zu einer körperlichen und verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Gefährder und seiner Frau kam, wobei diese angegriffen wurde“ sind offenkundig unzutreffend. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die gefährdete Person diesbezüglich falsche Angaben machen sollte und wird deren Aussage zudem von der Zeugin EE, die als Vertrauensperson bei der Aussage der gefährdeten Person anwesend war, bestätigt.

 

Bei einer Gesamtschau wird daher den übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers, der gefährdeten Person und der Zeugin EE gefolgt. Die Polizeibeamtin hat dies offensichtlich unrichtig dokumentiert. Dieser Eindruck wird auch dadurch bestätigt, dass sie in der „Dokumentation nach § 38a SPG“ auch völlig widersprüchliche Angaben des Gefährders (arg: „Heute morgen kam es zu einer körperlichen und verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Gefährder und seiner Frau, wobei diese angegriffen wurde.“ sowie „Laut dem Gefährder gab es heute morgen lediglich eine verbale Auseinandersetzung bezüglich des Geldes für das Weihnachtsessen.“) festgehalten hat.

 

Nachvollziehbar hat die gefährdete Person anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol geschildert, wie es nach dem verbalen Streit am Morgen des 24.12.2021 und dem Abschalten ihres Handys durch den Gatten dazu gekommen ist, dass sie bei der Polizeiinspektion X eine Aussage gemacht hat.

 

Die von der gefährdeten Person vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol geschilderten Vorfälle von der Nacht vom 12./13 Juni 2020 und am 23. oder 24. Mai 2021 sowie die Angaben zum Drogenkonsum ihres Ehegatten sowie dessen WhatsApp- und E-Mail-Nachrichten hat diese bereits anlässlich ihrer Zeugeneinvernahme am 24.12.2021 durch RevInsp. DD - weitgehend übereinstimmend - zu Protokoll gegeben (vgl dazu die Zeugenvernehmung vom 24.12.2021, GZ: ***). Auch die einschreitende Polizeibeamtin RevInsp. DD hat dies ausdrücklich bestätigt und zudem die Nachrichten des Ehegatten sowie die Fotos vom blauen Auge, die ihr damals bei der Einvernahme von der gefährdeten Person vorgezeigt wurden, mit dem Diensthandy abfotografiert (vgl Speicherdatum 24.12.2021 auf Lichtbildbeilage, Seite 8) und dem Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegt (vgl E-Mail vom 30.03.2022 von RevInsp. DD samt Lichtbildbeilage).

 

Die Zeugin RevInsp. DD hat bei ihrer Zeugeneinvernahme vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol bestätigt, dass sie der Beschwerdeführerin bereits angekündigt hat, dass es zu einem Betretungsverbot kommen wird (Protokoll, Seite 13: „Wir haben Frau CC aufgrund ihrer Schilderungen mitgeteilt, dass ein Betretungsverbot ausgesprochen werden wird, das 14 Tage dauern wird. Wir haben ihr aber auch mitgeteilt, dass wir zuerst noch mit Herrn AA Rücksprache halten müssen. Deswegen ist auch das Informationsblatt noch nicht an sie ausgehändigt worden.“).

 

Aus den Aussagen des Beschwerdeführers, der gefährdeten Person sowie der Zeugin RevInsp DD folgt die weitere Vorgangsweise: die gefährdete Person wurde zum Wohnhaus zurückgeführt und gleichzeitig der Ehegatte von Zivilbeamten abgeholt und zur Polizeiinspektion X begleitet.

 

Aus der Aussage von RevInsp DD vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol ergibt sich nachvollziehbar, dass sie dem Beschwerdeführer zu den von der gefährdeten Person erhobenen Vorwürfen – vor Ausspruch des Betretungsverbots - kurz befragt hat. Auch wenn die Zeugin RevInsp DD zu dem Umstand, dass es am 24.12.2021 einen körperlichen Übergriff gegeben haben soll, offensichtlich einem Irrtum unterlegen ist, war ihre Aussage zur Frage, ob der Beschwerdeführer – vor Ausspruch des Betretungsverbots - gehört worden ist, sehr bestimmt und überzeugend:

„… Das Betretungsverbot habe ich Herrn AA gegenüber ausgesprochen. Ich habe das Betretungsverbot ausgesprochen, nachdem ich Herrn AA den Sachverhalt dargelegt hatte und er mir gegenüber geäußert hat, dass aus seiner Sicht nichts vorgefallen ist, sondern dass es eine bloß verbale Streitigkeit mit seiner Frau gegeben hat. Er hat die Möglichkeit gehabt, seine Sicht der Dinge darzustellen.

Ich habe ihm Gelegenheit gegeben, seine Sicht der Dinge darzustellen vor der Beschuldigtenvernehmung. Er hat gesagt, aus seiner Sicht habe es keine handgreifliche Auseinandersetzung gegeben, sondern nur einen verbalen Streit. Er hat auch abgestritten, dass das im Zusammenhang mit Prostituierten oder seinem Drogenkonsum gewesen sein soll. Die genaue Zeit kann ich nicht mehr angeben, aber das Ganze war jedenfalls vor der Vernehmung.

Es hat sich hier um zwei verschiedene Dinge gehandelt, weil die Vernehmung ist ja durchgeführt worden im Zusammenhang mit der vorgeworfenen Körperverletzung und gefährlichen Drohung, und hat dieses Gespräch mit Herrn AA davor stattgefunden - im Zusammenhang mit dem Betretungsverbot. Bereits vor der Vernehmung habe ich dann dem Beschwerdeführer schon gesagt, dass es das Betretungsverbot geben wird.“)

 

Diese Zeugenaussage ist insofern schlüssig, als in der Dokumentation nach § 38a SPG auch Angaben festgehalten, die in dieser Weise nicht in der Beschuldigtenvernehmung aufscheinen (zB: „Laut dem Gefährder gab es heute morgen lediglich eine verbale Auseinandersetzung bezüglich des Geldes für das Weihnachtsessen“). Dies spricht letztlich auch dafür, dass es neben der förmlichen Beschuldigteneinvernahme zum Tatvorwurf der gefährlichen Drohung und Körperverletzung nach dem StGB diese kurze nicht-förmliche Befragung des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem Betretungsverbot gegeben hat.

 

Damit im Einklang steht dann auch die Aussage des Beschwerdeführers (Verhandlungsprotokoll, Seite 5): „Bevor ich befragt wurde, wurde mir schon gesagt, dass ich das Haus nicht mehr betreten darf für die nächsten 14 Tage. Also schon zu Beginn meiner Aussage wurde das Betretungsverbot insoweit ausgesprochen. ….“) und stimmt insofern mit der Aussage von RevInsp DD überein („Bereits vor der Vernehmung habe ich dann dem Beschwerdeführer schon gesagt, dass es das Betretungsverbot geben wird.“), weil damit jeweils die förmliche Beschuldigteneinvernahme gemeint gewesen ist.

 

Bei einer Gesamtzusammenschau dieser Beweisergebnisse ist daher durchaus schlüssig und nachvollziehbar, dass dem Beschwerdeführer – vor Ausspruch des Betretungsverbots – die Möglichkeit eingeräumt worden ist, zu den erhobenen Vorwürfen anlässlich einer nicht förmlichen kurzen Befragung Stellung zu nehmen. Die entgegenstehende Aussage des Beschwerdeführers (Verhandlungsprotokoll, Seite 5: „Das Betretungsverbot wurde definitiv ausgesprochen, bevor ich selbst eine Möglichkeit hatte, meine Sicht der Dinge darzustellen.“) überzeugt im Hinblick auf obige Beweisergebnisse nicht.

 

Dass dem Beschwerdeführer allerdings auch von Beginn an signalisiert worden ist, dass es ein Betretungsverbot geben wird, ist ebenfalls glaubwürdig. Dem entspricht auch, dass RevInsp. DD gegenüber der gefährdeten Person bereits den Ausspruch eines Betretungsverbots ausdrücklich angekündigt hat (vgl Zeugenaussage RevInsp. DD, Verhandlungsprotokoll, Seite 16: Es war Frau CC, als sie den Posten verlassen hat, bekannt, dass wir mit Herrn AA reden werden und dass ein Betretungsverbot ausgesprochen wird.“; vgl dazu weiters die diesbezüglich bestätigenden Zeugenaussagen von CC und EE).

 

Die Begründung des Betretungsverbots ergibt sich aus der Aussage der Zeuge Insp. DD vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol:

„Gründe für den Ausspruch des Betretungsverbotes waren, dass Frau CC gesagt hat, dass es eine Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann an diesem Tag gegeben hat und dass sie sich nicht mehr nach Hause traut, weil sie befürchtet, dass es an diesem Tag eine Eskalation geben wird. Sie hat auch gemeint, dass sie die Polizei nicht mehr rufen könnte, weil ihr Mann über seinen Account das Telefon sperrt. …Die Vorfälle, die Frau CC auch geschildert hat, liegen zwar schon eine Zeit zurück, allerdings haben mir die Lichtbilder vom blauen Auge auch gezeigt, dass es tatsächlich zu tätlichen Übergriffen gekommen ist. …Ich bin damals bei Ausspruch des Betretungsverbotes auch davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer am Vormittag im Zuge des Streites Frau CC an den Händen gehalten hat und sie sich dabei losgerissen hat und sie dabei nicht verletzt worden ist. Ich hatte diese Information, dass Frau CC angegriffen worden ist. … Es war für mich auch von Bedeutung, dass Frau CC geschildert hat, dass es einen tätlichen Übergriff am Vormittag gegeben hat. Für mich war dieses Festhalten an den Händen jetzt für sich aber noch kein gefährlicher Angriff. … Für mich war Herr AA augenscheinlich nicht durch Drogen irgendwie beeinträchtigt. Insofern hat das für mich nichts mit dem Betretungsverbot zu tun gehabt. Die Eskalation war nicht nur im Zusammenhang mit dem Drogenkonsum zu erwarten, sondern es hat ja auch diese Streitigkeiten wegen den Bordellbesuchen des Herrn AA gegeben.“

 

Aus der Aussage des Beschwerdeführers ergibt sich klar die weitere Vorgangsweise. Aus dem Bericht der Zeugin RevInsp. DD vom 05.04.2022 (OZ 5) folgt, zu welchem Zeitpunkt das Informationsblatt zum Betretungsverbot an die gefährdete Person ausgehändigt worden ist, was zudem glaubwürdig von der Zeugin GrInsp. FF anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol bestätigt worden ist.

 

Aus dem Behördenakt geht zudem hervor, dass die Bezirkshauptmannschaft am 27.12.2021 das Betretungs- und Annäherungsverbot geprüft hat und dieses als zurecht verhängt befunden hat (vgl das E-Mail vom 27.12.2021).

 

 

IV. Rechtslage:

 

Folgende Bestimmung des Sicherheitspolizeigesetzes (im Folgenden: SPG), BGBl Nr 566/1991 in der Fassung BGBl I Nr 124/2021, ist zur Klärung der vorliegenden Rechtsfragen maßgeblich:

Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt

§ 38a

(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, insbesondere in einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, begehen werde (Gefährder), das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot verbunden ist das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von hundert Metern (Annäherungsverbot).

(2) Bei Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

1. dem Gefährder den Verbotsbereich nach Abs 1 zur Kenntnis zu bringen;

2. dem Gefährder alle in seiner Gewahrsame befindlichen Schlüssel zur Wohnung gemäß Abs 1 abzunehmen und ihn zu diesem Zweck erforderlichenfalls zu durchsuchen; § 40 Abs 3 und 4 gilt sinngemäß;

3. dem Gefährder Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen und sich darüber zu informieren, welche Möglichkeiten er hat, unterzukommen;

4. den Gefährder über die Verpflichtung gemäß Abs 8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie über die Möglichkeit eines Antrags gemäß Abs 9 zu informieren;

5. vom Gefährder die Bekanntgabe einer Abgabestelle für Zwecke der Zustellung von Schriftstücken nach dieser Bestimmung oder der Exekutionsordnung (EO), RGBl Nr 79/1896, zu verlangen; unterlässt er dies, kann die Zustellung solcher Schriftstücke so lange durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch erfolgen, bis eine Bekanntgabe erfolgt; darauf ist der Gefährder hinzuweisen;

6. den Gefährder bei Aufenthalt in einem Verbotsbereich nach Abs 1 wegzuweisen.

(3) Betrifft das Betretungsverbot eine vom Gefährder bewohnte Wohnung, ist besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass dieser Eingriff in das Privatleben des Gefährders die Verhältnismäßigkeit (§ 29) wahrt. Sofern keine Ausnahme gemäß Abs 9 vorliegt, darf der Gefährder den Verbotsbereich gemäß Abs 1 nur in Gegenwart eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufsuchen.

(4) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, den Gefährdeten über die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382c EO und geeignete Opferschutzeinrichtungen (§ 25 Abs 3) zu informieren. Darüber hinaus sind sie verpflichtet,

1. sofern der Gefährdete minderjährig ist und es im Einzelfall erforderlich erscheint, jene Menschen, in deren Obhut er sich regelmäßig befindet, sowie

2. sofern ein Minderjähriger in der vom Betretungsverbot erfassten Wohnung wohnt, unverzüglich den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger

über die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots zu informieren.

(5) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, den Gefährder bei Verstoß gegen das Betretungs- und Annäherungsverbot wegzuweisen. Die Einhaltung eines Betretungsverbots ist zumindest einmal während der ersten drei Tage seiner Geltung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu kontrollieren.

(6) Bei der Dokumentation der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ist auf die für das Einschreiten maßgeblichen Umstände sowie auf jene Bedacht zu nehmen, die für ein Verfahren nach §§ 382b und 382c EO oder für eine Abklärung der Gefährdung des Kindeswohls durch den zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger von Bedeutung sein können.

(7) Die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ist der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen drei Tagen zu überprüfen. Stellt die Sicherheitsbehörde fest, dass das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht hätte angeordnet werden dürfen, so hat sie unverzüglich den Gefährdeten über die beabsichtigte Aufhebung zu informieren und das Verbot gegenüber dem Gefährder aufzuheben. Die Information des Gefährdeten sowie die Aufhebung des Betretungs- und Annäherungsverbots haben nach Möglichkeit mündlich oder schriftlich durch persönliche Übergabe zu erfolgen.

(8) Der Gefährder hat binnen fünf Tagen ab Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots eine Beratungsstelle für Gewaltprävention zur Vereinbarung einer Gewaltpräventionsberatung (§ 25 Abs 4) zu kontaktieren und an der Beratung aktiv teilzunehmen, sofern das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht gemäß Abs 7 aufgehoben wird. Die Beratung hat längstens binnen 14 Tagen ab Kontaktaufnahme erstmals stattzufinden. Nimmt der Gefährder keinen Kontakt auf oder nicht (aktiv) an einer Gewaltpräventionsberatung teil, ist er zur Sicherheitsbehörde zum Zweck der Ermöglichung der Durchführung der Gewaltpräventionsberatung durch die Beratungsstelle für Gewaltprävention zu laden; § 19 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl Nr 51/1991, gilt.

(9) Die Sicherheitsbehörde ist ermächtigt, bei Vorliegen zwingender Notwendigkeit auf begründeten Antrag des Gefährders mit Bescheid örtliche oder zeitliche Ausnahmen von dem Betretungs- und Annäherungsverbot festzulegen, sofern schutzwürdige Interessen des Gefährdeten dem nicht entgegenstehen; zu diesem Zweck ist dem Gefährdeten Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ausnahmen für die Wohnung, die vom Betretungsverbot betroffen ist, sind nicht zulässig. Die Entscheidung der Behörde ist dem Gefährdeten unverzüglich zur Kenntnis zu bringen.

(10) Das Betretungs- und Annäherungsverbot endet zwei Wochen nach seiner Anordnung oder, wenn die Sicherheitsbehörde binnen dieser Frist vom ordentlichen Gericht über die Einbringung eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382c EO informiert wird, mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung des ordentlichen Gerichts an den Antragsgegner, längstens jedoch vier Wochen nach seiner Anordnung. Im Falle einer Zurückziehung des Antrags endet das Betretungs- und Annäherungsverbot sobald die Sicherheitsbehörde von der Zurückziehung durch Mitteilung des ordentlichen Gerichts Kenntnis erlangt, frühestens jedoch zwei Wochen nach seiner Anordnung.

(11) Die nach Abs 2 abgenommenen Schlüssel sind mit Aufhebung oder Beendigung des Betretungsverbots zur Abholung durch den Gefährder bereit zu halten und diesem auszufolgen. Werden die Schlüssel trotz nachweislicher Information des Gefährders über die Abholungsmöglichkeit nicht binnen einer Frist von zwei Wochen abgeholt, können die Schlüssel auch einem sonstigen Verfügungsberechtigten ausgefolgt werden. Sechs Wochen nach Aufhebung oder Beendigung des Betretungsverbots gelten diese als verfallen; § 43 Abs 2 gilt sinngemäß. Im Falle eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382c EO sind die nach Abs 2 abgenommenen Schlüssel beim ordentlichen Gericht zu erlegen.

(12) Die Berechnung von Fristen nach dieser Bestimmung richtet sich nach §§ 32 und 33 Abs 1 AVG.

 

V. Erwägungen:

 

A) Zur Zulässigkeit:

Gegenstand dieser Beschwerde ist der Ausspruch eines Betretungsverbotes gemäß § 38a SPG gegenüber dem Beschwerdeführer am 24.12.2021 gegen 17:00 Uhr für das Haus Adresse 2 in **** X samt einem Bereich im Umkreis von 100 Metern um die Wohnung sowie des Verbots der Annäherung an die gefährdete Person CC im Umkreis von 100 Metern.

Die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes nach § 38a SPG ist ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Nach Art 130 Abs 1 Z 2 B‑VG in Verbindung mit Art 131 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte der Länder über Beschwerden gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit.

Das Betretungs- und Annäherungsverbot wurde am 24.12.2021 ausgesprochen, die per E-Mail an das Landesverwaltungsgericht Tirol am 03.02.2022 übermittelte Beschwerde ist daher fristgerecht binnen der sechswöchigen Beschwerdefrist erhoben worden. Die Beschwerde ist zulässig.

 

B) In der Sache:

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Betretungsverbot (ebenso wie eine Wegweisung) an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (vgl etwa VwGH 07.09.2020, Ro 2019/01/0005; 22.06.2018, Ra 2018/01/0285, mwN).

Das Verwaltungsgericht hat somit die Rechtmäßigkeit eines gemäß § 38a SPG angeordneten Betretungsverbots im Sinne einer objektiven ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen (vgl zur ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der einschreitenden Exekutivbeamten VwGH 05.12.2017, Ra 2017/01/0373, mwN). Dabei hat es zu beurteilen, ob die eingeschrittenen Organe entsprechend oben dargelegten Grundsätze vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (vgl VwGH 21.12.2000, 2000/01/0003, mit Verweis auf VwGH 29.07.1998, 97/01/0448 ua).

Dafür ist ein vorangegangener gefährlicher Angriff nicht notwendig, bildet aber ex lege ein Indiz für einen möglicherweise bevorstehenden gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit (arg.: „insbesondere“). Die Gefahrenprognose iSd § 38a Abs 1 SPG setzt somit weder einen solchen Angriff voraus, noch ist allein aus dem Umstand, dass es zu keinem gefährlichen Angriff des Gefährders gekommen ist, auf das Nichtvorliegen einer hinreichenden Gefahr zu schließen. Angesichts des inhärenten Präventivcharakters kann allerdings kein Zweifel bestehen, dass nach den jeweiligen Umständen etwa auch Aggressionshandlungen unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffs oder in der Vergangenheit liegende Gewaltakte als „bestimmte Tatsachen“ iSd § 38a Abs 1 SPG in Frage kommen können (vgl VwGH 24.02.2004, 2002/01/0280, mwN). So kann auch die Anwendung von Gewalt in Form „bloßer“ Misshandlungen ohne Verletzungserfolg, wie etwa Stoßen, Niederwerfen, Fußtritte, auf ein erhöhtes Aggressionspotential hinweisen und im Zusammenhang mit dem sich den Beamten bietenden Gesamtbild die Prognose eines drohenden gefährlichen Angriffs begründen (vgl etwa Thanner/Vogl, SPG² [2013], Anm 4 und 5 zu § 38a). Bei der Gesamtsituation beim Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Ausspruch des Betretungsverbots weist der Gesetzgeber auf die maßgeblichen Umstände „Verhältnis von gefährdeter Person und Gefährder, bekannte Gefahrenmomente“ hin (vgl die Erläuterungen zu § 38a SPG in RV 1151 BlgNR 25. GP , 3).

Bei der Gefährdungsprognose ist insbesondere zu beachten, dass nach der Intention des Gesetzgebers die sicherheitspolizeiliche Intervention bereits greifen soll, bevor eine strafrechtlich relevante Handlung gesetzt wird.

Gegenstand der Überprüfung durch das Verwaltungsgericht ist daher, ob für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes und ausgehend vom Wissensstand der Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens hinreichende Gründe für das Bestehen einer vom Gefährder ausgehenden, das angeordnete Betretungsverbot rechtfertigenden Gefahr iSd § 38a SPG vorlagen. Dabei hat das Verwaltungsgericht nicht seine eigene Beurteilung des sich den einschreitenden Organen bietenden Gesamtbildes und seinen eigenen Wissensstand an die Stelle des Blickwinkels der Beamten zu setzen. Die Annahme der Beamten eines bevorstehenden vom Gefährder ausgehenden gefährlichen Angriffs auf Leben, Gesundheit oder Freiheit ist somit nicht bereits dann unvertretbar und das verhängte Betretungsverbot rechtswidrig, wenn das Verwaltungsgericht die Gefährdungslage an Hand des sich den eingeschrittenen Beamten gebotenen Gesamtbildes anders einschätzt (vgl VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163).

Im vorliegenden Fall liegen die gesetzlichen Voraussetzung für den Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots vor – dies aus folgenden Gründen:

Die einschreitende Polizeibeamtin war im Zeitpunkt des Ausspruches des Betretungs- und Annäherungsverbotes über die schwierige Familiensituation und den aktuellen Streit informiert und hatte Screenshots von E-Mails und WhatsApp-Nachrichten des Beschwerdeführers gelesen, die ebenfalls auf aktuell bestehende Konflikte hinwiesen (zB „Ich wäre jetzt ganz vorsichtig“ „Was du tust“, „Bei mir ist es grade schon übergeschwappt“, „Ich habe hier heute schon die Atomraketen vorbereitet“, Wenn du jetzt noch meine alten Eltern fertig machst, zünde ich sie“). Zudem war der Polizistin von der gefährdeten Person geschildert worden, dass es am 12./13. Juni 2020 einen heftigen Streit mit ihrem Mann wegen anderer Frauen bzw Prostituierten gegeben hatte, in dessen Folge es zu einem Gerangel gekommen sei und der Beschwerdeführer mit seinen Fäusten mehrmals ins Gesicht der gefährdeten Person geschlagen hat, sodass die gefährdete Person ein blaues Auge davontrug. Lichtbilder davon zeigte die gefährdete Person der Polizeibeamtin vor. Weiters hatte die gefährdete Person gegenüber der Polizeibeamtin ausgesagt, dass ihr Mann bei einem Streit am 23. oder 24. Mai 2021 wegen Prostituierten und im Haus vorgefundenem Kokain mit einem Schürhacken, den er mit erhobener Hand hielt, der gefährdeten Person im Haus im oberen Stockwerk nachlief, sodass diese mit den Kindern und ohne Schuhe aus dem Haus flüchtete. Die gefährdete Person berichtete auch vom Drogenkonsum ihres Gatten. Auch war der Polizeibeamtin bekannt, dass der Beschwerdeführer kurz zuvor das Telefon der gefährdeten Person gesperrt hatte. Insgesamt hatte die weinerlich und eingeschüchtert wirkende gefährdete Person ihre Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass die Situation wiederum eskaliert.

 

Zudem ging die Polizeibeamtin von einem Streit zwischen den Eheleuten am 24.12.2021 aus, wobei die Polizeibeamtin fälschlicher Weise annahm, dass es auch an diesem Tag zu einem tätlichen Übergriff dahingehend gekommen sei, wonach der Beschwerdeführer seine Gattin an den Händen festgehalten hatte und sich diese losreißen musste, wobei die Beamtin klarstellte, dass sie dieses „Gerangel“ nicht als einen gefährlichen Angriff qualifizierte. Tatsächlich hatte es sich um einen rein verbalen Streit wegen dem Geld für das Weihnachtsessen und dem Bordellbesuch des Ehegatten gehandelt.

 

Die Gefahrenprognose iSd § 38a Abs 1 SPG setzt – wie bereits oben ausgeführt - keinen gefährlichen Angriff voraus und auch in der Vergangenheit liegende Gewaltakte können als „bestimmte Tatsachen“ iSd § 38a Abs 1 SPG in Frage kommen. Solche in der Vergangenheit liegenden „Tatsachen“ sind der einschreitenden Polizeibeamtin bekannt gewesen, nämlich das Schlagen mit den Fäusten ins Gesicht (Juni 2020) und das Nachlaufen mit erhobenen Schürhacken in der Hand (Mai 2021). Auch diesen Vorfällen sind Streitigkeiten der Eheleute über Prostituierte und dem Drogenkonsum des Beschwerdeführers, wie sie auch für den 24.12.2021 geschildert wurden, vorausgegangen.

Auch wenn die Polizeibeamtin zu Unrecht von einem weiteren tätlichen Übergriff am 24.12.2021 unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffs ausgegangen ist und diesem „auch“ Bedeutung im Rahmen der Gefahrenprognose zugemessen hat, kann allein deshalb noch nicht die Gesamtbeurteilung der Gefährdungssituation durch die Polizeibeamtin als unvertretbar qualifiziert werden. Denn auch bei Außerachtlassen des tatsächlich nicht stattgefundenen „tätlichen Angriffs“ (unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffs im Sinne des SPG) am 24.12.2021 liegen ausreichend von der Polizeibeamtin berücksichtigte „Tatsachen“ (insbesonders die geschilderten tätlichen Übergriffe vom Juni 2020 und Mai 2021, der verbale Streit am 24.12.2021 und die geäußerte Befürchtung einer Eskalation, die vorgelegten WhatsApp-Nachrichten des Beschwerdeführers, das Sperren des Handys, der weinerlicher und eingeschüchterte Zustand der gefährdeten Person, die schwierige Familiensituation) vor, die in einer Gesamtzusammenschau die Annahme der Polizeibeamtin vertretbar erscheinen lassen, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit der gefährdeten Person bevorsteht. Diese Beurteilung erscheint auch im Hinblick auf den Schutz- und Präventivcharakter der Maßnahmen nach § 38a SPG geboten.

 

An dieser Beurteilung ändert auch nichts der Umstand, dass sich die Familie nicht an ihren ordentlichen Wohnsitz in der Schweiz, sondern im Ferienhaus in X aufgehalten hat. In den Erläuternden Bemerkungen (RV 252, XX. GP ) wird zum Begriff „Wohnung“ in § 38a SPG ausgeführt: „Der Begriff der „Wohnung“ ist im gegebenen Zusammenhang autonom zu bestimmen; mithin ist weder die Begriffsbestimmung des § 1 Abs 4 MeldeG noch die Judikatur zum Gesetz vom 27. Oktober 1862 zum Schutze des Hausrechtes maßgeblich. Im Sinne des § 38a Abs 1 wird als Wohnung jeder abgeschlossene räumliche Bereich anzusehen sein, der Wohnzwecken dient.“ Auch eine bloß relativ kurzfristige Wohnungnahme reicht (vgl Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz Kommentar, 4. Auflage, Anm 6 zu § 38a SPG). Da das Ferienhaus X in den Weihnachtsferien der Familie zu Wohnzwecken gedient hat, ist es vom Schutzbereich des § 38a SPG umfasst.

Soweit weiters bemängelt worden ist, dass der Beschwerdeführer vor Erlassung des Betretungsverbotes nicht ausreichend gehört worden ist, ist dem Folgendes entgegenzuhalten:

Naturgemäß ist für die Erlassung eines Betretungsverbotes im Sinne des § 38a SPG ein regelrechtes Ermittlungsverfahren, also ein kontradiktorisches Verfahren mit der Möglichkeit für beide Parteien nicht vorgesehen, da es dem Charakter dieser Bestimmung als Präventivmaßnahme widersprechen würde. Dennoch darf sich die Behörde bzw deren Organe bei der Ermittlung des wesentlichen Sachverhaltes, auf den sich die Gefährdungsprognose stützt, nicht einseitig verhalten und etwa alleine auf die Anhörung der nach eigener Aussage gefährdeten Person beschränken, wenn auch der von der Maßnahme Betroffene und/oder andere, objektive Beweismittel rasch verfügbar sind.

 

Einer solchen Verweigerung einer Stellungnahmemöglichkeit nicht gleichzusetzen ist der Fall, dass die Beamten auf Grund ihrer vorläufigen Lagebeurteilung, welche sich auf eine Anzeige und auf konkrete Angaben der gefährdeten Person stützt, die Erwartung hegen, ein Betretungsverbot werde sich als notwendig erweisen. Sogar wenn die einschreitenden Polizeibeamten es für unwahrscheinlich halten, der mutmaßliche Gefährder werde in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit etwas vorweisen können, was die nach den bisher glaubhaft vorgebrachten Tatsachen wohl begründete Gefährlichkeitsprognose erschüttern könnte, muss das nicht notwendiger Weise als vorweggenommene Entscheidung verstanden werden, sondern kann unter Umständen eine durchaus realistische, auf Erfahrungswerten basierende Einschätzung darstellen (vgl Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeschwerde, Handbuch, 2016, Seite 171 f).

 

Maßgeblich ist letztlich, dass die Gelegenheit zur Stellungnahme nicht bloß pro forma eingeräumt wird, sondern die Stellungnahme auch ernstlich in die Beurteilung, auf welche sich die Gefährdungsprognose gründet, einbezogen wird.

 

Eine solche Befragung des Beschwerdeführers zu den vorgeworfenen Vorfällen hat – so die Sachverhaltsfeststellungen - auch tatsächlich stattgefunden und zwar bevor das Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen worden ist. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit eingeräumt zu den Vorwürfen seiner Ehegattin eine Stellungnahme abzugeben. Wenn dieser dabei nicht näher auf die Vorwürfe eingegangen ist und auch nicht alle Beweismittel für seinen Standpunkt vorgelegt hat (vgl seine diesbezügliche Stellungnahme vom 07.04.2022), obwohl dies grundsätzlich möglich gewesen wäre, kann dies keine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens bewirken. Es ist in diesem Zusammenhang zu kritisieren, dass gegenüber dem Beschwerdeführer vor Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots signalisiert wurde, dass seine Aussage an dem Betretungs- und Annäherungsverbot wohl nicht viel ändern werde. Eine solche Aussage sollte keinen Platz in einer rechtskonformen Amtshandlung finden. Da aber tatsächlich dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Stellungnahme vor dem Ausspruch des Betretungsverbots eingeräumt worden ist und dieser nur dahingehend davon Gebrauch gemacht hat, dass er die Aussagen seiner Gattin im Wesentlichen pauschal als falsch bezeichnet hat, scheinen letztlich keine haltbaren Anhaltspunkte dafür auf, dass die Polizeibeamtin unter Außerachtlassung eines maßgeblichen Vorbringens des Beschwerdeführers ihre Entscheidung getroffen hat.

 

 

VI. Ergebnis:

 

Obwohl der einschreitenden Polizeibeamtin sohin Fehler bei der Erlassung des gegenständlichen Betretungs- und Annäherungsverbots unterlaufen sind, werden diese nicht als so maßgeblich erachtet, dass dadurch der Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots als nicht vertretbar und daher rechtswidrig zu qualifizieren ist.

 

Die Voraussetzungen für den Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots sind im vorliegenden Fall vorgelegen. Die Polizistin konnte somit ex-ante betrachtet vertretbar aufgrund der vorliegenden „Tatsachen“ annehmen, dass ein gefährlicher Angriff des Beschwerdeführers auf Gesundheit, Leben oder Freiheit der gefährdeten Person bevorsteht. Auch wenn mit dem Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots am 24.12.2021 ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden gewesen ist, erscheint die Maßnahme im Hinblick auf den Schutz der gefährdeten Person vor einem gefährlichen Angriff auf ihre Gesundheit verhältnismäßig.

 

Die Maßnahmenbeschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen.

 

VII. Zur Kostenentscheidung:

 

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 35 Abs 1 und 3 VwGVG, wonach die im Verfahren nach Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei hat. Im vorliegenden Fall ist die belangte Behörde die obsiegende Partei.

 

Gemäß § 35 Abs 7 VwGVG ist Aufwandersatz auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

 

Beantragt wurde seitens der belangten Behörde der Vorlageaufwand in Höhe von Euro 57,40 und der Schriftsatzaufwand in Höhe von Euro 368,80.

 

Die zugesprochenen Kosten setzen sich daher gemäß § 1 Z 3 und Z 4 der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II Nr 517/2013, aus dem Vorlageaufwand in Höhe von EUR 57,40 und dem Schriftsatzaufwand in Höhe von EUR 368,80, sohin gesamt EUR 426,20, zusammen.

 

 

 

VIII. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist zulässig, weil es bislang an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage fehlt, ob die falsche Annahme einer „Tatsache“ im Sinne des §38a Abs 1 SPG und deren Berücksichtigung im Rahmen der Gefährdungsprognose zu einer Rechtswidrigkeit des Betretungs- und Annäherungsverbots führt, auch wenn die sonstigen von der einschreitenden Polizeibeamtin berücksichtigten „Tatsachen“ den Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots rechtfertigen.

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrens-hilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

 

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr.in Kroker

(Richterin)

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