VwGH Ra 2022/19/0048

VwGHRa 2022/19/004819.5.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk‑Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision der M A H, vertreten durch Dr. Hubert Hagspiel, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 7/II, als bestellten Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Stefan Huchler, Rechtsanwalt in 6845 Hohenems, Franz‑Michael‑Felder‑Straße 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Jänner 2022, L507 2247641‑1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022190048.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist libanesische Staatsangehörige und wurde am 3. Juni 2021 im Bundesgebiet geboren.

2 Mit Erkenntnis vom 19. November 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Beschwerdeverfahren die Anträge der Eltern und der zwei älteren Geschwister der Revisionswerberin auf internationalen Schutz ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Libanon zulässig sei, und setzte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Die Eltern der Revisionswerberin stellten für die Revisionswerberin am 16. Juni 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei sie für die Revisionswerberin keine eigenen Fluchtgründe angaben.

4 Mit Bescheid vom 21. September 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Revisionswerberin ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Libanon zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe nicht berücksichtigt, dass der Libanon ein „failed state“ sei, der seine Bürger nicht ausreichend vor Verfolgung schützen könne bzw. wolle. Auch der mangelnde Schutz vor privater Verfolgung rechtfertige die Gewährung von Asyl im Sinne des § 3 AsylG 2005.

10 Mit diesem Vorbringen geht die Revision ins Leere, weil für die Revisionswerberin keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, also auch keine Verfolgung durch Private behauptet wurde, und die Anträge ihrer Familienangehörigen auf internationalen Schutz mit Erkenntnis des BVwG vom 19. November 2020 rechtskräftig abgewiesen wurden.

11 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit des Weiteren vor, das BVwG habe in seinem Erkenntnis das Kindeswohl nicht berücksichtigt. Aus den Länderinformationen ergebe sich, dass bei Personengruppen, die im Libanon kein Vermögen hätten, die Gefahr bestehe, zur Kinderarbeit eingesetzt zu werden.

12 Soweit sich die Revision mit diesem Vorbringen gegen die Abweisung des Antrages der Revisionswerberin auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten wendet, gelingt es ihr mit dem pauschalen Hinweis auf „Personengruppen, die im Libanon kein Vermögen hätten“, ohne konkreten Bezug zu dem angefochtenen Erkenntnis nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel vorliegt und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 14.1.2022, Ra 2021/19/0009, mwN).

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA‑VG dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. VwGH 18.3.2022, Ra 2021/19/0395, mwN).

15 Das BVwG berücksichtigte bei seiner Interessenabwägung nach § 9 Abs. 1 BFA‑VG im Hinblick auf das Kindeswohl, dass die Revisionswerberin im Entscheidungszeitpunkt des BVwG sieben Monate alt sei, keinen persönlichen Bezug zum Libanon habe, sich in einem anpassungsfähigen Alter befinde, im Libanon über Angehörige (Großeltern, Onkel und Tanten bzw. Eltern und Geschwister) verfüge und dass ihr ihre wichtigsten Bezugspersonen (Eltern und Geschwister), die ihr den Erwerb der arabischen Sprache ermöglichen könnten, bei einer Rückkehr erhalten bleiben würden.

16 Die Revision zeigt mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen nicht auf, dass die vom BVwG in diesem Punkt vorgenommene Interessenabwägung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet.

17 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung des Weiteren gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 und führt dazu aus, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob für ein minderjähriges Kind, das jünger als ein Jahr sei, selbstständig ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 beantragt werden könne.

18 § 57 Abs. 1 AsylG 2005 regelt drei Fälle, in denen im Inland aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ von Amts wegen oder auf begründeten Antrag zu erteilen ist, wobei die Revision offenbar nur § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 anspricht. Gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine solche Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Die von der Revision aufgeworfene Frage erübrigt sich somit bereits vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Revisionswerberin um keine im österreichischen Bundesgebiet geduldete Person handelt.

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. Mai 2022

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