VwGH Ra 2021/09/0187

VwGHRa 2021/09/018722.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40 ‑ Soziales, Sozial‑ und Gesundheitsrecht, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 5. Mai 2021, VGW‑109/007/6224/2021‑2, betreffend Ansprüche nach dem Epidemiegesetz 1950 (mitbeteiligte Partei: A GmbH in B), zu Recht erkannt:

Normen

EpidemieG 1950 §32
EpidemieG 1950 §33
EpidemieG 1950 §49
EpidemieG 1950 §49 Abs1
EpidemieG 1950 §49 Abs1 idF 2020/I/062
EpidemieG 1950 §49 Abs2 idF 2020/I/062
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021090187.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Antrag vom 23. Februar 2021 begehrte die mitbeteiligte Partei nach § 32 Abs. 1 Z 1 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) Vergütung für den Verdienstentgang, der ihr durch die Absonderung ihrer Dienstnehmerin entstanden sei.

2 Diesen Antrag wies die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde und nun revisionswerbende Partei mit Bescheid vom 9. April 2021 ab, was sie damit begründete, dass die dreimonatige Präklusivfrist gemäß §§ 33 und 49 EpiG bei Antragstellung bereits abgelaufen und der Anspruch erloschen gewesen sei.

3 Der dagegen erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Partei gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis statt und es behob den angefochtenen Bescheid. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

4 Rechtlich begründete das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis zusammengefasst damit, dass verspätete Eingaben zurückzuweisen seien. Da die Behörde ihren Bescheid ausschließlich darauf gestützt habe, dass der Antrag verspätet gestellt worden sei und damit eine Entscheidung in der Sache verweigert habe, sei von einem bloßen Vergreifen im Ausdruck und damit von einer Zurückweisung des Antrags auszugehen. Damit sei lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung Sache des Beschwerdeverfahrens. Eine (erstmalige) inhaltliche Entscheidung durch das Verwaltungsgericht sei in dieser Konstellation nicht zulässig. Da jedoch ‑ wie das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung weiter ausführte ‑ eine verspätete Geltendmachung nicht vorgelegen habe, sei der angefochtene Bescheid aufzuheben gewesen.

5 Das Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung begründete das Verwaltungsgericht mit dem klaren Wortlaut insbesondere von § 49 EpiG und der durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärte Rechtslage.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht. Eine Revisionsbeantwortung wurde in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren nicht erstattet.

7 Die revisionswerbende Partei sieht die Zulässigkeit ihrer Revision im Wesentlichen unter anderem darin gelegen, dass das Verwaltungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 33 EpiG (Hinweis auf VwGH 23.4.2002, 2000/11/0061) abgewichen sei, wonach der materiell‑rechtliche Anspruch nach § 32 EpiG bei Versäumen der Frist der §§ 33, 49 EpiG erlösche. Eine Zurückweisung des Antrags komme in diesem Fall nicht in Betracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist ‑ entgegen dem, den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Verwaltungsgerichts (§ 34 Abs. 1a VwGG) ‑ zulässig. Sie ist, weil das Verwaltungsgericht Wien im angefochtenen Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, auch begründet.

9 Die maßgeblichen Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 (EpiG), BGBl. Nr. 1986/1950, in der hier noch zu beachtenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2020, lauten (auszugsweise):

„Vergütung für den Verdienstentgang.

§ 32. (1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

1.sie gemäß §§ 7 oder 17 abgesondert worden sind, oder

...

(3) Die Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl. Nr. 399/1974, zu bemessen. Die Arbeitgeber haben ihnen den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. Der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über. Der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß § 21 des Bauarbeiterurlaubsgesetzes 1972, BGBl. Nr. 414, ist vom Bund zu ersetzen.

...

Frist zur Geltendmachung des Anspruches auf Entschädigung oder Vergütung des Verdienstentganges.

§ 33. Der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 29 ist binnen sechs Wochen nach erfolgter Desinfektion oder Rückstellung des Gegenstandes oder nach Verständigung von der erfolgten Vernichtung, der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 binnen sechs Wochen vom Tage der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen, widrigenfalls der Anspruch erlischt.

...

Sonderbestimmung für die Dauer der Pandemie mit SARS‑CoV‑2

§ 49. (1) Abweichend von § 33 ist der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges, der aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS‑CoV‑2 ergangenen behördlichen Maßnahme besteht, binnen drei Monaten vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen.

(2) Bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung laufende und abgelaufene Fristen beginnen mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 62/2020 neu zu laufen.“

10 Gemäß § 33 EpiG ist der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentgangs gemäß § 32 EpiG binnen sechs Wochen vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen, widrigenfalls der Anspruch erlischt. In Bezug auf diese Frist wurde jedoch mit BGBl. I Nr. 62/2020 eine Sonderbestimmung für die Dauer der Pandemie mit SARS‑CoV‑2 geschaffen, die in § 49 Abs. 1 EpiG vorsieht, dass abweichend von § 33 EpiG der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentgangs, der aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS‑CoV‑2 ergangenen Maßnahme besteht, binnen drei Monaten vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen ist. Bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung laufende und abgelaufene Fristen sollten gemäß § 49 Abs. 2 EpiG mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 62/2020 (am 8. Juli 2020) neu zu laufen beginnen.

11 Bei der zeitlichen Begrenzung des Anspruchs auf Ersatz des Verdienstentgangs durch die §§ 33 und 49 EpiG handelt es sich der Sache nach um eine Verjährungsbestimmung: Das Recht auf Ersatz des Verdienstentgangs wird zeitlich begrenzt und erlischt durch nicht rechtzeitige Geltendmachung (vgl. zum Ganzen VwGH 18.3.2022, Ra 2022/03/0005; 13.12.2021, Ra 2021/03/0309).

12 Wie der Verwaltungsgerichtshof ferner bereits ausgesprochen hat, wird mit der Bestimmung der §§ 33 und 49 EpiG eine Fallfrist für die Geltendmachung eines aus behördlichen Maßnahmen resultierenden Anspruchs auf Vergütung des Verdienstentgangs gemäß § 32 EpiG ab Aufhebung dieser behördlichen Maßnahmen normiert (VwGH 24.6.2021, Ra 2021/09/0094).

13 Bei der Antragsfrist des § 33 EpiG handelt es sich im Hinblick auf den Wortlaut der Bestimmung, somit nicht um eine verfahrensrechtliche Frist, sondern auch nach Ausweis der Gesetzesmaterialien um eine materiell‑rechtliche Frist (siehe dazu VwGH 23.4.2002, 2000/11/0061; ebenso ‑ die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG gegen die Versäumung dieser Frist daher verneinend ‑ VwGH 5.5.2022, Ra 2022/03/0092, mwN).

14 Ein verspätet geltend gemachter Anspruch ist daher abzuweisen und nicht ‑ wie das Verwaltungsgericht meinte ‑ zurückzuweisen. Für die im angefochtenen Erkenntnis tragende Annahme eines Vergreifens im Ausdruck im Bescheid, mit dem der Antrag abgewiesen wurde, ist deshalb kein Platz. Die Umdeutung des Bescheids durch das Verwaltungsgericht in eine Zurückweisung erfolgte somit zu Unrecht.

15 Damit war aber Sache im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht bloß die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung eines Antrags wegen Verspätung, sondern die inhaltliche Entscheidung über darin geltend gemachten Anspruch als nicht (mehr) zu Recht bestehend.

16 Dementsprechend hatte das Verwaltungsgericht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgend grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden und die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. insbesondere § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG).

17 Indem es bei dieser Sachlage den angefochtenen Bescheid bloß behob und nicht selbst in der Sache, also über den im Antrag geltend gemachten Anspruch, der Gegenstand des Bescheidspruchs war, abgesprochen hat, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

18 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund, ohne dass auf die weiteren Revisionsausführungen einzugehen war, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 22. Juni 2022

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte