Normen
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020210261.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der 1971 geborene Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in Österreich am 24. Juni 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 29. November 2013 ‑ in Verbindung mit einer Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ‑ zur Gänze abgewiesen wurde.
2 Einen zweiten Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vom 7. August 2014 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis vom 2. Oktober 2017 erneut vollumfänglich ab, wobei unter einem eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wurde, eine Rückkehrentscheidung erging und festgestellt wurde, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei; die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen festgesetzt. Die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit dem Beschluss VwGH 31.1.2018, Ra 2017/01/0390, mangels Vorliegens einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG zurück.
3 Am 8. März 2018 stellte der Revisionswerber einen Antrag gemäß § 55 AsylG 2005 auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“ zur Aufrechterhaltung seines Privatlebens in Österreich.
4 Noch am selben Tag erteilte das BFA dem Revisionswerber einen Verbesserungsauftrag und forderte ihn auf, innerhalb von vier Wochen ein gültiges Reisedokument im Original und in Kopie sowie eine Geburtsurkunde im Original vorzulegen. Dabei wies das BFA darauf hin, dass dem Antrag nach § 55 AsylG 2005 die in § 8 Abs. 1 [Z 1 und 2] AsylG‑DV 2005 genannten Dokumente und Nachweise anzuschließen seien, andernfalls der Antrag mangels Mitwirkung am Verfahren gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 zurückzuweisen wäre. Weiters wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden einen begründeten Antrag auf Heilung des Mangels zu stellen.
5 Daraufhin stellte der Revisionswerber am 14. März 2018 einen auf die Z 2 (Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK) und auf die Z 3 (Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Vorlage der erforderlichen Urkunden) des § 4 Abs. 1 AsylG‑DV 2005 gestützten Heilungsantrag. Die Nichtvorlage eines Reisepasses wurde unter Vorlage einer entsprechenden Bestätigung der nigerianischen Botschaft damit näher begründet, dass der Revisionswerber keinen Reisepass besitze und die nigerianische Botschaft für ihn auch keinen Reisepass ausstellen könne.
6 Mit Bescheid vom 14. April 2020 wies das BFA dann den Antrag des Revisionswerbers auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 iVm § 8 AsylG‑DV 2005 ab und den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück. Unter einem erließ das BFA gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 3 und 6 FPG (wegen rechtskräftiger Bestrafungen aufgrund von Übertretungen des FPG und wegen Mittellosigkeit) ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot. Des Weiteren stellte es gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria fest und sprach aus, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 4 FPG nicht gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde. Was die Mängel bei den Formerfordernissen nach § 8 AsylG‑DV 2005 anbelangt, ging das BFA davon aus, dass weder eine Geburtsurkunde noch ein gültiges Reisedokument vorgelegt worden seien und die Beschaffung eines Reisepasses möglich bzw. zumutbar sei, sodass eine Heilung des Mangels der Nichtvorlage der erforderlichen Dokumente nicht in Betracht komme.
7 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Mai 2020 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe ab, dass es das Einreiseverbot lediglich auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 3 FPG stützte. Ferner sprach es aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
8 In seiner Begründung stellte das BVwG unter anderem fest, der Revisionswerber habe eine Deutschprüfung auf A2‑Niveau im Jahr 2016 absolviert, verdiene durch den Verkauf einer Straßenzeitung monatlich rund € 700,‑‑, sei krankenversichert und engagiere sich ehrenamtlich in der Vereinigung für Demokratie in Afrika. Er verfüge über einen Arbeitsvorvertrag und einen großen Bekanntenkreis in Österreich. Seiner Ausreiseverpflichtung sei er nicht nachgekommen. Der Revisionswerber sei viermal wegen Verstößen gegen das FPG, zuletzt wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes, rechtskräftig bestraft worden.
9 In rechtlicher Hinsicht berücksichtigte das BVwG im Rahmen seiner Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG den knapp achtjährigen Inlandsaufenthalt des Revisionswerbers und sein Bemühen um Integration, das sich sowohl in seiner Erwerbstätigkeit als auch in seinem ehrenamtlichen Engagement widerspiegle, führte jedoch auch ins Treffen, dass der Revisionswerber über keine qualifizierten Sprachkenntnisse verfüge und die integrationsbegründenden Umstände in einem Zeitraum entstanden seien, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltes habe bewusst sein müssen. Er habe auch ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis oder eine über die üblichen Freundschaften hinausgehende Beziehung zu den ihn unterstützenden Personen nicht vorgebracht. Im Übrigen ging das BVwG noch davon aus, dass der Revisionswerber im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria dort seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen könne und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerate. Seine privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet würden das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung daher insgesamt nicht überwiegen.
10 Das Einreiseverbot stützte das BVwG darauf, dass der Revisionswerber mehrmals wegen Übertretungen nach dem FPG bestraft worden sei. Die vom BFA ebenfalls angenommene Mittellosigkeit scheide aber als Grund für das Einreiseverbot aus, weil der Revisionswerber ausreichende finanzielle Mittel für den Aufenthalt in Österreich nachgewiesen habe.
11 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe mangels strittiger Sachverhalts‑ oder Rechtsfragen gemäß § 21 Abs. 7 BFA‑VG unterbleiben können.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als unzulässig erweist.
13 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
14 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
15 Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich der Revisionswerber, der in der Zulässigkeitsbegründung auf das Einreiseverbot nicht eingeht, mit dem Hinweis unter anderem auf seine Aufenthaltsdauer, Unbescholtenheit und seine Erwerbstätigkeit gegen die in Bezug auf die Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung des BVwG und rügt (nur) in diesem Zusammenhang die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung.
16 Dem ist zu entgegnen, dass das BVwG bei der in Bezug auf die für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gleichermaßen wie für die Erlassung der Rückkehrentscheidung (zum diesbezüglichen inhaltlichen Gleichklang vgl. etwa VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271, Rn. 8, mwN) ebenso wie für die Prüfung des Heilungstatbestandes nach der Z 2 des § 4 Abs. 1 AsylG‑DV 2005 maßgeblichen, gemäß § 9 BFA‑VG vorgenommenen Interessenabwägung ohnehin alle diese Umstände zu Gunsten des Revisionswerbers in seine Beurteilung einbezogen hat, aber die integrationsbegründenden Umstände zu Recht als im Sinne der Z 8 des § 9 Abs. 2 BFA‑VG insofern für entscheidend relativiert erachten durfte, als sie in einem Zeitraum entstanden, in dem sich der Revisionswerber ‑ jedenfalls nach rechtskräftiger Abweisung seines ersten Antrags auf internationalen Schutz Ende November 2013 ‑ seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Da der Revisionswerber nur über eingeschränkte Deutschkenntnisse sowie über keine familiären Bindungen in Österreich verfügt und sein (im Entscheidungszeitpunkt des BVwG) fast achtjähriger Aufenthalt lediglich aufgrund von zwei unberechtigten Asylanträgen nicht zur Gänze unrechtmäßig war, ist das Ergebnis der Abwägung des BVwG nicht zu beanstanden (vgl. zu einem ähnlichen Fall bereits VwGH 22.12.2009, 2009/21/0068). In der Revision wird zwar auch noch behauptet, der Revisionswerber komme bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine existenzielle Notlage, jedoch wird damit der gegenteiligen Feststellung des BVwG nicht ausreichend konkret entgegengetreten. Dass der Revisionswerber aber Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland begegnen wird, vermag in einem Fall wie dem hier vorliegenden das Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern ist vielmehr ‑ letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens seines Heimatlandes ‑ im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. zu einem ähnlichen Fall etwa VwGH 12.3.2021, Ra 2020/19/0440, Rn. 18, mwN).
17 An dieser Beurteilung der wechselseitigen Interessen hätte wegen des Vorliegens eines insoweit eindeutigen Falles auch die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in einer mündlichen Verhandlung nichts ändern können. Daher verfängt letztlich auch nicht die Rüge, dass das BVwG von der mündlichen Verhandlung, die im Übrigen in der Beschwerde nicht beantragt worden war, abgesehen habe (vgl. dazu des Näheren VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0214, Rn. 18).
18 Angesichts des somit nicht zu beanstandenden Ergebnisses der Interessenabwägung wären auch die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht vorgelegen. Daher ist es auf die Erlangbarkeit der vorzulegenden Dokumente und somit die Erfüllung des Heilungstatbestandes des § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG‑DV 2005 nicht mehr entscheidend angekommen. Dadurch, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gegebenenfalls nicht zurückzuweisen, sondern abzuweisen gewesen wäre, konnte der Revisionswerber nämlich nicht in den in der Revision geltend gemachten Rechten verletzt werden (vgl. dazu neuerlich VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0214, nunmehr Rn. 19).
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ‑ nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde ‑ gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 28. Juni 2022
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