VwGH Ra 2021/11/0164

VwGHRa 2021/11/016410.1.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätin Mag. Hainz‑Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des C H in G, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 3. August 2021, Zl. LVwG‑652111/3/ZO, betreffend Zurückverweisung iA Befristung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Gmunden), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1 Z2
FSG-GV 1997 §14 Abs1
FSG-GV 1997 §14 Abs5
FSG-GV 1997 §2 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021110164.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 17. Mai 2021 schränkte die belangte Behörde die Lenkberechtigung des Revisionswerbers für näher genannte Klassen nachträglich ein, indem sie eine Befristung bis 27. April 2022, ärztliche Kontrolluntersuchungen zum Nachweis der Alkoholabstinenz auf Grundlage einer Haaranalyse im September 2021 und im März 2022 und eine amtsärztliche Nachuntersuchung zum Ende der Befristung aussprach.

2 Nachdem der Revisionswerber mit Schreiben vom 2. Juli 2021 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet hatte, hob das Verwaltungsgericht Oberösterreich mit dem angefochtenen Beschluss den Bescheid vom 17. Mai 2021 auf, verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurück und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe am 22. August 2020 ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und dabei einen Verkehrsunfall verursacht, weswegen ihm die belangte Behörde mit Bescheid vom 25. August 2020 die Lenkberechtigung für die Dauer von sieben Monaten entzogen und die Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme und eines amtsärztlichen Gutachtens aufgetragen habe. Die verkehrspsychologische Untersuchung vom 28. Oktober 2020 habe die bedingte Eignung des Revisionswerbers zum Lenken von Kraftfahrzeugen ergeben, wobei eine Befristung zur Vorbeugung des Rückfalls in frühere Trinkgewohnheiten empfohlen worden sei. Eine Haaranalyse (vom 14. Jänner 2021) habe einen übermäßigen Alkoholkonsum im Beobachtungszeitraum von drei Monaten ergeben. Eine weitere Haaranalyse (vom 31. März 2021) habe einen moderaten Alkoholkonsum in diesem Zeitraum ergeben. Der Amtsarzt sei in seinem Gutachten vom 27. April 2021 unter Berücksichtigung der beiden Haaranalysen zum Schluss gekommen, dass der Revisionswerber befristet für ein Jahr zum Lenken von Kraftfahrzeugen geeignet sei, wobei halbjährlich Haaranalysen auf Alkohol erforderlich seien. Der Amtsarzt habe dies damit begründet, dass von einer Alkoholgewöhnung in Folge eines grundsätzlich vermehrten Alkoholkonsums auszugehen sei. Eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme sei nicht eingeholt worden.

4 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, der Amtsarzt sei offenbar von einem gehäuften Missbrauch von Alkohol durch den Revisionswerber in der jüngeren Vergangenheit ausgegangen. Am Tag des Verkehrsunfalls habe der Alkoholgehalt der Atemluft des Revisionswerbers 0,88 mg/l (Blutalkoholgehalt 1,76 Promille) betragen. Dieser hohe Alkoholisierungsgrad sei ein „Hinweis“ darauf, dass der Revisionswerber in der Zeit vor dem Verkehrsunfall über längere Zeit häufig größere Mengen Alkohol konsumiert habe. Allerdings sei die Aussage des Revisionswerbers zu berücksichtigen, dass er sich deutlich beeinträchtigt gefühlt und bereits nach kurzer Zeit einen Verkehrsunfall verursacht habe. Er sei in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen, weshalb das Alkoholdelikt für sich allein genommen „nicht zwingend den Verdacht“ begründe, dass er in der Zeit vor diesem Delikt einen gehäuften Alkoholmissbrauch begangen habe. Es sei jedoch zusätzlich das Ergebnis der Haaranalyse vom 14. Jänner 2021 zu berücksichtigen, aus welcher sich ergebe, dass der Revisionswerber in den drei Monaten davor (also etwa ab Mitte Oktober 2020) übermäßig Alkohol konsumiert habe. Die weitere Haaranalyse (vom 31. März 2021) ergebe, dass es nach der ersten Haaranalyse nur noch einen moderaten Alkoholkonsum gegeben habe. Bei Berücksichtigung aller Messergebnisse bestehe „zumindest der begründete Verdacht“, dass der Revisionswerber im Zeitraum vor etwa Mitte Jänner 2021 über längere Zeit übermäßig Alkohol konsumiert habe.

5 Es liege ein gehäufter Missbrauch in der Vergangenheit vor, weswegen gemäß § 14 Abs. 5 FSG‑GV zwingend eine fachärztliche (psychiatrische) Stellungnahme zur Abklärung der gesundheitlichen Eignung des Revisionswerbers erforderlich gewesen wäre, welche die belangte Behörde aber nicht eingeholt habe. Diese habe daher nur ansatzweise ermittelt. Das für die Beurteilung des Falles „wichtigste Beweismittel“ sei noch gar nicht erhoben worden, weswegen der Bescheid vom 17. Mai 2021 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverweisen gewesen sei. Dies sei im Interesse der Raschheit und Kostenersparnis gelegen, weil die Neufassung des Gutachtens durch den der belangten Behörde beigeordneten Amtsarzt, welcher den Fall bereits kenne, rascher durchgeführt werden könne und es nicht ausgeschlossen sei, dass auf Grund der fachärztlichen Stellungnahme weitere Ermittlungen notwendig seien.

6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren durchgeführt, in welchem die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattete.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht sei bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 14 Abs. 5 FSG‑GV von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

10 Das Führerscheingesetz (FSG) lautet auszugsweise:

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken.

....“

11 § 14 der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung (FSG‑GV) lautet auszugsweise:

Alkohol, Sucht- und Arzneimittel

§ 14. (1) Personen, die von Alkohol, einem Sucht- oder Arzneimittel abhängig sind oder den Konsum dieser Mittel nicht so weit einschränken können, daß sie beim Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht beeinträchtigt sind, darf, soweit nicht Abs. 4 anzuwenden ist, eine Lenkberechtigung weder erteilt noch belassen werden. Personen, bei denen der Verdacht einer Alkohol‑, Suchtmittel‑ oder Arzneimittelabhängigkeit besteht, haben eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme beizubringen.

...

(5) Personen, die alkohol‑, suchtmittel‑ oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Mißbrauch begangen haben, ist nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wiederzuerteilen.“

12 § 14 Abs. 5 FSG‑GV gilt nach der hg. Rechtsprechung nicht nur für die (Wieder‑)Erteilung der Lenkberechtigung, sondern auch für den Fall einer bereits bestehenden Lenkberechtigung hinsichtlich ihrer Einschränkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/11/0088, Slg. 19.402 A). Ist daher ein gehäufter Alkoholmittelmissbrauch in der rezenten Vergangenheit zu bejahen, so ist die Belassung der Lenkberechtigung unter der Auflage (näher zu präzisierender) ärztlicher Kontrolluntersuchungen (sowie gemäß § 2 Abs. 1 letzter Satz iVm. der Befristung der Lenkberechtigung und einer amtsärztlichen Nachuntersuchung) nur nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme zulässig.

13 Der angefochtene Beschluss beruht auf der Ansicht, es bestünde (aus näher dargelegten Gründen) der begründete Verdacht, dass der Revisionswerber in der Vergangenheit Alkohol gehäuft missbraucht habe. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2020, Ra 2020/11/0101, ausgesprochen hat, reichen für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 5 zweiter Fall FSG‑GV (bloße) „Hinweise“ bzw. der „Verdacht“ auf den gehäuften Missbrauch von Alkohol ‑ anders als im Fall einer aktuellen Alkoholabhängigkeit (§ 14 Abs. 1 letzter Satz FSG‑GV) ‑ nicht aus.

14 Das Verwaltungsgericht hat somit den für die Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (mit)tragenden Grund, der Revisionswerber habe gehäuften Missbrauch mit Alkohol im Sinn des § 14 Abs. 5 FSG‑GV begangen, welchem in einem fortgesetzten Verfahren gemäß § 28 Abs. 3 letzter Satz VwGVG Bindungswirkung zukommt (vgl. VwGH 6.8.2018, Ra 2018/07/0418, mwN), unrichtig beurteilt.

15 Der angefochtene Beschluss war folglich wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. Jänner 2022

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