VwGH Ra 2022/19/0288

VwGHRa 2022/19/028824.11.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des B S, vertreten durch Mag. Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 2022, W107 2195820‑1/22E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022190288.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 9. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen seine bereits erfolgte und auch bei einer Rückkehr drohende Verfolgung durch die Taliban wegen seiner Tätigkeit als Soldat bei der afghanischen Nationalarmee vor.

2 Mit Bescheid vom 13. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu, erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, dass sich die Beurteilung des BVwG, dem Revisionswerber drohe als ehemaliger Soldat der afghanischen Nationalarmee keine asylrelevante Verfolgung, nicht mit den Länderfeststellungen des Erkenntnisses decke. Diese würden zur Verfolgungsgefahr ehemaliger afghanischer Soldaten nicht danach unterscheiden, wann die Betroffenen Afghanistan verlassen hätten, welche Funktion sie bei der Armee innegehabt oder ob sie gegen die Taliban gekämpft hätten. Aus den getroffenen Länderfeststellungen ergebe sich vielmehr, dass allen ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte asylrelevante Verfolgung durch die Taliban drohe. Dabei stütze sich das BVwG auf „frühere Länderberichte“, wobei nicht klar sei, welche es meine. Daher sei das Erkenntnis auch nicht überprüfbar.

8 Die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, hat je nach individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 24.8.2022, Ra 2022/19/0018, mwN).

9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verlangen sowohl die UNHCR‑Richtlinien für die Gefährdungsbeurteilung von Personen, die ein Risikoprofil erfüllen, als auch die EUAA Country Guidance eine Beurteilung der jeweiligen Umstände des Falles und lassen nicht den Schluss zu, dass jeder Asylsuchende, der unter ein Risikoprofil falle, einer landesweiten Verfolgung ausgesetzt wäre (vgl. erneut VwGH Ra 2022/19/0018, mwN).

10 Das BVwG stellte im vorliegenden Fall zunächst fest, dass der Revisionswerber in der afghanischen Nationalarmee ein Sanitäter im Rang eines „einfachen“ Soldaten gewesen sei, aber an keinen militärischen Auseinandersetzungen teilgenommen habe. Aufgrund der als vage und widersprüchlich gewerteten Angaben des Revisionswerbers ging das BVwG beweiswürdigend von der Unglaubwürdigkeit der behaupteten Bedrohung des Revisionswerbers durch die Taliban in der Vergangenheit aus. Seine Familie lebe nach wie vor unbehelligt im Heimatdorf. Wenn auch der Revisionswerber als (ehemaliger) Soldat grundsätzlich unter das von EUAA beschriebene Risikoprofil der Personen mit Verbindungen zur früheren afghanischen Regierung falle, sei eine Verfolgung durch die Taliban nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, weil sich den aktuellen Länderberichten eine generelle und systematische Verfolgung aller ehemaligen (einfachen) Soldaten bzw. Sicherheitskräfte der afghanischen Sicherheitskräfte nicht entnehmen lasse. Überdies halte sich der Revisionswerber seit etwa sieben Jahren nicht mehr in Afghanistan auf, habe keine höhere, exponierte Funktion bei der afghanischen Nationalarmee innegehabt und sei insbesondere nie an direkten Kämpfen mit den Taliban beteiligt gewesen.

11 Diese einzelfallbezogene Beurteilung beruht auf mehreren, unbedenklich erscheinenden Überlegungen, wobei das BVwG auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 10. August 2022 einbezog. Ihre Unvertretbarkeit zeigt die Revision, die auch der Beweiswürdigung bezüglich der früheren Verfolgung des Revisionswerbers durch die Taliban nicht entgegentritt, nicht auf.

12 Ferner macht die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung geltend, das BVwG stütze seine Beurteilung in erster Linie auf ein in der mündlichen Verhandlung erstattetes, mit Mängeln behaftetes Gutachten, dessen Schlüssigkeit ebenfalls nicht überprüfbar sei.

13 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 6.9.2022, Ra 2022/19/0138, mwN).

14 Zwar ist der Revision beizupflichten, dass das in der mündlichen Verhandlung erstattete Gutachten nicht den in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gestellten Anforderungen an ein Sachverständigengutachten gerecht wird (vgl. dazu etwa VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350, mwN). Der Revision gelingt es jedoch bereits deshalb nicht, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzulegen, weil das BVwG ‑ wie in den Ausführungen in der Rn. 10 ersichtlich ist ‑ seine Beweiswürdigung nicht ausschließlich auf diese gutachterliche Stellungnahme gestützt hat. Da bereits die Gesamtheit der übrigen beweiswürdigenden Ausführungen die Beurteilung des BVwG trägt, kommt es auf die länderkundliche Stellungnahme im gegenständlichen Fall nicht an (vgl. ähnlich VwGH 18.12.2020, Ra 2020/19/0332).

15 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 24. November 2022

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