VwGH Ro 2021/06/0001

VwGHRo 2021/06/000116.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, in der Revisionssache der O GmbH in W, vertreten durch die Shmp Schwartz Huber‑Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 6. November 2020, E GB5/09/2020.012/004, betreffend Abweisung eines Bauansuchens (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Stadtgemeinde Neusiedl am See; weitere Partei: Burgenländische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §13 Abs8
BauG Bgld 1997 §17
BauRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021060001.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Die Revisionswerberin beantragte am 8. Mai 2019 die Erteilung einer Baubewilligung gemäß § 17 Burgenländisches Baugesetz (BauG) für die Errichtung einer Wohnanlage bestehend aus sechs Bauteilen mit insgesamt 29 Wohnungen auf einem näher bezeichneten Grundstück in der KG N. Das verfahrensgegenständliche Grundstück grenzt an zwei Seiten an öffentliche Verkehrsflächen (Eckgrundstück), zwei Bauteile waren von der einen der beiden Straßen aus gesehen in einem Abstand von mehr als 21 m geplant.

5 Mit Schreiben vom 9. Juli 2019 teilte die Bürgermeisterin der Stadtgemeinde N. (Behörde) der Revisionswerberin mit, dass diese Bauteile 4 und 5 nicht genehmigungsfähig seien, weil dadurch die in § 2 Pkt. 5.2. der Bebauungsrichtlinien „Obere Seegärten“ definierten hinteren Baulinien nicht eingehalten würden, und dass auch durch eine etwaige Teilung der Grundstücke die rechtskräftigen Richtlinien nicht umgangen werden könnten. Daraufhin übermittelte der für die Revisionswerberin tätige Architekt einen „Antrag auf Änderung der Bebauungsrichtlinien“ an die Bürgermeisterin der Stadtgemeinde N.

6 Mit Bescheid der Behörde vom 19. November 2019 wurde der Bauantrag vom 8. Mai 2019 gemäß § 3 Z 1 iVm § 18 Abs. 2 BauG aufgrund des Widerspruchs zu den rechtswirksamen Bebauungsrichtlinien abgewiesen.

7 Der Gemeinderat der Stadtgemeinde N (Berufungsbehörde) wies mit Bescheid vom 29. Juni 2020 die Berufung der Revisionswerberin ebenfalls wegen eines Widerspruches zu den Bebauungsrichtlinien ab. Zum gerügten Unterbleiben einer Aufforderung zu einer Modifikation des Bauvorhabens durch die Baubehörden führte die Berufungsbehörde aus, bei der von der Revisionswerberin beabsichtigten Grundstücksteilung (Grundstück 1 mit den Bauteilen 1 bis 3, Grundstück 2 mit den Bauteilen 4 und 5, verbunden über ein Servitut mit einer öffentlichen Verkehrsfläche) handle es sich nicht um eine notwendige Änderung des Bauvorhabens, mit der dieses genehmigungsfähig gemacht werden solle, sondern um eine „grundbücherliche Änderung“, die von der Entscheidung einer anderen Behörde abhängig sei. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften sei diesbezüglich nicht erfolgt. Darüber hinaus könne die angestrebte Teilung nicht zu einer Bewilligungsfähigkeit der Bauteile 4 und 5 führen (wird näher begründet).

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Burgenland (LVwG) die Beschwerde der Revisionswerberin - nach Durchführung einer Verhandlung - ab und erklärte eine ordentliche Revision für zulässig.

In der Begründung verwies das LVwG auf § 2 Pkt. 5.2. der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde N vom 12. September 2003 (Bebauungsrichtlinien), in der für das verfahrensgegenständliche Grundstück „die maximale Bebauungstiefe (hintere Baulinie) mit 21 m gemessen von der vorderen Grundstücksgrenze, sofern dies die Grundstückstiefe gestattet, festgelegt“ werde. Wenn in der Beschwerde auf hg. Judikatur (etwa VwGH 30.7.2002, 2000/05/0220; 18.10.1988, 85/05/0116; 27.6.2006, 2005/05/0125, jeweils mit der Aussage, dass es bei Eckgrundstücken keine „hintere Grundstücksgrenze“ im Sinn des § 5 Abs. 2 BauG gebe) verwiesen werde, so stellten diese Entscheidungen jeweils auf die „hintere Grundstücksgrenze“ ab; § 2 Pkt. 2.5. der im gegenständlichen Fall anzuwendenden Bebauungsrichtlinien regle hingegen die maximale Bebauungstiefe, die von der vorderen Grundstücksgrenze gemessen werde. Die hintere Grundgrenze sei für die Ermittlung der bebaubaren Fläche nach den Bebauungsrichtlinien unerheblich und die dazu ergangene hg. Rechtsprechung daher nicht einschlägig.

Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde zugelassen, weil keine hg. Rechtsprechung zu der Frage vorliege, ob eine hintere Baulinie (nach objektiv zu prüfenden Kriterien) festgelegt werden könne, wenn es keine hintere Grundgrenze gebe.

9 Die Revision ergänzt die vom LVwG formulierte Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in der Zulässigkeitsbegründung dahingehend, dass das angefochtene Erkenntnis von der hg. Rechtsprechung „hinsichtlich Eckgrundstücke und der fehlenden Möglichkeit einer hinteren Grundgrenze“ abweiche (Hinweis etwa auf VwGH 30.7.2002, 2000/05/0220; 27.6.2006, 2005/05/0125). Wenn es keine hintere Grundstücksgrenze gebe, könne es ‑ selbst wenn eine „hintere Baulinie“ nicht mit einer „hinteren Grundgrenze“ gleichzusetzen sei ‑ denklogisch auch keine hintere Baulinie geben. Im vorliegenden Fall werde die Bebauungstiefe zwar von der vorderen Grundstücksgrenze gemessen, es „wird für die Bemessung allerdings auch auf die ‚hintere Baulinie‘ abgestellt.“ Nach der hg. Rechtsprechung werde „aufgrund der besonderen Konfiguration bei Eckgrundstücken auch eine hintere Baulinie ausgeschlossen.“ Darüber hinaus komme ‑ sollten sich Zweifel hinsichtlich der Auslegung ergeben ‑ der Grundsatz der Baufreiheit zum Tragen. Letztlich hätte das LVwG die Revisionswerberin auch zu einer Projektmodifikation auffordern müssen (Hinweis etwa auf VwGH 26.5.2009, 2009/06/0010).

10 Gemäß § 2 Pkt. 5.1. bis 5.3. der anzuwendenden Bebauungsrichtlinien dürfen Grundstücke auf einer Fläche zwischen 3 m (Vorgartentiefe gemäß Pkt. 5.1.) und 21 m (maximale Bebauungstiefe gemäß Pkt. 5.2.) gemessen von der vorderen Grundstücksgrenze bebaut werden. Nur bei Grundstücken mit einer geringeren Grundstückstiefe als 21 m ‑ was gegenständlich nicht zutrifft ‑ ist die maximale Bebauungstiefe gemäß § 5 BauG festzulegen (Pkt. 5.3.).

Die in der Revision zitierten hg. Erkenntnisse 2000/05/0220 und 2005/05/0125 hatten jeweils die Auslegung des § 5 Abs. 2 BauG zum Gegenstand; diese Bestimmung sieht die Berechnung des Mindestabstandes von 3 m gegenüber der hinteren Grundstücksgrenze vor. Da im vorliegenden Fall § 5 BauG jedoch nicht zur Anwendung kommt, wird mit dem Hinweis auf dazu ergangene Entscheidungen kein Abweichen von der hg. Rechtsprechung aufgezeigt. Auch die zitierten Erkenntnisse VwGH 2944/79 und VwGH 96/05/0006 beziehen sich auf Regelungen, die jeweils einen Mindestabstand zur hinteren Grundstücksgrenze bzw. der inneren (hinteren) Bauplatzgrenze vorsahen.

Für die Festlegung der bebaubaren Fläche nach den im vorliegenden Fall anzuwendenden Bebauungsrichtlinien kommt es auf eine hintere Grundstücksgrenze überhaupt nicht an. Die (für Eckgrundstücke verständig auszulegende) Bebauungstiefe orientiert sich im vorliegenden Fall an der vorderen Grundstücksgrenze. Es trifft auch nicht zu, dass ‑ wie die Revisionswerberin behauptet ‑ nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für Eckgrundstücke „eine hintere Baulinie ausgeschlossen wird“, dass eine solche denklogisch ausgeschlossen wäre oder „für die Bemessung [...] auch auf die ‚hintere Baulinie‘ abgestellt“ werde.

11 Da sich bei der Auslegung des § 2 Pkt. 5 der Bebauungsrichtlinien des Gemeinderats der Stadtgemeinde N für das verfahrensgegenständliche Grundstück keine Zweifel ergeben, geht der Hinweis auf den Grundsatz der Baufreiheit ins Leere.

12 Wenn die Revisionswerberin weiter rügt, die Behörde oder das LVwG hätte sie zu einer Projektmodifikation auffordern müssen, bezieht sie sich dabei offenbar auf § 13 Abs. 8 AVG. Nach der dazu ergangenen hg. Rechtsprechung (vgl. etwa VwGH 28.9.2010, 2009/05/0316) hat die Baubehörde den Bauwerber auf einen Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen hinzuweisen und ihm nahe zu legen, das Ansuchen entsprechend zu ändern.

Ein solcher Hinweis erfolgte mit Schreiben der Behörde vom 9. Juli 2019. Als Reaktion auf dieses Schreiben änderte die Revisionswerberin jedoch nicht ihren Antrag, sondern es wurde eine Änderung der Bebauungsrichtlinien angeregt. Damit brachte sie zum Ausdruck, dass sie an dem Bauvorhaben im Umfang des Antrages vom 8. Mai 2019 festhalten möchte. Auch nach erstinstanzlicher Abweisung ihres Antrages aufgrund des bereits mitgeteilten Widerspruchs zu den Bebauungsrichtlinien nahm die Revisionswerberin keine Antragsänderung vor. Es wurde vielmehr die Teilung des Grundstückes geprüft, wozu sich die Berufungsbehörde auch äußerte. Eine nochmalige Verpflichtung des LVwG, die Revisionswerberin auf den Widerspruch hinzuweisen, der bereits Gegenstand in den beiden Vorinstanzen war, besteht nicht. Es ist nicht Aufgabe der Baubehörden oder des LVwG, die Bauwerberin zu beraten, welche Änderungen das Bauvorhaben genehmigungsfähig machen könnten. Ein Abweichen von der hg. Rechtsprechung zeigt die Revision damit nicht auf.

13 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

14 Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die Anregung der Revisionswerberin, einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof zur Prüfung der Verfassungskonformität der §§ 1 und 2 Pkt. 5.1. bis 5.3. der Bebauungsrichtlinien Ried „Obere Seegärten“ der Stadtgemeinde N zu stellen.

Wien, am 16. Februar 2021

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