European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020160.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 25. Februar 2022, mit dem er einer Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet von 50 km/h um 71 km/h) für schuldig erachtet und über ihn gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tage) verhängt worden war, als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig.
2 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
3 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
4 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Frage deren Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht, es fehle Rechtsprechung zur Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, ob für den Revisionswerber ‑ unter Außerachtlassung seiner bescheidmäßig festgestellten Berechtigung, ein Blaulicht zu führen, welches er jedoch nicht montiert gehabt habe ‑ eine Notstandssituation im Sinn des § 6 VStG vorgelegen sei. Folgte man der Ansicht des Verwaltungsgerichts, wäre die Einhaltung der StVO offenbar das höchst zu schützende Rechtsgut, weshalb eine Güter- bzw. Interessenabwägung, insbesondere wie sie auch nach § 6 VStG zu berücksichtigen sei, generell nicht mehr zu erfolgen habe, da jegliche Güter- und Interessenabwägung stets zu Gunsten der StVO zu treffen sei.
6 Er sei in die Klinik gefahren, um bei zwei Patienten, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation befunden hätten und deren Behandlung unmöglich habe aufgeschoben werden können, lebensrettende Notoperationen durchzuführen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts aber hätte er eine erhebliche Verzögerung der Ankunft in der Klinik und somit erhebliche Nachteile für seine beiden Patienten in Kauf nehmen müssen, um sich gesetzeskonform zu verhalten. Ein entschuldigender Notstand liege aber bereits bei viel geringwertigen Schutzinteressen, wie beispielsweise beim Versuch, das Leben eines Pferdes zu retten, vor (Hinweis auf eine Entscheidung des UVS Steiermark).
7 Unter Notstand im Sinne des § 6 VStG 1950 kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht (vgl. etwa VwGH 27.7.2022, Ra 2022/02/0119, mwN).
8 Die Beurteilung, ob eine die Strafbarkeit ausschließende Notstandssituation gemäß § 6 VStG vorliegt, hat sich am festgestellten Sachverhalt zu orientieren und bildet damit keine über den jeweiligen Fall hinausgehende, grundsätzliche Rechtsfrage. Der Verwaltungsgerichtshof hat im geltenden Revisionsmodell damit bereits die rechtliche Einordnung sachverhaltsbezogener Fragen im Zusammenhang mit der Annahme der Notstandssituation gemäß § 6 VStG der jeweiligen einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht zugeordnet. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung könnte in diesem Zusammenhang nur vorliegen, wenn die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen wäre (vgl. VwGH 15.11.2016, Ra 2016/02/0229; 24.10.2016, Ra 2015/02/0243, mwN).
9 Nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts war der Revisionswerber zwar in Besitz einer näher dargestellten kraftfahrrechtlichen Bewilligung unter Auflagen zum Anbringen von Warnleuchten mit blauem Licht und Folgetonhorn für den genannten PKW, hat aber während der Fahrt damit von I zum Krankenhaus in H keines der Einsatzmittel am Fahrzeug angebracht. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dass ausgehend vom fallbezogenen Sachverhalt dem Revisionswerber ein rechtmäßiges Alternativverhalten möglich und angesichts dessen, dass mit der Anbringung des Blaulichts nahezu kein nennenswerter zeitlicher Aufwand verbunden sei, auch zumutbar gewesen wäre. Die Verpflichtung zum Anbringen des Blaulichts und der Verwendung zumindest eines Einsatzmittels diene eben gerade dazu, dem in Rufbereitschaft befindlichen Arzt bei einem Notfall ein rasches Erreichen des Einsatzortes zu ermöglichen und die mit einer diesfalls erlaubten höheren Geschwindigkeit verbundenen Gefahren für den Bewilligungsinhaber sowie für andere Verkehrsteilnehmer durch die Kennzeichnung als Einsatzfahrzeug auf einer Einsatzfahrt herabzusetzen. Im Zuge der Strafbemessung wies das Verwaltungsgericht auf die erhebliche Gefährdung der Verkehrssicherheit hin, die durch das hohe Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung und die fehlende Möglichkeit der anderen Verkehrsteilnehmer, sich auf das Herannahen dieses Fahrzeugs einzustellen, verbunden gewesen sei.
10 Dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts im Sinn der oben dargestellten Judikatur unvertretbar wäre, zeigt die Revision mit ihrem Vorbringen in der für die Frage der Zulässigkeit allein maßgebliche Zulässigkeitsbegründung nicht auf. Die Revision führt auch keine Abweichung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes ins Treffen und es ist eine solche auch nicht ersichtlich.
11 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 1. September 2022
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