VwGH Ra 2020/13/0047

VwGHRa 2020/13/004722.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Baden Mödling in 2340 Mödling, DI Wilhelm Haßlingerstraße 3, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 21. Februar 2020, RV/7101168/2019, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2012 und 2013 (mitbeteiligte Partei: Mag. F in M), zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §34 Abs1 Z2
EStG 1988 §34 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130047.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte machte im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagungen für die Jahre 2012 und 2013 Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit seiner Scheidung als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das Finanzamt erkannte diese Aufwendungen nicht als solche an.

2 Der Mitbeteiligte erhob gegen die Einkommensteuerbescheide Beschwerde und brachte dazu zusammengefasst vor, die Anwaltskosten seien durch eine unberechtigte Scheidungsklage seiner Ehegattin entstanden. Er habe aufgrund eines anwaltlichen Schreibens erfahren, dass sich seine Ehegattin von ihm habe scheiden lassen wollen. Obwohl er weder eine Scheidung angestrebt, noch Gründe (insbesondere keine Eheverfehlungen) dafür gesetzt habe, sei er bereit gewesen, ‑ mit Rücksicht auf die gemeinsame Tochter ‑ Gespräche über eine einvernehmliche Scheidung zu führen. Seine Ehegattin habe allerdings Scheidungsklage eingebracht und beantragt, die Ehe aus alleinigem Verschulden des Mitbeteiligten zu scheiden. Erst aufgrund der Ankündigung des Mitbeteiligten, den ehewidrigen Umgang seiner Ehegattin mit einem anderen Mann beweisen zu können, habe sie eingelenkt und einer einvernehmlichen Scheidung ‑ die schlussendlich zustande gekommen sei ‑ zugestimmt. Zusammenfassend ergebe sich daraus, dass die Anwaltskosten dem Mitbeteiligten aufgezwungen worden seien und er sich diesen nicht habe entziehen können.

3 Das Finanzamt wies die Beschwerden (in diesem Punkt) mit Beschwerdevorentscheidungen ab und führte zusammengefasst aus, aus den vorgelegten Unterlagen gehe nicht eindeutig hervor, wen in welchem Ausmaß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Daher habe nicht eindeutig nachgewiesen werden können, dass die Rechtsanwaltskosten zwangsläufig ‑ und somit nicht als Folge des eigenen Verhaltens ‑ entstanden seien. Der Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Beschwerden an das Bundesfinanzgericht.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht den Beschwerden des Mitbeteiligten Folge und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 Das Bundesfinanzgericht führte ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ aus, aus den vorgelegten Unterlagen (insbesondere dem Gerichtsakt) ergebe sich, dass der Mitbeteiligte wiederholt sein Interesse an einer einvernehmlichen Lösung bekundet habe, während seine ‑ wenig konsensbereite ‑ Ehegattin keine konkreten Beweise für ein alleiniges Verschulden des Mitbeteiligten an der Zerrüttung der Ehe bzw. für behauptete Eheverfehlungen erbracht habe. Der Mitbeteiligte habe sich demnach nicht freiwillig auf eine Prozessführung eingelassen, vielmehr habe er keine Handlungsalternativen gehabt. Der Umstand, wonach nicht erkennbar sei, wen in welchem Ausmaß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe, sei hingegen ‑ entgegen der Ansicht des Finanzamtes ‑ nicht entscheidungswesentlich.

6 Daraus ergebe sich, dass die Anwaltskosten aufgrund der dem Mitbeteiligten aufgezwungenen Prozessführung zwangsläufig erwachsen und sie daher als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof ‑ nach Einleitung eines Vorverfahrens, in dem vom Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde ‑ erwogen hat:

8 Das Finanzamt bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der - näher genannten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das Bundesfinanzgericht die Zwangsläufigkeit der Anwaltskosten bejaht habe, obwohl im Scheidungsverfahren kein Anwaltszwang bestehe.

9 Damit erweist sich die Revision als zulässig und begründet.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erwachsen Prozesskosten im Allgemeinen nicht zwangsläufig im Sinne des § 34 EStG 1988; eine allgemeine Regel lässt sich allerdings bei aufgezwungener Prozessführung nicht aufstellen. Zwangsläufigkeit von Prozesskosten wird stets dann verneint, wenn die Prozessführung auf Tatsachen zurückzuführen ist, die vom Steuerpflichtigen vorsätzlich herbeigeführt wurden oder die sonst die Folge eines Verhaltens sind, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat (vgl. VwGH 26.7.2017, Ro 2016/13/0026, mwN).

11 Selbst wenn eine aufgezwungene Prozessführung vorliegt, sind damit verbundene Anwaltskosten grundsätzlich nicht zwangsläufig, wenn im geführten Verfahren keine absolute Anwaltspflicht besteht (vgl. VwGH 25.7.2018, Ro 2018/13/0002, mwN). Eine Zwangsläufigkeit kann allerdings gegeben sein, wenn im konkreten Fall das Einschreiten eines Rechtsanwaltes trotz fehlender Anwaltspflicht aus besonderen Gründen unbedingt erforderlich ist (vgl. VwGH 2.9.2020, Ra 2020/15/0047; 25.7.2018, Ro 2018/13/0002).

12 Im vorliegenden Fall ist das Bundesfinanzgericht ‑ auf Grundlage der vorgelegten Unterlagen (insbesondere der Gerichtsakten) ‑ davon ausgegangen, dem Mitbeteiligten sei die Prozessführung aufgrund der eingebrachten Scheidungsklage seiner Ehegattin aufgezwungen worden. Die dadurch entstandenen Anwaltskosten seien ihm somit zwangsläufig erwachsen. Wie das Finanzamt zutreffend aufzeigt, besteht allerdings in Scheidungsstreitigkeiten keine absolute Anwaltspflicht (§ 27 Abs. 2 ZPO iVm. § 49 Abs. 2 Z 2a JN vgl. auch § 29 Abs. 1 ZPO). Das Bundesfinanzgericht hätte daher die Zwangsläufigkeit der Anwaltskosten ‑ trotz Annahme einer aufgezwungenen Prozessführung ‑ nur bei Vorliegen besonderer Gründe, die das Einschreiten eines Rechtsanwaltes erforderlich machen, bejahen dürfen.

13 Da das Bundesfinanzgericht in Verkennung der Rechtslage für die Entscheidung wesentliche Feststellungen nicht getroffen hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 22. Juni 2022

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