VwGH Ra 2022/06/0081

VwGHRa 2022/06/00813.10.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache 1. der G B und 2. des G B, beide in V, beide vertreten durch Dr. Mag. Michael E. Sallinger und Dr. Christof Rampl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 19. April 2022, LVwG‑2021/43/0358‑46, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck; mitbeteiligte Partei: W V GmbH, vertreten durch König, Ermacora, Klotz & Partner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Erlerstraße 4), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §8
BauO Tir 2018 §33 Abs3 lita
BauRallg
ROG Tir 2016 §39 Abs2
ROG Tir 2016 §40 Abs1
ROG Tir 2016 §40 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022060081.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wurde die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 29. Dezember 2020, mit welchem der mitbeteiligten Partei die Baubewilligung für die Errichtung einer multifunktionelle Gewerbehalle samt Betriebswohnungen auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG V. (im Folgenden: Baugrundstück) erteilt worden war, mit einer sich auf die im Beschwerdeverfahren vorgenommenen Abänderungen des Bauprojektes beziehenden Maßgabe als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht ‑ soweit für den Revisionsfall relevant ‑ zunächst fest, dass das Baugrundstück im Flächenwidmungsplan der Gemeinde V. als Sonderfläche für Widmung mit Teilfestlegungen, nämlich im westlichen Bereich gemäß § 39 Abs. 2 Tiroler Raumordnungsgesetz 2016 ‑ TROG 2016 als Gewerbe- und Industriegebiet mit Einschränkungen und in dem ‑ an das Grundstück der revisionswerbenden Parteien, welches als Wohngebiet gewidmet sei, anschließenden ‑ östlichen Bereich gemäß § 40 Abs. 2 und 6 TROG 2016 als Allgemeines Mischgebiet mit Einschränkungen, weiters eingeschränkt auf Wohnungen gemäß § 40 Abs. 6 TROG 2016 ausgewiesen sei (wird näher ausgeführt).

6 In Bezug auf das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien, wonach mit der Widmung Allgemeines Mischgebiet nach § 40 Abs. 1 und 2 TROG 2001 ein Immissionsschutz verbunden sei, führte das Verwaltungsgericht aus, dass die revisionswerbenden Parteien als Nachbarn im Rahmen des § 33 Abs. 3 lit. a Tiroler Bauordnung 2018 ‑ TBO 2018 zwar eine allfällige Beeinträchtigung der Wohnqualität im Sinn des § 40 Abs. 1 TROG 2016 geltend machen, nicht aber die Einhaltung zusätzlicher Festlegungen nach § 40 Abs. 2 TROG 2016 durchsetzen könnten. In diesem Zusammenhang verwies das Verwaltungsgericht zum einen auf § 40 Abs. 2 TROG 2016, welcher auf die in § 39 Abs. 2 lit. b bis e genannten Gründe Bezug nehme, und zum anderen auf die Erläuterungen zur Novelle des TROG 1994, LGBl. Nr. 4/1996, aus welchen sich ergebe, dass der Landesgesetzgeber mit der Möglichkeit, innerhalb der Widmungskategorie Mischgebiet (bzw. Gewerbe- und Industriebetrieb) die Zulässigkeit von Betrieben weiter einzuschränken, keineswegs einen Immissionsschutz für die Nachbarn bezweckt habe, sondern bewusst und aus verfassungsrechtlicher Notwendigkeit lediglich öffentliche Interessen als derart gewichtig anerkannt habe, dass sie einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigen könnten. Ein Immissionsschutz für die revisionswerbenden Parteien könne im vorliegenden Fall somit lediglich aus § 40 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 TROG 2016 abgeleitet werden.

7 Nach den im Verfahren seitens des immissionstechnischen Amtssachverständigen erstatteten Gutachten werde durch die geplante Nutzung des Bauplatzes unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten die Wohnqualität im betreffenden Gebiet, insbesondere durch Lärm oder Luftschadstoffe, nicht wesentlich beeinträchtigt. Zum Verlangen der revisionswerbenden Parteien, dass die Berechnungen des Amtssachverständigen anhand eines weiteren Windmodells erneut vorgenommen werden müssten, verwies das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung auf die zur Frage des für die Berechnung der vorliegenden Angelegenheit heranzuziehenden Windmodells in der mündlichen Verhandlungen erstatteten Erläuterungen des Amtssachverständigen, wonach die Daten der Windmessstelle B. für die Beurteilung des vorliegenden Falles die bessere Qualität aufwiesen. Dem durch keinerlei fachkundige Ausführungen unterlegten Begehren der revisionswerbenden Parteien, es möge nach einem anderen, vom Amtssachverständigen als weniger geeignet erkannten Windmodell eine weitere Berechnung durchgeführt werden, sei daher nicht zu folgen gewesen.

In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision bringen die revisionswerbenden Parteien vor, das Verwaltungsgericht habe die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Immissionsschutz im Sinn der TBO 2018 und tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes verkannt bzw. fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dazu. Das Verwaltungsgericht habe nicht beachtet, dass die Regelung des § 39 Abs. 2 TROG 2016 bzw. § 40 Abs. 2 TROG 2016 die Festlegung von Betriebsverboten im Wege einer Zonierung erlaube und damit ausdrückliche Schutzbestimmungen normiert würden, die im Bauverfahren als subjektiv-öffentliches Nachbarrecht geltend gemacht werden könnten. Bei den Festlegungen handle es sich sohin um einen Immissionsschutz, der von den revisionswerbenden Parteien geltend gemacht werden könne. Zudem seien die Festlegungen des Flächenwidmungsplanes nach den Ausführungen im ortsplanerischen Gutachten aufgrund der Wohnnutzung des Grundstückes der revisionswerbenden Parteien und damit im Interesse der Nachbarn erfolgt, um einen Emissionsschutz zu gewährleisten.

8 Ungeachtet dessen habe sich das Verwaltungsgericht mit den Beweisanträgen im Zusammenhang mit der Immissionsbelastung der revisionswerbenden Parteien überhaupt nicht befasst. Der immissionstechnische Sachverständige habe ein gänzlich anderes Windmodell herangezogen und die seitens der revisionswerbenden Parteien beantragte Vergleichsberechnung sei nicht durchgeführt bzw. über den Antrag nicht abgesprochen worden, sodass die Immissionsbelastung nicht abschließend geklärt worden sei. Zudem sei der Antrag der revisionswerbenden Parteien auf Offenlegung der seitens des immissionstechnischen Sachverständigen auf der Immissionshöhe von 4 m durchgeführten Berechnungen nicht behandelt worden.

Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage dargelegt, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

9 Zunächst ist festzuhalten, dass dann, wenn die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig ist, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht vorliegt, und zwar selbst dann nicht, wenn zu einer der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist (vgl. etwa VwGH 7.9.2017, Ra 2017/06/0146, mwN).

10 Dies ist hier der Fall: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt dem Nachbarn gemäß § 33 Abs. 3 lit. a TBO 2018 ein Mitspracherecht hinsichtlich der Festlegungen des Flächenwidmungsplanes zu, soweit damit ein https://www.ris.bka.gv.at/MarkierteDokumente.wxe?Abfrage=Vwgh&Entscheidungsart=Undefined&Sammlungsnummer=&Index=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=True&GZ=&VonDatum=&BisDatum=06.09.2022&Norm=Bauo Tir*&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=50&Suchworte=Immissionsschutz* Nachbar*&WxeFunctionToken=1b9e0297-bc62-4fb0-a321-f742350be23b#hit1Immissionsschutz verbunden ist. Daraus ergibt sich, dass dem Nachbarnhttps://www.ris.bka.gv.at/MarkierteDokumente.wxe?Abfrage=Vwgh&Entscheidungsart=Undefined&Sammlungsnummer=&Index=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=True&GZ=&VonDatum=&BisDatum=06.09.2022&Norm=Bauo Tir*&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=50&Suchworte=Immissionsschutz* Nachbar*&WxeFunctionToken=1b9e0297-bc62-4fb0-a321-f742350be23b#hit4 kein Mitspracherecht hinsichtlich der Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan schlechthin zusteht, sondern nur insoweit, als mit der Flächenwidmung ein Immissionsschutz verbunden ist (vgl. dazu etwa das zu § 25 Abs. 3 lit. a TBO 2001 ergangene Erkenntnis VwGH 24.10.2017, Ro 2014/06/0067 und 0069, mwN). Demgemäß hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt, dass mit der Widmung Allgemeines Mischgebiet ein Immissionsschutz verbunden ist und die revisionswerbenden Nachbarn somit eine allfällige wesentliche Beeinträchtigung der Wohnqualität geltend machen können (vgl. § 40 Abs. 2 erster Satz und § 40 Abs. 1 zweiter Satz TROG 2016). Dass ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht auch aus den gemäß § 40 Abs. 2 zweiter Satz in Verbindung mit § 39 Abs. 2 TROG 2016 normierten Kriterien für die Detailfestlegungen abgeleitet werden könne, trifft hingegen nicht zu. Abgesehen davon, dass sich diese Bestimmung an den Verordnungsgeber wendet (vgl. dazu auch VwGH 24.10.2017, Ro 2014/06/0067 und 0069, zu § 43 Abs. 5 TROG 2011), wird in § 40 Abs. 2 zweiter Satz TROG 2016 auf die lit. a des § 39 Abs. 2 leg. cit. (welche Einschränkungen aufgrund von Immissionen zulässt) nicht verwiesen und es enthalten die lit. b bis e des § 39 Abs. 2 leg. cit. keine Bezugnahme auf Immissionen.

11 Wenn in der Zulässigkeitsbegründung weiters das Vorliegen von Verfahrensmängeln im Zusammenhang mit den immissionstechnischen Gutachten behauptet wird, ist auszuführen, dass bei Verfahrensmängeln nach der ständigen hg. Rechtsprechung in den Zulässigkeitsgründen auch die Relevanz des Verfahrensmangels dargetan werden muss. Das heißt, dass der behauptete Verfahrensmangel geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für die revisionswerbende Partei günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. etwa VwGH 25.2.2020 Ra 2020/06/0065 und 0066, mwN). Mangels Relevanzdarstellung genügt die vorliegende Revision diesen Anforderungen nicht.

12 Unabhängig davon ist festzuhalten, dass sich das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung mit dem Einwand der revisionswerbenden Parteien gegen das vom Amtssachverständigen herangezogene Windmodell und deren Begehren auf Heranziehung eines anderen Windmodells befasst hat. Mit diesen Ausführungen setzt sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht auseinander.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 3. Oktober 2022

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