VwGH Ra 2022/21/0114

VwGHRa 2022/21/011417.11.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S R, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. Mai 2022, W212 2242932‑1/7E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56
FrPolG 2005 §52 Abs4
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z6
MRK Art8 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022210114.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein 1975 geborener serbischer Staatsangehöriger, lebt seit Juni 2016 in Österreich. Aufgrund seiner (mittlerweile wieder geschiedenen) Ehe mit einer in Österreich (infolge eines ihr erteilten Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“) aufenthaltsberechtigten serbischen Staatsangehörigen wurde ihm erstmals mit Wirkung vom 20. Februar 2017, zuletzt verlängert bis 19. Februar 2021, der Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ erteilt. Am 21. Jänner 2021 stellte er einen weiteren Verlängerungsantrag.

2 Mit Bescheid vom 22. April 2021 erließ das von der Niederlassungsbehörde wegen Nichterfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung (insbesondere Fehlens eines Nachweises von Deutschkenntnissen auf dem Niveau A2) befasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber (unter Einräumung einer Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen) gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG erließ das BFA überdies gegen den Revisionswerber wegen dessen Mittellosigkeit ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 16. Mai 2022 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der dagegen erhobenen Beschwerde ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung insofern statt, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf achtzehn Monate herabsetzte, und es wies die Beschwerde im Übrigen als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:

5 Die Revision erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als zulässig und auch als berechtigt, weil das BVwG ‑ wie in der Revision im Ergebnis zutreffend aufgezeigt wird ‑ seine Entscheidung in wesentlichen Punkten nicht nachvollziehbar begründet hat.

6 Das BVwG traf die Feststellung, der unbescholtene, gesunde und arbeitsfähige Revisionswerber sei nach näher dargestellten früheren Erwerbstätigkeiten und einer vom 27. Februar bis zum 8. Juli 2021 andauernden Arbeitslosigkeit, während der er Arbeitslosengeld bezogen habe, in der Zeit danach wiederum unselbständig beschäftigt gewesen und habe monatlich zwischen 1.600,‑‑ und 1.860,‑‑ € [netto] verdient; er sei selbsterhaltungsfähig und verfüge über Versicherungsschutz. Insofern haben sich ‑ wie schon an dieser Stelle festzuhalten ist ‑ die Verhältnisse seit der Erlassung des Einreiseverbotes durch das BFA mittlerweile geändert.

7 Trotzdem ging das BVwG dann in der rechtlichen Beurteilung von der Verwirklichung des Einreiseverbotstatbestandes des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG (der Revisionswerber vermöge den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen) aus. Es begründete diese Ansicht damit, dass der aufgrund des rechtzeitigen Verlängerungsantrages gemäß § 24 Abs. 1 NAG rechtmäßige Aufenthalt des Revisionswerbers mit der vorliegenden Entscheidung unrechtmäßig werde, sodass er kein weiteres Einkommen aus legalen Quellen ins Verdienen bringen könne. Da sonstige Vermögenswerte weder behauptet noch belegt worden seien, sei von der Mittellosigkeit des Revisionswerbers auszugehen.

8 Diese Überlegungen sind schon deshalb nicht schlüssig, weil dann (bei Vermögenslosigkeit) in jedem Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot wegen daraus folgender Mittellosigkeit zu verhängen wäre. Eine solche Absicht ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Vielmehr hätte die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nunmehr gegebene Selbsterhaltungsfähigkeit aufgrund eines Erwerbseinkommens keine negative Prognose erlaubt, der Revisionswerber werde im Fall einer legalen Wiedereinreise mittellos sein und es könnte sich die damit verbundene Gefahr der Erzielung eines Einkommens aus illegalen Quellen verwirklichen. Demzufolge hätte das BVwG das vom BFA wegen der damals noch gegebenen Mittellosigkeit erlassene Einreiseverbot ersatzlos beheben müssen.

9 Da sich die wiedergegebene Begründung des BVwG für das gegen den Revisionswerber erlassene Einreiseverbot somit im vorliegenden Fall als von vornherein nicht tragfähig erweist, war es nicht erforderlich, auf die Überlegungen des Verfassungsgerichtshofs in seinem zur Bestimmung des § 53 Abs. 1 Z 6 FPG ergangenen Prüfungsbeschluss VfGH 4.10.2022, E 3763‑3764/2021, einzugehen.

10 Das Unterbleiben der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung begründete das BVwG unter Hinweis auf § 21 Abs. 7 BFA‑VG ausschließlich damit, dass bereits aufgrund der Aktenlage die Notwendigkeit festgestanden sei, den angefochtenen Bescheid des BFA aufzuheben.

11 Diese Begründung steht allerdings in Widerspruch zu der vom BVwG getroffenen ‑ im Wesentlichen, insbesondere in Bezug auf die Rückkehrentscheidung, den Bescheid des BFA bestätigenden ‑ Entscheidung und vermag daher das Unterbleiben der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Verhandlung nicht zu tragen. Die Durchführung einer Verhandlung war im vorliegenden Fall aber insbesondere deshalb geboten, weil der Revisionswerber bereits in dem vom BFA geführten Verfahren nicht persönlich angehört, sondern lediglich zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert worden war. Angesichts dessen hätte die Unterlassung einer Beschwerdeverhandlung zumindest einer nachvollziehbaren Begründung, die nicht auf aktenwidrigen Prämissen beruht, bedurft.

12 Das angefochtene Erkenntnis war somit schon deshalb zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13 Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. November 2022

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