VwGH Ra 2021/20/0103

VwGHRa 2021/20/010315.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des M M, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast und Mag. Mirsad Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2021, W111 2213466‑1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200103.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein russischer Staatsangehöriger, reiste mit einem von der spanischen Vertretungsbehörde in Moskau ausgestellten Touristenvisum am 25. Juli 2016 auf dem Luftweg via Deutschland zunächst nach Spanien. Dort blieb er lediglich einen Tag und kam dann mit dem Flugzeug am 26. Juli 2016 nach Österreich. Drei Tage später flog er via Schweiz nach Frankreich, wo er sich etwa ein halbes Jahr lang in Nizza aufhielt. Am 4. Dezember 2016 kam er auf dem Landweg über Deutschland (wieder) nach Österreich und stellte hier am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Nach den im Zuge der Erstbefragung und der Vernehmung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstatteten Angaben sei der Revisionswerber nach Österreich gekommen, weil er „jetzt wegen [s]einer Frau und [s]einem Sohn hier bleiben“ wolle. Er und seine Frau ‑ diese ist ebenfalls russische Staatsangehörige und verfügt in Österreich über einen Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz, nachdem ihr der Status als Asylberechtigte aberkannt worden war, weil sie sich wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hatte ‑ hätten im Jahr 2015 nach islamischen Ritus geheiratet. Als Grund für die Flucht aus dem Heimatland führte der Revisionswerber aus, er sei dort mit seinem Cousin im Auto mitgefahren und sie seien nicht angegurtet gewesen. Ein Verkehrspolizist habe sie aufgehalten und „die Papiere“ sehen wollen. Er und der Cousin hätten sich der Kontrolle aber durch Flucht entzogen. Er habe sich dann nicht mehr getraut, zu Hause zu wohnen, weil er „sehr viele Geschichten von Leuten kenne, die dann i[n] Russland gefunden“ worden seien. Daraufhin habe sich der Revisionswerber entschlossen, Russland zu verlassen. Es seien auch schon Leute bei seinem Onkel gewesen, die nach dem Revisionswerber gefragt und gedroht hätten, sie würden ihn finden, ihm die Beine brechen und nach Tschetschenien zurückschleppen. Außerdem wolle der Revisionswerber in Russland den Militärdienst nicht leisten.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 4. Jänner 2018 (richtig: 2019) ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 8. Februar 2021 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Der Revisionswerber wendet sich in der Begründung für die Zulässigkeit der von ihm erhobenen Revision ausschließlich gegen die im Rahmen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung erfolgte Interessenabwägung nach § 9 BFA‑Verfahrensgesetz.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 18.3.2021, Ra 2020/20/0451, mwN).

9 Weiters ist darauf hinzuweisen, dass immer dann, wenn Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt werden, auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden muss. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0518, mwN). Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist, um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzutun, in der Revision konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 26.2.2021, Ra 2021/14/0044, mwN).

10 Die Revision enthält aber keinerlei Darstellung der Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel. Der Revisionswerber verweist bloß pauschal auf seine in Österreich lebenden Familienangehörigen und behauptet zudem lediglich, ohne dafür maßgebliche Gründe ins Treffen zu führen, es sei allen Familienmitgliedern die Fortführung des Familienlebens im Heimatland nicht zumutbar.

11 Wenn der Revisionswerber weiters bloß unsubstantiiert vorbringt, es hätten nach einer Befragung seiner Ehefrau, mit der er mittlerweile auch standesamtlich verheiratet sei, nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen getroffen werden müssen, bleibt er jegliche Konkretisierung schuldig, welche Umstände dabei hätten hervorkommen können, aufgrund derer es fallbezogen geboten gewesen wäre, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als unverhältnismäßig einzustufen.

12 Am Boden der getroffenen Feststellungen ‑ und im Besonderen vor dem Hintergrund, dass der Revisionswerber zu keiner Zeit darauf vertrauen durfte, in Österreich bleiben zu dürfen ‑ ist die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, die öffentlichen Interessen überwögen im konkreten Fall die familiären und privaten Interessen des Revisionswerbers, nicht als unvertretbar anzusehen. Es entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden muss, dass ein Fremder mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2020/20/0426; 27.4.2020, Ra 2019/20/0402, jeweils mwN).

13 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 15. April 2021

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte