VwGH Ra 2021/22/0009

VwGHRa 2021/22/00098.2.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des A C, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. Oktober 2020, VGW‑151/084/12029/2020‑2, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §16
AVG §56
AVG §66 Abs4
B-VG Art130 Abs1 Z1
B-VG Art130 Abs1 Z3
NAG 2005 §19 Abs2
NAG 2005 §19 Abs6 idF 2020/I/024
NAG 2005 §24 Abs2
NAG 2005 §55 Abs6
NAG 2005 §64
VwGG §42 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §8
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220009.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein kasachischer Staatsangehöriger, stellte am 22. Jänner 2019 einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung „Student“ gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

2 Mit Aktenvermerk vom 17. Dezember 2019 stellte der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) das Verfahren über diesen Verlängerungsantrag gemäß § 19 Abs. 6 NAG ein. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Zustellung von Unterlagenanforderungen an den Revisionswerber vom 12. Juni 2019 und vom 30. Oktober 2019 sei gescheitert. Der Revisionswerber sei seit 24. September 2019 nicht mehr in Österreich gemeldet. Der Versuch, durch die Magistratsabteilung 6 (MA 6) eine neue Zustelladresse zu eruieren, sei ebenfalls fehlgeschlagen; der Revisionswerber sei laut Schreiben der MA 6 von seiner bisherigen Wohnadresse ausgezogen. Über die Folgen der Nichtbekanntgabe der Änderung der Zustelladresse sei der Revisionswerber im Zuge der Antragstellung belehrt worden.

3 Auf ein Schreiben des Revisionswerbers vom 1. März 2020, mit dem er die belangte Behörde um Bekanntgabe des Verfahrensstandes ersuchte, erwiderte diese mit Schreiben vom 7. Mai 2020, der Revisionswerber möge sich an das Erstantragszentrum wenden.

4 In der Folge stellte der Revisionswerber am 20. Mai 2020 einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Student“.

5 Mit Bescheid vom 4. August 2020 wies die belangte Behörde diesen Antrag ab. Begründend führte sie aus, der Revisionswerber sei nach Abschluss des vorangegangenen Verfahrens seit 18. Dezember 2019 nicht mehr zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Zudem sei er als kasachischer Staatsangehöriger nicht dazu berechtigt, einen Erstantrag im Bundesgebiet zu stellen. Der begehrte Aufenthaltstitel habe somit nicht erteilt werden können.

6 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. Oktober 2020 (mit einer für die vorliegende Revisionssache nicht erheblichen Maßgabe) als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig.

Das Verwaltungsgericht stellte (über den oben dargelegten Verfahrensgang hinaus) fest, der vom Revisionswerber selbst unterschriebene Verlängerungsantrag vom 22. Jänner 2019 enthalte einen Hinweis auf die Verpflichtung, im Fall einer Änderung unverzüglich die neue Zustelladresse bekanntzugeben, sowie darauf, dass das Verfahren eingestellt werden könne, wenn die persönliche Zustellung einer Ladung oder Verfahrensanordnung zum wiederholten Mal nicht möglich sei. Im Zuge des vorangegangenen Verlängerungsverfahrens habe die belangte Behörde zwei Mal versucht, dem Revisionswerber Unterlagenanforderungen zuzustellen. Aus dem in weiterer Folge eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister sei die Abmeldung des Revisionswerbers von seiner bis dahin bekannten Adresse mit 24. September 2019 erkennbar gewesen. Eine neue Adresse sei im Melderegister nicht aufgeschienen. Am 3. Dezember 2019 habe die von der belangten Behörde mit Erhebungen beauftragte MA 6 mitgeteilt, dass der Revisionswerber an seiner vorigen Meldeadresse nicht mehr aufhältig sei. Anschließend habe die belangte Behörde das Verfahren gemäß § 19 Abs. 6 NAG eingestellt. Der Revisionswerber habe Österreich in der Folge nicht verlassen und sei seit 25. März 2020 an einem neuen Wohnsitz gemeldet. Im Hinblick auf den vorliegenden Erstantrag habe der Revisionswerber keinen Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG gestellt.

Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflicht nach dem Zustellgesetz (ZustG) erfüllt. Die Pflicht zur Meldung einer neuen Abgabestelle wäre gemäß § 19 Abs. 6 NAG beim Revisionswerber gelegen. Eine solche Meldung sei jedoch nicht erfolgt. Eine (vom Revisionswerber ins Treffen geführte) Zustellung per E‑Mail, SMS oder Telefon sehe das ZustG nicht vor. Die belangte Behörde habe das letzte Verlängerungsverfahren zu Recht eingestellt, zumal der Revisionswerber bei seiner Antragstellung auch über diese Rechtsfolge belehrt worden sei. Ebenfalls zu Recht habe die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag als Erstantrag behandelt. Aufgrund des unrechtmäßigen Inlandsaufenthaltes des Revisionswerbers seit Einstellung des Verfahrens über seinen letzten Verlängerungsantrag sei die Abweisung des gegenständlichen Antrages zu Recht erfolgt. Der Revisionswerber habe über keinen Aufenthaltstitel und kein Aufenthaltsrecht gemäß § 24 Abs. 2 NAG aufgrund eines laufenden Verlängerungsverfahrens verfügt. Er habe sich unrechtmäßig in Österreich aufgehalten und sei nicht zur Inlandsantragstellung berechtigt gewesen. Der Revisionswerber habe auch keinen Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG gestellt, weshalb eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK nicht vorzunehmen gewesen sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Zustellung per E‑Mail im ZustG nicht vorgesehen sei. Nach § 2 Z 3 ZustG könne eine Zustelladresse auch eine elektronische Zustelladresse sein. Der Revisionswerber habe zudem zwei Unterlagenanforderungen per E‑Mail erhalten. Die belangte Behörde hätte daher noch einmal per E‑Mail um eine Zustelladresse anfragen, das Schriftstück ohne Zustellnachweis zustellen oder auch einen Bescheid erlassen können. Aufgrund der unrichtigen Einstellung hätte das Verwaltungsgericht das Verlängerungsverfahren als noch „laufend“ ansehen und daher der Beschwerde des Revisionswerbers (im hier gegenständlichen Verfahren) stattgeben und den bekämpften Bescheid der belangten Behörde ersatzlos beheben müssen.

Der Revisionswerber erachtet sich durch das angefochtene Erkenntnis in seinem „Recht auf kassatorische Entscheidung, nämlich durch ersatzlose Behebung des Bescheides [der belangten Behörde vom 4. August 2020]“ verletzt.

Die Revision erweist sich zwar als zulässig, aus nachstehenden Erwägungen aber als nicht berechtigt.

9 Gemäß § 19 Abs. 6 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020, hat der Fremde der Behörde eine Zustelladresse und im Fall ihrer Änderung während des Verfahrens die neue Zustelladresse unverzüglich bekannt zu geben. Ist die persönliche Zustellung einer Ladung oder einer Verfahrensanordnung zum wiederholten Mal nicht möglich, kann das Verfahren eingestellt werden, wenn der Fremde bei Antragstellung über diesen Umstand belehrt wurde.

10 Der Revisionswerber behauptet nicht, für den Fall der Rechtmäßigkeit der Einstellung des letzten Verlängerungsverfahrens zur Inlandsantragstellung berechtigt gewesen zu sein. Er wendet sich vielmehr der Sache nach gegen die gemäß § 19 Abs. 6 NAG erfolgte Einstellung des vorangegangenen Verlängerungsverfahrens und bringt vor, das Verwaltungsgericht hätte aufgrund der unrichtigen Verfahrenseinstellung den Bescheid der belangten Behörde vom 4. August 2020 ersatzlos beheben müssen.

11 Dazu ist zunächst Folgendes vorauszuschicken: Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf eine Verfahrenseinstellung nach § 55 Abs. 6 NAG ausgesprochen, dass der Umstand des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens zur Säumnis der Behörde führt (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0078). Diese Rechtsprechung ist auf die Einstellung eines Verfahrens gemäß § 19 Abs. 6 NAG übertragbar.

12 Zwar handelt es sich bei der im gegenständlichen Fall erfolgten Einstellung durch Aktenvermerk schon mangels Außenwirksamkeit nicht um einen Bescheid (vgl. ‑ wenn auch zu Einstellungen aufgrund anderer Vorschriften ‑ VwGH 10.12.2008, 2008/22/0302; 20.10.2011, 2008/21/0178; 13.12.2011, 2011/22/0282), der gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B‑VG mit Beschwerde bekämpft werden könnte. Allerdings steht dem Revisionswerber im Fall des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens aufgrund der dadurch vorliegenden Säumnis der belangten Behörde das Rechtsmittel der Säumnisbeschwerde offen (vgl. zu den insoweit auf den vorliegenden Fall übertragbaren Ausführungen zu § 55 Abs. 6 NAG erneut VwGH Ra 2015/22/0078).

13 Unter der Annahme, der Revisionswerber wäre mit seinem Vorbringen zur (behaupteter Maßen: unrichtigen) Einstellung des vorangegangenen Verlängerungsverfahrens im Recht und die Entscheidung über den Verlängerungsantrag vom 22. Jänner 2019 wäre daher mangels wirksamer Einstellung des Verfahrens noch offen, hätte es sich beim hier gegenständlichen Erstantrag vom 20. Mai 2020 aber um einen weiteren Antrag während eines anhängigen Verfahrens nach dem NAG und somit um einen gemäß § 19 Abs. 2 NAG unzulässigen Antrag gehandelt (vgl. VwGH 27.2.2020, Ra 2017/22/0040, Pkt. 5.1.). Demzufolge hätte das Verwaltungsgericht die Beschwerde diesfalls mit der Maßgabe abweisen müssen, dass der gegenständliche Antrag als unzulässig zurückgewiesen werde, nicht jedoch ‑ wie vom Revisionswerber ins Treffen geführt ‑ den Bescheid der belangten Behörde ersatzlos beheben müssen. Der Revisionswerber ist daher fallbezogen durch die angefochtene Entscheidung nicht in dem von ihm geltend gemachten Recht verletzt.

14 Der Umstand, dass der hier gegenständliche Antrag des Revisionswerbers abgewiesen wurde, würde auch dann keine Verletzung von subjektiven Rechten des Revisionswerbers bewirken, wenn der Antrag eigentlich zurückzuweisen gewesen wäre (vgl. ‑ wenn auch im Zusammenhang mit der Abweisung, anstatt Zurückweisung, einer Beschwerde ‑ VwGH 1.8.2018, Ra 2018/06/0080, Rn. 8, mwN), weshalb für den Revisionswerber mit seinem Vorbringen auch insoweit nichts zu gewinnen ist.

15 Da somit schon der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

16 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1a VwGG abgesehen werden.

Wien, am 8. Februar 2022

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