VwGH Ra 2022/20/0240

VwGHRa 2022/20/024030.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann‑Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision der N J, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert‑Sattler‑Gasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2022, W215 2145005‑2/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200240.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Mongolei, stellte erstmals am 3. Jänner 2015 ‑ damals gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren mittlerweile volljährigen zwei Kindern ‑ einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Die Anträge sämtlicher Familienmitglieder blieben erfolglos. Sie wurden im Instanzenzug mit den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts je vom 23. Juli 2020 als unbegründet abgewiesen und Rückkehrentscheidungen erlassen.

3 Am 29. Jänner 2021 stellte die Revisionswerberin gemeinsam mit ihren Kindern erneut Anträge auf internationalen Schutz.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 26. Juli 2021 ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Mongolei zulässig sei. Der Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht eingeräumt. An die Kinder der Revisionswerberin ergingen gleichförmige Entscheidungen.

5 Den von der Revisionswerberin und ihren Kindern dagegen erhobenen Beschwerden gab das Bundesverwaltungsgericht zunächst mit den Teilerkenntnissen vom 10. September 2021 jeweils gemäß § 18 Abs. 5 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung statt und hob die diesbezüglichen behördlichen Aussprüche auf.

6 Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2022 wurde der Beschwerde der Revisionswerberin insoweit stattgegeben, als ihr eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen eingeräumt wurde. Im Übrigen wurde ihre Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

7 Den Beschwerden ihrer Kinder wurde insoweit stattgegeben als die Erlassung von Rückkehrentscheidungen gegen sie für auf Dauer unzulässig erklärt wurde und ihnen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ mit einer Gültigkeit von zwölf Monaten erteilt wurden.

8 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der von der Revisionswerberin gegen das Erkenntnis vom 18. Februar 2022 erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 14. Juni 2022, E 1220/2022‑7, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof ab. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Die Revisionswerberin wendet sich in der Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision ausschließlich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die dabei nach § 9 BFA‑VG vorgenommene Interessenabwägung.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. VwGH 30.5.2022, Ra 2022/20/0132, mwN).

14 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. erneut VwGH 30.5.2022, Ra 2022/20/0132, mwN).

15 Die Revisionswerberin bringt vor, das Bundesverwaltungsgericht sei fälschlicherweise von dem Familienbegriff des § 2 Abs. 1 Z 9 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) ausgegangen. Sie habe entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts eine enge Beziehung zu ihren volljährigen Kindern. Auch ihr Ehemann lebe in Österreich. Sie halte zu diesem ‑ trotz Trennung ‑ Kontakt.

16 Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 1.10.2020, Ra 2020/20/0332, mwN).

17 Das Bundesverwaltungsgericht ging im Rahmen seiner Erwägungen von einem gemeinsamen Haushalt der Revisionswerberin und ihren volljährigen Kindern aus. Es verneinte allerdings die Existenz von Merkmalen der Abhängigkeit, die über die üblichen Bindungen einer Mutter zu ihren volljährigen Kindern hinausgingen.

18 Die Revisionswerberin zeigt keine zusätzlichen Merkmale der Abhängigkeit, die über die üblichen Bindungen einer Mutter zu ihren volljährigen Kindern hinausgehen, auf, welche das Bundesverwaltungsgericht nicht berücksichtigt hätte. Vor diesem Hintergrund und mit ihrem bloßen Verweis auf den Umstand, dass sie zu ihrem in Österreich lebenden Ehemann trotz erfolgter Trennung noch in Kontakt stehe, gelingt es der Revisionswerberin nicht aufzuzeigen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung unvertretbar wäre.

19 Soweit die Revisionswerberin weiters vorbringt, sie hätte zu ihrem Herkunftsstaat jegliche Bindung verloren, ist darauf hinzuweisen, dass sie den Feststellungen zufolge in der Mongolei geboren wurde, dort die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen hat sowie ein College für Textilindustrie und Bekleidungsherstellung absolviert hat. Sie hat den Großteil ihres Lebens in der Mongolei verbracht und verfügt dort nach wie vor über ein großes familiäres Netzwerk. Mit ihrem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe jegliche Beweiswürdigung hinsichtlich ihres Privatlebens unterlassen, zeigt die Revisionswerberin zudem nicht auf, dass die vorgenommenen beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts unvertretbar wären (vgl. zum betreffend die Beweiswürdigung im Revisionsverfahren gegebenen Prüfkalkül etwa VwGH 24.6.2022, Ra 2021/20/0052, mwN).

20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 30. September 2022

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