Normen
ÄrzteG 1998 §136 Abs1 Z1
ÄrzteG 1998 §136 Abs8
ÄrzteG 1998 §53 Abs1
AVG §37
AVG §59 Abs1
AVG §66 Abs4
BDG 1979 §43 Abs2 implizit
B-VG Art18
VStG §21
VStG §24
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020090034.L00
Spruch:
I. zu Ra 2020/09/0034 den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
II. zu Ra 2020/09/0035 zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich seines Spruchpunktes I., sohin im Umfang der Freisprüche, seines Spruchpunktes II. im Umfang seines Strafausspruches und seines Spruchpunktes III. (Kostenausspruch) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der 1957 geborene Erstrevisionswerber ist Facharzt für Kinder‑ und Jugendheilkunde in Wien.
2 Mit Beschluss der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 12. November 2018 wurde gegen den Erstrevisionswerber (zu Dk 45/2018‑W) ein Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er im Verdacht stehe, das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigt und damit das Disziplinarvergehen des § 136 Abs. 1 Z 1 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) begangen zu haben, indem er anlässlich eines Auftritts in einer öffentlichen Fernsehsendung zum Thema Impfpflicht die Behauptung aufgestellt habe, Röteln hätten so gut wie kein Risiko und es sei gesund, die Grippe zu bekommen.
3 Über eine weitere Anzeige des Disziplinaranwalts (in der Folge Zweitrevisionswerber) wurde ein weiteres Disziplinarverfahren eingeleitet (zu Dk 49/2018‑W), weil der Erstrevisionswerber mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. August 2018 der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt worden sei, weil er am 13. Juni 2018 in C eine namentlich genannte Frau gewaltsam am Verlassen seines Pkws gehindert habe, indem er sie an der Hand gezerrt, am Genick gepackt, gewürgt und ins rechte Bein gebissen habe, sodass diese Rötungen am Hals und Nackenbereich sowie eine Bissverletzung am rechten Oberschenkel erlitten habe. Weiters habe der Erstrevisionswerber ab dem Jahr 2016 seine Patientenkartei dazu benutzt, um Frauen (offenbar privat) anzuschreiben.
4 Mit dem in den verbundenen Disziplinarverfahren ergangenen Disziplinarerkenntnis vom 8. April 2019 erkannte die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde den Erstrevisionswerber schuldig, 1. ein Disziplinarvergehen nach § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 iVm § 53 Abs. 1 ÄrzteG 1998 begangen zu haben, indem er am 6. September 2018 in einer öffentlichen Fernsehsendung zum Thema Impfpflicht geäußert habe, Röteln seien so gut wie kein Risiko und es sei gesund die Grippe zu bekommen, sowie 2. Disziplinarvergehen des § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 dadurch begangen zu haben, dass er am 19. Juni 2018 seine Lebensgefährtin gewaltsam am Verlassen seines Pkw gehindert habe, indem er sie an der Hand gezerrt, am Genick gepackt, gewürgt und ins rechte Bein gebissen habe, sodass sie Rötungen im Hals‑ und Nackenbereich und eine Bissverletzung am rechten Oberschenkel erlitten habe und er ab dem Jahr 2016 seine Patientenkartei genutzt habe, um private Kontakte zu Müttern seiner Patienten zu intensivieren.
5 Über den Erstrevisionswerber wurde hiefür als Disziplinarstrafe gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 eine Geldstrafe in Höhe von € 1.500,‑‑ verhängt. Zudem wurde der Erstrevisionswerber gemäß § 163 Abs. 1 ÄrzteG 1998 verpflichtet, die mit € 1.000,‑‑ bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens zu ersetzen.
6 Der Erstrevisionswerber erhob dagegen Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht).
7 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde dahingehend statt, als es den Erstrevisionswerber von den Vorwürfen Faktum 1 (Dk 45/2015‑W) und Faktum 2 (Dk 49/2018‑W), soweit es sich dabei um jenen Sachverhalt handle, der vom Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. August 2018, 113 Hv 82/18h, erfasst sei, freisprach (Spruchpunkt I.). Hinsichtlich der Benutzung der Patientenkartei, um private Kontakte zu Müttern seiner Patienten zu intensivieren, wies es hingegen die Beschwerde als unbegründet ab und verhängte gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 eine Geldstrafe in Höhe von € 400,‑‑ (Spruchpunkt II.). Weiters verringerte es den Kostenersatz für das Disziplinarverfahren von € 1.000,‑‑ auf € 300,‑‑ (Spruchpunkt III.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig (Spruchpunkt IV.).
8 Die Freisprüche begründete das Verwaltungsgericht zusammengefasst damit, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29. Oktober 2019, Ra 2019/09/0010, keinen ausreichenden Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufs bei einem Arzt gesehen habe, der sich in einem Vortrag kritisch zu Impfungen geäußert habe, sofern der Arzt nicht auch Berufspflichten seinen eigenen Patienten gegenüber verletzt habe. Auch im hier vorliegenden Fall sei bei den kritischen Äußerungen des Erstrevisionswerbers zur Impfpflicht während eines TV‑Auftritts kein ausreichender Zusammenhang mit der Ausübung seines ärztlichen Berufs vorgelegen. Der Erstrevisionswerber habe seinen Patienten gegenüber medizinisch indizierte Behandlungen niemals verweigert. Mangels Verletzung einer Berufspflicht sei daher mit einem Freispruch vorzugehen. Zum Freispruch betreffend die Vorwürfe im Zusammenhang mit der strafgerichtlichen Verurteilung führte das Verwaltungsgericht begründend aus, der Erstrevisionswerber sei bei der Tatbegehung nicht als Arzt auszumachen gewesen, sodass das Ansehen der Ärzteschaft nicht beeinträchtigt habe werden können. Falls in den Medien über den Fall berichtet worden sei, vermöge dies daran nichts zu ändern, dass auch im Disziplinarstrafrecht nur das bestraft werden dürfe, was zum Zeitpunkt der Tat disziplinär gewesen sei. Es sei bei der Frage, ob ein Verhalten ein Disziplinarvergehen darstelle, auf eine ex tunc Betrachtung abzustellen. Die Höhe der verhängten Strafe begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die Disziplinarstrafe von € 1.500,‑‑ gemäß § 139 Abs. 6 Ärztegesetz 1998 eine Gesamtstrafe gewesen sei, welche daher im Verhältnis des Unwerts der von der belangten Disziplinarbehörde geahndeten Fakten auf € 400,‑‑ zu reduzieren und demzufolge auch die Kosten des Disziplinarverfahrens zu reduzieren seien.
9 Gegen die mit diesem Erkenntnis erfolgten Freisprüche, die Strafbemessung und die Höhe der Verfahrenskosten richtet sich die zu Ra 2020/09/0035 protokollierte außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts (Zweitrevisionswerber). Die zu Ra 2020/09/0034 protokollierte außerordentliche Revision des Disziplinarbeschuldigten (Erstrevisionswerber) bekämpft ausschließlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses.
10 In den vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurden keine Revisionsbeantwortungen erstattet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem auf Grund ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Verfahren in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zur Zurückweisung der Revision des Erstrevisionswerbers (hg. Ra 2020/09/0034):
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG in dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Der Erstrevisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, es lägen sämtliche Voraussetzungen für die Anwendung des § 21 VStG vor. Das tatbildmäßige Verhalten des Erstrevisionswerbers bleibe erheblich hinter dem in der Strafe typisierten Schuld‑ und Unrechtsgehalt zurück. Selbst wenn die Anwendung des § 21 VStG verneint würde, erweise sich die verhängte Strafe als nicht schuld‑ und tatangemessen. Das Verhalten habe keinen Schaden und überhaupt keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen. Die Milderungsgründe würden erheblich überwiegen. Es liege allenfalls ein geringes Verschulden und unbedeutende Folgen vor. Grundsätzlich sei ein Verweis ausreichend. Zudem habe das Verwaltungsgericht die ihm obliegende Begründungspflicht gröblich verletzt, weil dieses nicht auf die Widersprüche in der Aussage der Zeugin eingegangen sei. Die Zeugin habe eingangs ihrer Einvernahme behauptet, dass sie in keiner Lebensgemeinschaft mit dem Revisionswerber stehe, danach habe sie erklärt, dass ihre Beziehung nicht lose sei, sondern ganz normal wie immer. Außerdem habe das Verwaltungsgericht das Parteienvorbringen ignoriert, wonach die Zeugin bereits im Jahr 2017 vor der Polizei falsche Angaben gemacht habe und ihre Glaubwürdigkeit auch deshalb stark in Zweifel zu ziehen sei. Die belangte Behörde habe in entscheidungswesentlichen Punkten die Durchführung eines ordnungsgemäßen und vollständigen Ermittlungsverfahrens unterlassen.
16 Mit seinem Vorbringen zu § 21 VStG wirft der Erstrevisionswerber jedoch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern nur die Einzelfallgerechtigkeit berührende Wertungsfragen auf, denen in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zukommt (vgl. VwGH 21.1.2020, Ra 2019/09/0158, mwN). Es ist zudem zu beachten, dass im vorliegenden Fall die Bestimmung des § 136 Abs. 8 ÄrzteG 1998 Anwendung findet. Diese setzt voraus, dass die Geringfügigkeit des Verschuldens und die unbedeutenden Folgen kumulativ gegeben sind. Bei der Frage, ob die Tat keine oder nur unbedeutenden Folgen nach sich gezogen hat, kommt es ‑ entgegen der vom Erstrevisionswerber vertretenen Ansicht ‑ nicht auf die konkret eingetretenen Folgen an. Unter dem Begriff der unbedeutenden Folgen sind ganz allgemein alle Auswirkungen der Tat und nicht nur die unmittelbaren Tatfolgen zu verstehen (vgl. VwGH 28.2.2022, Ra 2020/09/0009, unter Verweis im Zusammenhang mit § 21 Abs. 1 VStG auf VwGH 11.9.2015, 2013/17/0485; zum Begriff der unbedeutenden Folgen im Sinn des § 118 Abs. 1 Z 4 BDG 1979 vgl. VwGH 8.8.2008, 2008/09/0140, mwN). Die festgestellten Umstände des Einzelfalls lassen auch nicht erkennen, dass das Verschulden des Erstrevisionswerbers erheblich hinter dem typischer Fälle solcher Verstöße zurückbleibt (vgl. zum Begriff des geringen Verschuldens aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 13.8.2019, Ra 2019/03/0068, mwN), wenn er Patientendaten für die private Kontaktaufnahme zu Frauen verwendet.
17 Die Beweiswürdigung ist einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz nur insofern zugänglich, als es um die ordnungsgemäße Ermittlung der Beweisergebnisse und die Kontrolle der Schlüssigkeit der angestellten Erwägungen geht. Eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft ‑ so etwa, wenn die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre ‑ erkennbare Beweiswürdigung wirft im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG auf (vgl. etwa VwGH 14.12.2020, Ra 2020/08/0113, mwN). Der ‑ an sich nur zur Rechtskontrolle berufene ‑ Verwaltungsgerichtshof ist im Übrigen auch nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt, sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 24.7.2018, Ra 2017/08/0045, mwN).
18 Die Revision vermag mit ihrem pauschal gehaltenen Vorbringen nicht darzulegen, dass das Verwaltungsgericht seine Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte, wenn es nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich auch einen Eindruck von der Glaubwürdigkeit der Beteiligten verschaffen konnte, den Angaben der Zeugin gefolgt ist und das Vorliegen eines Racheaktes verworfen hat. Darauf, dass auch ein anderer Sachverhalt hätte schlüssig begründet werden können, kommt es nach dem oben dargestellten, im Revisionsverfahren anzuwendenden Prüfungsmaßstab nicht an.
19 Mit dem bloß allgemein gehaltenen Vorwurf eines mangelhaft durchgeführten Ermittlungsverfahrens zeigt der Erstrevisionswerber keinen relevanten Verfahrensmangel auf (vgl. dazu etwa VwGH 1.7.2020, Ra 2020/08/0073, mwN).
20 In der Revision des Erstrevisionswerbers werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weshalb sie zurückzuweisen war.
Zur Revision des Zweitrevisionswerbers (hg. Ra 2020/09/0035):
21 Voranzustellen ist, dass in Fällen, in denen die angefochtene Entscheidung eines Verwaltungsgerichts mehrere trennbare Spruchpunkte aufweist, die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision getrennt zu prüfen ist. Solche trennbaren Absprüche liegen auch dann vor, wenn die Spruchpunkte eines (vom Verwaltungsgericht etwa bestätigten) erstinstanzlichen Bescheids als trennbar anzusehen sind (vgl. VwGH 24.1.2019, Ra 2018/09/0137, mwN). Eine Trennbarkeit von Absprüchen ist dann gegeben, wenn jeder Teil für sich allein ohne einen inneren Zusammenhang mit anderen Teilen einem gesonderten Abspruch zugänglich ist (vgl. etwa VwGH 12.9.2018, Ra 2015/08/0032).
22 Der Zweitrevisionswerber sieht die Zulässigkeit seiner Revision unter anderem darin gelegen, dass der Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Oktober 2019, Ra 2019/09/0010, zur Frage, ob durch die Äußerungen des Erstrevisionswerbers bei seinem Fernsehauftritt eine Verletzung der Berufspflichten nach § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 vorliege, nicht ausreiche. Der Verwaltungsgerichtshof habe in der genannten Entscheidung erachtet, dass „Impflügen“ im Hinblick auf die Werbebeschränkung des § 53 Abs. 1 ÄrzteG 1998 keinen ausreichenden Anlass für eine disziplinarrechtliche Verurteilung böten, wenn nicht dargetan werde, ob und inwiefern die Disziplinierung des Arztes tatsächlich erforderlich sei. Inwieweit sonst eine Verletzung der Berufspflichten nach § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 vorliegen könnte, habe er hingegen ausdrücklich offen gelassen. Darüber hinaus fehle Rechtsprechung zur Frage, ob durch das Verhalten des Erstrevisionswerbers der Tatbestand des § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 erfüllt werde. Weiters weiche das Verwaltungsgericht von der herrschenden Rechtsprechung ab, wonach § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 auch außerberufliches Verhalten umfasse.
23 Die Revision ist zulässig und aus folgenden Erwägungen auch begründet:
Zum Freispruch vom Faktum 2 (Dk 49/2018‑W):
24 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, legt § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 allgemeine Standespflichten fest; der Arzt hat nach dieser Vorschrift daher in seinem gesamten Verhalten und auch außerhalb der Ausübung seines Berufes auf die Wahrung des Standesansehens zu achten. Dabei geht es um die allgemeine Wertschätzung, die die in Österreich tätige Ärzteschaft in der Öffentlichkeit genießt bzw. nach dem Willen des Gesetzgebers genießen soll. Beim außerberuflichen Verhalten ist für die Wahrung des Standesansehens die Möglichkeit von Rückschlüssen von Bedeutung, die aus dem Verhalten des Arztes auf seine berufliche Tätigkeit oder die berufliche Tätigkeit der in Österreich tätigen Ärzte gezogen werden können. Je näher in seinem Verhalten ein solcher Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Arztes gegeben ist, desto eher muss er auch im außerberuflichen Bereich auf die Wahrung des Standesansehens achten und ist insoferne auch in der freien Gestaltung seines Privatlebens beschränkt. Ob das Verhalten des Arztes an die Öffentlichkeit gedrungen ist, spielt bei dieser Beurteilung keine entscheidende Rolle, entscheidend ist vielmehr, ob das Verhalten als solches geeignet ist, das Ansehen der Ärzteschaft zu beeinträchtigen (vgl. VwGH 25.11.2015, Ra 2015/09/0044, mwN).
25 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und darauf abstellte, dass der Erstrevisionswerber bei der Tatbegehung nicht als Arzt auszumachen gewesen sei, belastete es sein Erkenntnis im Umfang des Freispruchs hinsichtlich Faktum 2 (Dk 49/2018‑W), soweit es sich dabei um jenen Sachverhalt handelt, der vom Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. August 2018, 113 Hv 82/18h, erfasst ist, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Zum Freispruch vom Faktum 1 (Dk 45/2018‑W):
26 Es entspricht der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass § 53 Abs. 1 ÄrzteG 1998 nur Informationen durch einen Arzt „im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes“ betrifft und daher einen ausreichenden Zusammenhang mit dem ärztlichen Beruf voraussetzt. Die Frage, ob Informationen einen ausreichenden Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufes im Sinn des § 53 Abs. 1 ÄrzteG 1998 aufweisen, ist anhand der konkreten Umstände im Einzelfall zu klären (vgl. VwGH 28.2.2022 Ra 2021/09/0202, mwN).
27 Bei der vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführten Entscheidung vom 29. Oktober 2019, Ra 2019/09/0010, ging es um Äußerungen im Rahmen eines Vortrags in einem Pfarrheim zu Nachteilen und Gefahren des Impfens und einer vom Verwaltungsgericht angenommene Verletzung des Standesansehen nach § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 und den sich aus § 53 Abs. 1 ÄrzteG 1998 und der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 ergebenden Verpflichtungen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Beurteilung als wesentlich erachtet, dass Feststellungen, ob und welcher Zusammenhang der Äußerungen mit der Ausübung des ärztlichen Berufes bestand, fehlten und der dortige Revisionswerber nach den Feststellungen eingangs seines Vortrages offenlegte, dass er eine Mindermeinung vertrete und für positive Informationen zum Thema Impfen auf Hausärzte oder Apotheken verwies. Die Frage, ob durch das Verhalten eine Verletzung der Berufspflichten nach § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 begründet werden könne, ließ er ausdrücklich offen.
28 Indem das Verwaltungsgericht im Revisionsfall den Freispruch allein damit begründete, dass der Erstrevisionswerber seinen Patienten gegenüber medizinische Impfungen niemals verweigert habe und daher mangels Verletzung einer Berufspflicht freizusprechen sei, hat es die dargelegte Rechtsprechung verkannt und die für eine abschließende Beurteilung, ob ein ausreichender Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufes vorlag, erforderlichen Feststellungen unterlassen. Dadurch belastete das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis infolge sekundärer Feststellungsmängel mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
29 Darüber hinaus weist der Zweitrevisionswerber auch zu Recht darauf hin, dass sich das Verwaltungsgericht nicht damit auseinandergesetzt hat, ob ‑ entsprechend dem Vorwurf im Einleitungsbeschluss ‑ eine Verletzung der Standespflicht gemäß § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 (allenfalls in Idealkonkurrenz zum Vergehen der Berufspflichtverletzung nach § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 ‑ vgl. dazu VwGH 28.10.2021, Ra 2019/09/0140) verwirklicht wurde (zur Zulässigkeit einer disziplinären Bestrafung im Hinblick auf Art. 10 Abs. 2 EMRK siehe überdies zuletzt neuerlich VwGH 28.2.2022, Ra 2021/09/0202).
30 Das angefochtene Erkenntnis ist daher im Umfang seiner Freisprüche mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Da mit dem Schuldausspruch der Ausspruch über die zu verhängende Strafe und jener über die Verfahrenskosten in untrennbarem Zusammenhang stehen, war das angefochtene Erkenntnis auch in diesem Umfang bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (VwGH 28.10.2021, Ra 2021/09/0075 und 0096, mwN).
Wien, am 14. Juni 2022
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