VwGH Ro 2021/04/0007

VwGHRo 2021/04/000714.12.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz‑Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der Ö AG in W, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 2020, Zl. W258 2217446‑1/35E, betreffend ein Verfahren gemäß Art. 58 DSGVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Datenschutzbehörde, Barichgasse 40‑42, 1030 Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1
EURallg
31995L0046 Datenschutz-RL Art2 lita
32016R0679 Datenschutz-GrundV Art4 Z1
32016R0679 Datenschutz-GrundV Art58 Abs2
32016R0679 Datenschutz-GrundV Art58 Abs2 litf
32016R0679 Datenschutz-GrundV Art9 Abs1
62012CJ0141 YS u.a. VORAB
62016CJ0434 Nowak VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021040007.J00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund den mit € 553,20 bestimmten Aufwand binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Aus dem Akteninhalt ergibt sich folgender unstrittiger Sachverhalt:

2 Die Revisionswerberin verfügt über eine Gewerbeberechtigung als „Adressenverlag und Direktwerbeunternehmen“. Sie betreibt eine Datenanwendung „DAM‑Zielgruppenadressen“, um werbetreibenden Kunden personenbezogene Daten für zielgerichtete Marketingmaßnahmen entgeltlich zur Verfügung zu stellen.

3 Soweit hier von Relevanz wurden folgende Informationen über natürliche Personen verwendet und Dritten weitergegeben: Anrede, Vor- und Nachname, Adresse, Geburtsdatum und Parteiaffinität. Die Parteiaffinität enthielt die Angabe der jeweils auf die betreffende Person bezogenen Einschätzung deren Affinität zu fünf in Österreich wahlwerbenden Parteien, indem bestimmten Personen betreffend ihre Affinität zu den wahlwerbenden Parteien jeweils einer der Werte „sehr niedrig“, „niedrig“, „hoch“ oder „sehr hoch“ zugeordnet sein konnte.

4 Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit erhob die Revisionswerberin seit 2017 Informationen zu den Parteiaffinitäten der gesamten österreichischen Bevölkerung basierend auf anonymen Umfragen durch hierzu beauftragte Meinungsforschungsinstitute, bei denen konkrete Fragen zum Interesse an Wahlwerbung gestellt wurden. In diesem Zusammenhang wurden soziodemografische Daten wie Alter, formale Bildung und Einkommensverhältnisse, sowie Wohnort und etwaiges Interesse an Wahlwerbung durch die politischen Parteien abgefragt. Im Anschluss wurden anhand der soziodemografischen Daten und des Wohnorts Marketinggruppen gebildet und für jede dieser Marketinggruppen unter Berücksichtigung der Meinungsumfragen aber auch von regionalen Wahlergebnissen errechnet, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Person mit bestimmten soziodemografischen Daten und Religionszugehörigkeit Interesse an Werbung von den genannten politischen Parteien hat. Durch die Einordnung einer konkreten Person in eine bestimmte Marketinggruppe wurde diesen Personen die für die jeweilige Marketinggruppe berechneten Wahrscheinlichkeitswerte und die sich ergebende Parteiaffinität zugeordnet.

5 Die Revisionswerberin hat für die Verarbeitung der Parteiaffinität keine Zustimmung von jenen Personen eingeholt, auf welche die bezogenen Werte ermittelt wurden.

6 2. Verfahrensverlauf:

7 2.1. Aufgrund von Medienberichten betreffend den angeblichen Verkauf personenbezogener Daten, insbesondere von Informationen über die „politische Affinität“ einzelner Personen, leitete die belangte Behörde am 8. Jänner 2019 von Amts wegen ein Prüfverfahren gegen die Revisionswerberin ein. Nach Einholung einer Stellungnahme der Revisionswerberin erließ die belangte Behörde am 11. Februar 2019 den verfahrensgegenständlichen Bescheid, der insgesamt sechs Spruchpunkte umfasste.

8 Die Revisionswerberin erhob gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, das in zwei Teilerkenntnissen über diese absprach.

9 2.2. Die Spruchpunkte 1., 3., 4. und 5. des bekämpften Bescheids waren Verfahrensgegenstand des ersten Teilerkenntnisses vom 20. August 2020 des Bundesverwaltungsgerichts, W258 2217446‑1/15E. Dieses erste Teilerkenntnis war Gegenstand des zu Ro 2020/04/0032 des Verwaltungsgerichtshofs protokollierten Revisionsverfahrens.

10 2.3. Mit Spruchpunkt 2. des behördlichen Bescheids erging an die Revisionswerberin die Anweisung, zum einen die Verarbeitung der besonderen Kategorien personenbezogener Daten, nämlich die Parteiaffinität, mit sofortiger Wirkung zu unterlassen, zum anderen vorhandene Daten binnen zwei Wochen zu löschen, sofern im Einzelfall keine Ausnahme nach Art. 17 Abs. 3 DSGVO vorliege. Mit dortigem Spruchpunkt 6. wurde der Revisionswerberin aufgetragen, innerhalb einer Frist von zwei Monaten die Anwendung der „DAM‑Zielgruppenadressen“ einer erneuten Datenschutzfolgenabschätzung zu unterziehen und das betreffende Verarbeitungsverzeichnis dahingehend zu ergänzen, dass besondere Kategorien personenbezogener Daten verarbeitet würden.

11 3.1. Die genannten Spruchpunkte 2. und 6. des Bescheides der belangten Behörde bildeten den Gegenstand des hier angefochtenen zweiten Teilerkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 2020, Zl. W258 2217446‑1/35E. Mit diesem gab das Bundesverwaltungsgericht der ‑ unter anderem ‑ gegen die Spruchpunkte 2. und 6. gerichteten Beschwerde der Revisionswerberin teilweise Folge.

12 Spruchpunkt 2. des behördlichen Bescheids wurde im Umfang des Auftrags, die besondere Kategorie personenbezogener Daten, nämlich die Parteiaffinität, innerhalb einer Frist von zwei Wochen zu löschen, sofern im Einzelfall keine Ausnahme nach Art. 17 Abs. 3 DSGVO vorliege, und Spruchpunkt 6. insgesamt ersatzlos behoben (Spruchpunkt A.1. und A.2. im angefochtenen Erkenntnis). Im Umfang dieser ersatzlosen Behebungen blieb das Erkenntnis unangefochten. Diese Teile der Entscheidung sind daher auch nicht Gegenstand der vorliegenden Revisionsentscheidung.

13 Im Übrigen wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin ab und bestätigte den zweiten Teil des Spruchpunktes 2. des bekämpften Bescheids mit der Maßgabe, dass dieser insgesamt zu lauten habe: „Die Ö*AG hat die Verarbeitung der Datenarten ‚Parteiaffinitäten‘ zum Zwecke des Adresshandels und Direktmarketing ohne Einwilligung der betroffenen Personen mit sofortiger Wirkung bei sonstiger Exekution zu unterlassen.“ (Spruchpunkt B. im angefochtenen Erkenntnis)

14 Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für zulässig. (Spruchpunkt C. im angefochtenen Erkenntnis)

15 3.2. Ausgehend von den bereits eingangs dieser Entscheidung wiedergegebenen Sachverhaltsfeststellungen folgerte das Bundesverwaltungsgericht ‑ insofern für dieses Revisionsverfahren von Relevanz ‑, gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO sei die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen unter anderem politische Meinungen hervorgingen, untersagt, sofern nicht eine der Ausnahmen des Abs. 2 vorliege. Gemäß Art. 4 Z 1 DSGVO handle es sich bei „personenbezogenen Daten“ um alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person bezögen. Dabei komme nach dem Willen des Unionsgesetzgebers dem Begriff der „personenbezogenen Daten“ eine weite Bedeutung zu. Dieser umfasse alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen „über“ die in Rede stehende Person handle. Diese Voraussetzung sei erfüllt, wenn die Information mit einer bestimmten oder bestimmbaren Person verknüpft sei. Die Revisionswerberin verknüpfe bestimmte natürliche Personen mit der Angabe über die Wahrscheinlichkeit, mit welcher diese Person jeweils Interesse an Werbung von bestimmten Parteien habe. Diese Wahrscheinlichkeitswerte gründeten auf unterschiedliche Erhebungen. Die Verknüpfung der Parteiaffinität mit einer einzelnen Person erfülle dabei das in der Rechtsprechung des EuGH postulierte „Inhaltselement“. Auch wenn die tatsächliche politische Meinung des Betroffenen nicht bekannt sei, würde damit nämlich eine unmittelbare Aussage über die konkrete Person getroffen werden. Diese Aussage sei wiederum nicht völlig zufällig, sondern leite sich aus Korrelationen ab, die aus Meinungsumfragen und Wahlergebnissen gewonnen worden seien. Es handle sich damit um eine statistisch fundierte Einschätzung über die betreffende Person in Bezug auf ihr Interesse an Werbung für eine bestimmte politische Partei. Diese Information diene dem Zweck, Streuverluste in der Werbung zu vermeiden, weshalb das „Zweckelement“ erfüllt sei. Die betroffenen Personen könnten je nach der ihnen zugeordneten Parteiaffinität anders behandelt werden, in dem sie Werbung über eine bestimmte Partei erhalten oder nicht erhalten würden. Somit sei auch das Auswirkungserfordernis erfüllt. Es handle sich bei den Daten betreffend die Parteiaffinität sohin um personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Z 1 DSGVO. Das Verarbeitungsverbot des Art. 9 Abs. 1 DSGVO gelte für besondere Kategorien von Daten, zu denen unter anderem personenbezogene Daten gehörten, aus denen politische Meinungen hervorgingen. Strittig sei, ob aus der Angabe, dass sich eine Person mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für Werbung betreffend eine bestimmte politische Partei interessiere, die politische Meinung dieser Person im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO hervorgehe. Es komme auf die grundsätzliche Eignung der Daten an, die Gefahren auszulösen, die mit bestimmten Arten von personenbezogenen Daten üblicherweise verbunden seien. Bereits eine vermutete politische Meinung könne jene negativen Folgen für die betroffene Person auslösen, vor der Art. 9 DSGVO schützen solle. Da im vorliegenden Fall die jeweilige Bewertung der Parteiaffinität mehreren politischen Parteien zugeordnet würde, folgere aus dem Zusammenspiel zwischen hohen Wahrscheinlichkeitswerten und niedrigen Wahrscheinlichkeitswerten ein einschätzbares Werbeinteresse hinsichtlich einer Partei in Relation zu den anderen. Das Werbeinteresse lasse in dieser Konstellation darauf schließen, ob der Betroffene grundsätzlich die Meinung einer bestimmten politischen Partei vertrete, sich ihr nahe fühle bzw. in Erwägung ziehe, diese Partei zu wählen, oder sie ablehne. Die Gefahr der Diskriminierung einer bestimmten Person aufgrund einer vermuteten Nähe zu einer Partei falle unter den Schutzzweck des Art. 9 DSGVO.

16 Zusammengefasst seien die Datenarten zur Parteiaffinität als besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO anzusehen und unterlägen dem darin normierten Verarbeitungsverbot. Die Revisionswerberin könne die Verarbeitung der Datenarten nicht auf Art. 9 Abs. 2 lit. g DSGVO in Verbindung mit § 151 Abs. 6 Gewerbeordnung 1994 und auch auf keine der anderen Ausnahmebestimmungen des Art. 9 Abs. 2 DSGVO vom Verarbeitungsverbot stützen. Insofern erweise sich die Verarbeitung der jeweiligen Datenarten zur Parteiaffinität als rechtswidrig.

17 Die Revisionswerberin habe nach Vorliegen des bekämpften Bescheides die Datenarten zur Parteiaffinität gelöscht, insoweit sie diese nicht im Zusammenhang mit drohenden rechtlichen Auseinandersetzungen benötige und sie sich insofern auf die Ausnahmebestimmung des Art. 9 Abs. 2 lit. f DSGVO stützen könne. Damit sei die Grundlage für die Erteilung eines Löschungsauftrages weggefallen, weshalb der die Löschung betreffende Spruchteil des Spruchpunktes 2. ersatzlos zu beheben gewesen sei.

18 Hinsichtlich des in Spruchpunkt 2. ferner ausgesprochenen Unterlassungsgebots betreffend die weitere Verarbeitung der Daten „Parteiaffinitäten“ führte das Bundesverwaltungsgericht aus, gemäß Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO sei die belangte Behörde berechtigt, ein Verbot der Datenverarbeitung zu verhängen. Das Verbot der Verarbeitung sei in Hinblick auf die Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung fallbezogen geeignet, die Einhaltung der DSGVO umzusetzen und ‑ mangels Alternativen ‑ auch verhältnismäßig. Die Revisionswerberin vertrete zudem nach wie vor den rechtlichen Standpunkt, die Verarbeitung der „Parteiaffinität“ sei DSGVO‑konform, weshalb der diesbezügliche Unterlassungsauftrag zu Recht erteilt worden sei.

19 Die Revision sei zulässig, weil es an Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob die aus Durchschnittswerten ermittelte Einschätzung des Interesses natürlicher Personen an der Werbung bestimmter politischer Parteien, um diese in bestimmter Weise behandeln zu können, eine besondere Kategorie personenbezogener Daten im Sinne des Art. 9 DSGVO darstelle, auch wenn diese Einschätzung nicht auf ein Verhalten gründe, das die betreffende Person selbst gesetzt habe.

20 3. Gegen dieses Erkenntnis im Umfang der Abweisung der Beschwerde ‑ und sohin der Entscheidung betreffend die Aufrechterhaltung des Unterlassungsgebots ‑ richtet sich die vorliegende Revision.

21 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

22 4.1. Die Revision, die sich zur Zulässigkeit auf die bereits vom Bundesverwaltungsgericht angeführten Gründe stützt, ist schon deshalb zulässig, weil bis dato keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu der Frage der Einordnung von Daten als besondere Kategorien personenbezogener Daten ‑ im Folgenden auch „sensible“ Daten ‑ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO vorliegt. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

23 4.2. Die maßgebliche Rechtslage:

24 Die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz‑Grundverordnung; DSGVO) lautet auszugsweise:

„Artikel 4

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

‚personenbezogene Daten‘ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden ‚betroffene Person‘) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online‑Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann;

...

Artikel 9

Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten

(1) Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.

(2) Absatz 1 gilt nicht in folgenden Fällen:

a) Die betroffene Person hat in die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten für einen oder mehrere festgelegte Zwecke ausdrücklich eingewilligt, es sei denn, nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten kann das Verbot nach Absatz 1 durch die Einwilligung der betroffenen Person nicht aufgehoben werden,

...

g) die Verarbeitung ist auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich,

...

 

Artikel 58

Befugnisse

(1) Jede Aufsichtsbehörde verfügt über sämtliche folgenden Untersuchungsbefugnisse, die es ihr gestatten,

...

(2) Jede Aufsichtsbehörde verfügt über sämtliche folgenden Abhilfebefugnisse, die es ihr gestatten,

...

d) den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit dieser Verordnung zu bringen,

...

f) eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen,

...“

25 4.3. Zunächst ist die Frage zu klären, ob es sich bei den strittigen Daten um „personenbezogene Daten“ im Sinne des Art. 4 Z 1 DSGVO handelt, wobei der Betrachtung zugrunde liegt, dass diese Daten den insofern unstrittigen Feststellungen zufolge durch die Einordnung einer konkreten Person in eine bestimmte Marketinggruppe und der daraus resultierenden Zuordnung berechneter Wahrscheinlichkeitswerte aggregiert werden.

26 4.3.1. Art. 4 Z 1 DSGVO definiert personenbezogene Daten als „alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen“. Nach dieser Bestimmung wird als „identifizierbar“ eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online‑Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.

27 Der Begriff ist weit zu verstehen (Hödl in Knyrim, DatKomm Art. 4 DSGVO Rz 9; Eßer in Eßer/Kramer/von Lewinski, DSGVO‑BDSG6 Art. 4 DSGVO Rz 7). Deshalb weisen auch innere Zustände wie Meinungen, Motive, Wünsche, Überzeugungen und Werturteile sowie statistische Wahrscheinlichkeitsaussagen, die nicht bloße Prognose- oder Planungswerte darstellen, sondern subjektive und/oder objektive Einschätzungen zu einer identifizierten oder identifizierbaren Person liefern, einen Personenbezug auf (Hödl aaO; Klar/Kühling in Kühling/Buchner, DS‑GVO Art. 4 Nr 1 Rz 10; ebenso persönliche Überzeugungen, Vorlieben, Verhaltensweisen oder Einstellungen nennend Ernst in Paal/Pauly, DSGVO‑BDSG² Art. 4 DSGVO Rz 14). Damit umfasst der Begriff der „Information“ nicht nur Aussagen zu überprüfbaren Eigenschaften oder sachlichen Verhältnissen der betroffenen Person, sondern auch Einschätzungen und Urteile über sie, wie etwa „X ist ein zuverlässiger Mitarbeiter“ (Klabunde in Ehmann/Selmayer, DS‑GVO² Art. 4 Rz 9; vgl. auch Gola in Gola, DSGVO² Art 4 Rz 13). In diesem Sinne sind Daten mit Bezug zu einer Person auch dann personenbezogen, wenn sie unzutreffend sind (Reimer in Sydow, DSGVO² Art. 4 Rz 41); der Wahrheitsgehalt ist für die Betrachtung unerheblich (Klabunde aaO). Wahrscheinlichkeitsangaben haben Personenbezug, gleich ob sie sich auf Sachverhalte in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft beziehen (Ernst aaO; vgl. zu alldem OGH, 18.2.2021, 6 Ob 127/20z).

28 4.3.2. Fallbezogen ergibt sich daraus: Die den Betroffenen zugeordneten „Parteiaffinitäten“ enthalten jeweils eine Wahrscheinlichkeitsaussage über die Neigungen dieser Personen, die im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Verarbeitung unstrittig namentlich bezeichnet und damit zweifelsfrei identifiziert im Sinne des Art. 4 Z 1 DSGVO waren. Im Sinne der dargestellten Rechtslage sind die verfahrensgegenständlichen Angaben über die Betroffenen als personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Z 1 DSGVO anzusehen, handelt es sich doch um konkret bezeichneten Personen zugeordnete Aussagen und damit Informationen „über“ diese Personen. Ob diese Einschätzungen zutreffend sind, ist dabei ‑ wie oben erwähnt ‑ unerheblich. An diesem Ergebnis kann der Umstand nichts ändern, dass die betreffenden Informationen im Wege der Auswertung von Statistiken bzw. Meinungsumfragen aggregiert wurden.

29 Die insofern zutreffende Auslegung des Art. 4 Z 1 DSGVO durch das Bundesverwaltungsgericht steht auch in Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 20. Dezember 2017, Rs C‑434/16 , Nowak [ECLI:EU:C:2017:994]: Dort führt der EuGH in Ansehung der Vorgängerregelung des Art. 2 lit. a RL 95/46/EG aus, in der Verwendung des Ausdrucks „alle Informationen“ im Zusammenhang mit der Bestimmung des Begriffs „personenbezogene Daten“ komme das Ziel des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, diesem Begriff eine weite Bedeutung beizumessen. Er sei nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasse potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen „über“ die in Rede stehende Person handelt (vgl. EuGH, C‑434/16 , Nowak, Rz 34). Der EuGH beantwortete dort weiter das Vorliegen personenbezogener Daten anhand der Fragestellung, ob aufgrund der Daten Informationen über die betroffene Person vorlägen, ob diese Daten einen mit dem Betroffenen verbundenen Zweck erfüllen würden bzw. ob sich die Verwendung der Daten auf die Rechte und Interessen der betroffenen Person auswirken könnten (vgl. EuGH, C‑434/16 , Nowak, Rz 37 bis 39; vgl dazu auch die Stellungnahme 4/2007 der Art‑29‑Datenschutzgruppe zum Begriff „personenbezogene Daten“, S 11 ff).

30 Dass die hier in Frage stehenden, in Bezug auf einzelne bestimmte Personen getroffene Wahrscheinlichkeitsaussagen hinsichtlich deren Affinität zu bestimmten wahlwerbenden Parteien Informationen „über“ die betreffenden Personen im Sinne der genannten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind, kann nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden. So dienen diese dem Zweck, Betroffenen Werbung verstärkt oder in geringerem Ausmaß zukommen zu lassen, und haben insofern Auswirkungen auf das Verhalten von Dritten den Betroffenen gegenüber. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtslage sind die Daten daher als „personenbezogen“ im Sinne des Art. 4 Z 1 DSGVO anzusehen.

31 Der Verweis der Revision auf die Ausführungen der Art‑29‑Datenschutzgruppe in der „Stellungnahme 4/2007 zum Begriff personenbezogene Daten“ (WP 136) kann diese Schlussfolgerung nicht entkräften, wird doch dort ausgeführt, dass der Begriff der „personenbezogenen Daten“ neben „objektiven“ Informationen auch „subjektive“ Informationen, Meinungen und Beurteilungen miteinschließe (Stellungnahme 4/2007, S 7). Inwiefern diese Ausführungen dagegensprechen sollten, die von der Revisionswerberin verarbeitete Einschätzung politischer Interessen von Betroffenen als Informationen über diese Personen anzusehen, ist nicht nachvollziehbar.

32 Es steht dem auch nicht die von der Revision ins Treffen geführte Entscheidung des EuGH „YS ua.“ (C‑141/12 und C‑372/12 [ECLI:EU:C:2014:2081]) entgegen, ist doch dort ausdrücklich festgehalten, dass es sich bei den in der Analyse über den Aufenthaltstitel verwendeten Daten sehr wohl um personenbezogene Daten handelt. Dass nach den dortigen Ausführungen des EuGH die rechtliche Analyse eines Sachverhalts als solche kein personenbezogenes Datum darstellt, ist nicht vergleichbar mit dem in Zusammenhang mit einer bestimmten natürlichen Person verarbeiteten Ergebnis von Auswertungen, das eine Aussage über die Einschätzung der politischen Interessenneigung einer bestimmten Person trifft.

33 4.3.3. Die Revision führt letztlich zusammengefasst ins Treffen, der Informationsgehalt der Parteiaffinität habe sich stets nur auf eine anonyme Gruppe ‑ die Marketinggruppe ‑ bezogen und sei daher nicht personenbezogen im Sinne der DSGVO. Sie begründe keine Information „über“ eine individuelle Person, möge die Person auch einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden, sondern höchstens eine „Vermutung“. Eine andere Beurteilung dieser Frage würde die Unzulässigkeit der Veröffentlichung von Wahlergebnissen zur Folge haben, die ebenso eine Zuordnung bestimmter Personen in Wählergruppen erlaube. Dass die Zuordnung dort nicht ausdrücklich vorgenommen werde, ändere nämlich nichts an der Möglichkeit der Einordnung einer bestimmten Person in eine Wählergruppe.

34 4.3.3.1. Der Oberste Gerichtshof führte in einem Urteil vom 15. April 2021, 6 Ob 35/21x, zur Rechtslage in dieser Frage Folgendes aus:

„Aggregierte oder statistische Daten sind hingegen dann nicht personenbezogen, wenn sie keine Rückschlüsse mehr auf eine einzelne Person zulassen, was im Einzelfall anhand der gewählten Gruppengröße, des Aggregationsniveaus oder der in der Statistik ausgewiesenen Merkmale zu beurteilen ist (Eßer in Eßer/Kramer/von Lewinski, DSGVO‑BDSG6 Art 4 DSGVO Rz 31; Klar/Kühling in Kühling/Buchner, DSGVO‑BDSG³ Art 4 Nr 1 DSGVO Rz 15). Es kommt daher darauf an, ob eine Sammelangabe über eine Personengruppe gemacht oder ob eine Einzelperson als Mitglied einer Personengruppe gekennzeichnet wird, so etwa bei der Klassifizierung von zu Werbezwecken gespeicherten Daten, wenn Bewohner einer Straße aufgrund der Bevölkerungsstruktur einer bestimmten Käufergruppe oder Kaufkraftklasse zugeordnet werden (Gola in Gola, DSGVO² Art 4 Rz 8); (...). Knyrim (Zur Zulässigkeit des Adresshandels der Ö***** AG, ecolex 2019, 715), dem sich das Erstgericht angeschlossen hatte, vertritt die Auffassung, dass die von der Post ermittelten Wahrscheinlichkeitsangaben keine Aussagen über spezifische Personen, sondern vielmehr anonyme, abstrakte Durchschnittswerte von Marketinggruppen darstellten, die einer Person lediglich ‚zugeschrieben‘ würden. Es mangle daher schon am Kriterium der Information über eine bestimmte Person, weshalb ‚fraglich‘ sei, ob die gegenständlichen Wahrscheinlichkeitsangaben als personenbezogene Daten einzustufen seien und daher unter die DSGVO fielen. Dem vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen: (...)“

35 4.3.3.2. Insofern die Revision vermeint, der Informationsgehalt der „Parteiaffinität“ habe sich niemals auf eine bestimmte Person bezogen, sondern stets auf eine anonyme Gruppe, ist dem die zutreffende Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts entgegenzuhalten, dass die basierend auf Umfragedaten und Statistiken ermittelten Wahrscheinlichkeitswerte aufgrund bestimmter Korrelationen den betroffenen Personen zugeordnet und in dieser zugeordneten Form datenschutzrechtlich verarbeitet wurden. Die Parteiaffinität wurde sohin im konkreten Fall bezogen auf eine jeweils identifizierte Person verarbeitet und unterscheidet sich in diesem Punkt entscheidend von anonymen statistischen Auswertungen wie etwa Wahlanalysen, insofern diese keine auf eine bestimmte ‑ und damit weder auf eine identifizierte noch auf eine identifizierbare ‑ Person bezogene Angaben enthalten.

36 Aus diesen Erwägungen geht der von der Revisionswerberin gezogene Vergleich mit Wahlanalysen fehl: Bei diesen wird mangels Zuordnung statistisch erhobener Werte zu bestimmten Personen gerade keine Aussage über das vermutete Wahlverhalten eines Einzelnen getroffen. Damit werden - in der Regel ‑ keine personenbezogenen Daten generiert.

37 Mit ihrem Hinweis darauf, dass aus Wahlanalysen von Dritten freilich ‑ bei Kenntnis der jeweiligen persönlichen Daten des Einzelnen ‑ eine Wahrscheinlichkeitsaussage über die Parteiaffinität bestimmter Personen abgeleitet und auf diese Weise ein Personenbezug hergestellt werden könne, übersieht die Revision, dass dieses Argument nur die Frage betrifft, inwieweit die bloße Identifizierbarkeit einer Person, auf die sich ein spezifisches Datum tatsächlich bezieht, mit dem Wissen und den Mitteln eines Dritten ausreicht, um dieses als personenbezogenes Datum im Sinn des Art. 4 Z 1 DSGVO zu qualifizieren (vgl nur Hödl in Knyrim, DatKomm Art. 4 DSGVO Rz 10, 14, mwN).

38 Während jedoch der tatsächliche Bezug der Information zu einer Einzelperson bei anonymen Erhebungen ‑ wie Wahlanalysen ‑ fehlt und sich allenfalls im Einzelfall die Frage nach der Bestimmbarkeit der von der Analyse erfassten Personen stellt, wurde dieser Bezug im vorliegenden Fall durch die Zuordnung der Information betreffend „Parteiaffinität“ zu konkreten ‑ namentlich identifizierten ‑ Einzelpersonen ausdrücklich vorgenommen.

39 Um andere Daten, namentlich um die von der Revisionswerberin zur Erstellung dieser Wahrscheinlichkeitsaussage herangezogenen Umfragedaten und statistischen Prognosewerte, geht es fallgegenständlich nicht. Insofern geht der wiederholte Einwand der Revisionswerberin, dass nach dem Willen des Gesetzgebers anonymisierte Daten, das heißt anonyme Daten, die sich zuvor auf bestimmbare Personen bezogen, die jedoch nicht mehr identifizierbar sind, ‑ etwa statistische Informationen ‑ als nicht‑personenbezogene Daten nicht von der DSGVO umfasst sein sollten, ins Leere.

40 4.3.4. Es ist daher zusammenfassend festzuhalten, dass sich das von der Revisionswerberin gewünschte Auslegungsergebnis, wonach die einer bestimmt bezeichneten Person zugeschriebene (hohe) Empfänglichkeit für Werbung konkreter Parteien kein personenbezogenes Datum sein soll, aus Art. 4 Z 1 DSGVO keinesfalls ableiten lässt. Ist aber das Ergebnis der Auslegung des Unionsrechts ‑ wie hier ‑ derart offenkundig, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt, ist im Sinn der „acte‑clair“‑Doktrin die Anrufung des EuGH entbehrlich (vgl. EuGH 6.10.2021, C‑561/19 , „Consorzio Italian Management“, Rz 39 ff, 51; vgl. auch RS0082949 [T18]); dies gilt selbst bei fehlender Rechtsprechung des EuGH (RS0082949 [T5]).

41 4.4. Zum „Hervorgehen der politischen Meinung“ gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO:

42 Gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO ist ‑ neben anderen dort aufgezählten besonderen Kategorien personenbezogener Daten (im Folgenden auch: sensible Daten) ‑ die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen politische Meinungen einer natürlichen Person hervorgehen, untersagt.

43 4.4.1. Das Bundesverwaltungsgericht führte zusammengefasst aus, dass sich die Revisionswerberin nicht auf den Ausnahmetatbestand des Art. 9 Abs. 2 lit. g DSGVO iVm § 151 Abs. 6 GewO 1994 stützen könne. Maßgeblich für die Interpretation des Art. 9 DSGVO sei dessen Schutzzweck. Dieser solle vor den Gefahren der Verarbeitung von Daten schützen, die wegen ihrer Nähe zu Grundrechten besonders sensibel seien und ein besonders hohes Schadens- und Diskriminierungspotential aufweisen würden. Es komme dabei darauf an, ob bestimmte Daten abstrakt geeignet seien, diese Gefahren auszulösen. Auf die konkret unternommenen Verarbeitungsschritte komme es bei dieser Betrachtung nicht an. Da bereits die Vermutung einer politischen Einstellung einer Person für den Betreffenden negative Folgen haben könne, vor welchen Art. 9 DSGVO schützen solle, sei es ausreichend, wenn sich aus einer Information eine politische Meinung mit hinreichender Sicherheit ergebe. Das Zusammenspiel von hohen und niedrigen Wahrscheinlichkeitswerten hinsichtlich des Interesses für politische Parteien lasse auf die Einstellung der betreffenden Person zu bestimmten Parteien schließen. Es mache dabei keinen Unterschied, ob die unterstellte politische Meinung auf einem tatsächlichen Verhalten der betreffenden Person beruhe oder auf statistischen Methoden gründe. Die Parteiaffinität sei daher als besondere Kategorie personenbezogener Daten anzusehen, deren Verarbeitung untersagt sei.

44 4.4.2. Die Revision hält dem entgegen, die Angaben zur Parteiaffinität seien im vorliegenden Fall nicht bei den Betroffenen erhoben oder aus deren Verhalten gewonnen worden. Sie könnten nur als abgeleitete Daten gewertet werden und seien somit nicht als solche anzusehen, aus welchen eine politische Meinung „hervorgehe“. Die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts würde zu einer vom Verordnungsgeber nicht gewünschten Ausdehnung der besonderen Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO führen. Aus der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich zudem, dass nur dort, wo hohe und niedrige Wahrscheinlichkeitswerte zusammenträfen, eine politische Meinung abgeleitet werden könne. Es obliege bei dieser Betrachtungsweise der Sichtweise des Verantwortlichen, ob es sich um ein sensibles Datum handle oder nicht.

45 4.4.3. Der Oberste Gerichtshof hat in dem bereits oben erwähnten Urteil vom 15. April 2021, 6 Ob 35/21x, zu diesen de facto dort gleichlautenden Argumenten der am dortigen Verfahren über die Unterlassungsklage einer von der auch hier verfahrensgegenständlichen Datenverarbeitung betroffenen Person als Beklagte beteiligten Revisionswerberin wie folgt ausgeführt:

„2.2. Diese Argumentation nimmt jedoch nicht ausreichend auf die rechtspolitische Zielsetzung hinter Art 9 Abs 1 DSGVO Bedacht, die sich nicht zuletzt aus ErwGr 51 zur DSGVO ergibt: Personenbezogene Daten, die ihrem Wesen nach hinsichtlich der Grundrechte und Grundfreiheiten besonders sensibel sind, verdienen einen besonderen Schutz, weil im Zusammenhang mit ihrer Verarbeitung erhebliche Risiken für die Grundrechte und Grundfreiheiten auftreten können (idS auch Artikel‑29‑Datenschutzgruppe, Advice paper on special categories of data [2011] 4). So wird denn auch in der Lehre ‑ neben dem höchstpersönlichen bzw identitätsstiftenden Charakter des von Art 9 Abs 1 DSGVO erfassten Spektrums an Informationen ‑ betont, dass die nach Abs 1 geschützten Datenkategorien ein hohes Schadens- und Diskriminierungspotential aufweisen, das sich immer wieder realisiert (vgl Frenzel in Paal/Pauly, DSGVO‑BDSG3 Art 9 DSGVO Rz 6 mwN; weiters Kastelitz/Hötzendorfer/Tschohl in Knyrim, DatKomm Art 9 DSGVO Rz 3; Albers/Veit, BeckOK DatenschutzR Art 9 DS‑GVO Rz 17 f).

2.3. Wenn nun aber Art 9 DSGVO insbesondere auch davor schützen soll, dass betroffene Personen durch die Datenverarbeitung dem Risiko besonders schwerwiegender Diskriminierungen ausgesetzt sind, dann erscheint es geboten, nicht nur solche Daten in den Schutzbereich des Art 9 Abs 1 DSGVO einzubeziehen, aus denen die tatsächliche politische Einstellung des Betroffenen hervorgeht, sondern gerade auch Daten über vermutete politische Vorlieben des Einzelnen, birgt doch deren Verarbeitung ebenfalls das Risiko besonderer negativer Folgen für den Betroffenen in sich.

(...)

2.5. Ist aber aus teleologischen Erwägungen auch die Verarbeitung eines Datums in den Schutzbereich des Art 9 Abs 1 DSGVO einzubeziehen, das keine Aussage über die tatsächlichen politischen Überzeugungen und Vorlieben trifft, sondern dessen Informationsgehalt sich in einer bloßen Wahrscheinlichkeitsaussage über die vermutete gesteigerte Empfänglichkeit des Betroffenen für Werbung einer speziellen politischen Partei erschöpft, dann stellt sich die von der Beklagten in der Folge aufgeworfene Frage nicht, ob aus dem hier in Rede stehenden Datum überhaupt eine politische Meinung des Klägers ‚hervorgeht‘. Die dem Kläger seitens der Beklagten unterstellte politische Meinung tritt nämlich aus dessen Zuordnung zu der spezifischen Marketingzielgruppe (Wahlwerbung FPÖ), jedenfalls in Zusammenschau mit den übrigen Zielgruppenzuordnungen, deutlich zu Tage, geht also mit anderen Worten nicht bloß ‚mit hinreichender Wahrscheinlichkeit‘, sondern unzweifelhaft hervor (aA Knyrim, Zur Zulässigkeit des Adresshandels der Österreichischen Post AG, ecolex 2019, 715 [718]: ‚Hervorgehen‘ könne nur etwas, das von der Person selbst konkret kommt).

(...)

2.6. Aus diesem Grund ist für die Beklagte auch aus ihrem Verweis auf Jahnel (DSGVO [2021] Art 9 Rz 14 ff) nichts zu gewinnen, wonach nicht schon jede ‚theoretische Ableitung‘ einer sensiblen Information die Zuordnung zur besonderen Datenkategorie nach sich ziehe; diese Information müsse aus den vorliegenden Daten aus objektiver Sicht mit hinlänglicher Sicherheit zu folgern sein. Soweit damit erkennbar zum Ausdruck gebracht werden soll, dass Daten alleine deshalb, weil daraus vage Schlüsse auf die allfällige politische Meinung der betroffenen Person gezogen werden könnten, noch nicht der besonderen Kategorie personenbezogener Daten nach Art 9 Abs 1 DSGVO zuzuordnen sind, dann ist dies zwar zutreffend. Darum geht es aber im vorliegenden Fall nicht:

Der Vorwurf rechtswidriger Verarbeitung sensibler Daten betrifft hier nämlich weder die von der Beklagten aggregierten anonymisierten Umfragedaten und statistisch errechneten Wahrscheinlichkeitswerte noch die damit ‑ zur Ermittlung der Parteiaffinität ‑ verknüpften persönlichen Daten des Klägers wie Wohnort, Geschlecht usw (zur Frage, ob solche vorgelagerten Datenverarbeitungsvorgänge, die an sich unverfängliche persönliche Daten des Einzelnen betreffen, schon aufgrund des damit verfolgten Zwecks, nämlich der Ermittlung der vermuteten politischen Meinung des Betroffenen, mit Blick auf Art 9 Abs 1 DSGVO unzulässig sind, vgl jedoch Frenzel in Paal/Pauly, DSGVO‑BDSG3 Art 9 DSGVO Rz 12 mwN; EDSA, Erklärung Nr 2/2019 zur Verwendung personenbezogener Daten im Rahmen politischer Kampagnen, angenommen am 13. 3. 2019);

(...)“

46 4.4.4. Diesen Ausführungen schließt sich der Verwaltungsgerichtshof an. Hinzuzufügen ist dem, dass es für die Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 DSGVO ausreicht, wenn hinsichtlich der Datenkategorien rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse und weltanschauliche Überzeugung und Gewerkschaftszugehörigkeit die sensible Information nur mittelbar hervorgeht. Es werden somit auch indirekte Hinweise auf diese Merkmale dem besonderen Schutz unterworfen, wobei die Erkennbarkeit für einen durchschnittlichen, objektiven Dritten genügen soll (vgl. Kastelitz/Hötzendorfer/Tschohl in Knyrim, DatKomm Art. 9 DSGVO, Rz 19f).

47 4.4.4.1. Das Bundesverwaltungsgericht legt vor dem Hintergrund dieser Rechtslage überzeugend dar, dass sich unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Art. 9 DSGVO, betroffene Personen vor Diskriminierungen aufgrund einer (unterstellten) politischen Meinung zu schützen, fallbezogen die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Hervorgehens der politischen Meinung aus den verarbeiteten Daten ergibt: Würden ‑ wie hier ‑ Personen mit einer hohen „Parteiaffinität“ als für Werbung ‑ und damit für eine bestimmte politische Meinung ‑ empfänglich angesehen und aus diesem Grund gezielt mit Werbung über bestimmte politische Parteien beworben werden, bestünden dazu spiegelbildlich die Gefahren, die Art. 9 DSGVO vermeiden wolle, nämlich derartige Personen zu benachteiligen, weil eine gewisse Nähe zu einer Partei vermutet wird.

48 Die Angabe über die Parteiaffinität ist in diesem Sinne sehr wohl geeignet, einem objektiven Dritten hinreichend deutlich eine Haltung des Betroffenen den politischen Parteien gegenüber zu vermitteln.

49 Führt die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang aus, es sei bei der Einordnung der Daten als „sensible Daten“ der Verarbeitungskontext zu berücksichtigen, ist fallbezogen für ihren Standpunkt in Anbetracht der Feststellung, dass die Daten an wahlwerbende Parteien veräußert wurden, nichts zu gewinnen. Gerade daraus lässt sich wohl nicht folgern, dass die Daten in einem Verarbeitungskontext standen, der das Gefahrenpotential, vor dem Art. 9 Abs. 1 DSGVO schützen soll, nicht mit sich bringt.

50 4.4.4.2. Dem Revisionsvorbringen, dass sich ausgehend von der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts nur bei bestimmten zugeordneten Wahrscheinlichkeitswerten eine Vorliebe oder Abneigung einer Person gegenüber einer bestimmten politischen Partei ableiten lasse, ist Folgendes zu entgegnen: Nicht nur die Unterstellung eines gesteigerten Interesses für eine bestimmte Partei, sondern ebenso die sich aus den Daten allenfalls ergebende Ablehnung oder auch die Gleichgültigkeit gegenüber einer oder allen erlaubt die Schlussfolgerung auf eine bestimmte politische Haltung. Die Frage der konkreten Aussage über die Parteiaffinität im Einzelfall ist kein Kriterium für die Klärung der Rechtsfrage, ob es sich hier um Daten handelt, denen ‑ ex ante betrachtet ‑ mit hinreichender Deutlichkeit eine wie immer sich darstellende politische Meinung zu entnehmen ist. Jede politische Haltung ist nämlich abstrakt geeignet, die Gefahr einer Diskriminierung oder auch Andersbehandlung mit sich zu bringen, und es ist gerade das Ziel der Bestimmungen der DSGVO im Zusammenhang mit der Verarbeitung sensibler Daten, die Betroffenen vor den mit einer Bewertung durch Rezipienten einer solchen Information zusammenhängenden möglichen Folgen zu schützen. Auf die konkrete Bewertung einer politischen Meinung, die ‑ wie hier ‑ im Ergebnis hinreichend deutlich aus der verarbeiteten Information hervorgeht, kann es daher nicht ankommen.

51 Insofern die Revision vorbringt, es handle sich bei der fallgegenständlichen Datenverarbeitung um eine zulässige Marketingklassifikation, die ausschließlich zur Konsequenz habe, dass ein Betroffener nicht zu den Empfängern bestimmter Werbebotschaften zähle, verkennt diese, dass andere Betroffene durch die Datenverarbeitung zu vorselektierten Empfängern von Werbebotschaften ‑ im vorliegenden Fall von politischen Parteien ‑ werden. Insbesondere belegt diese Konsequenz zwar wiederum das Vorliegen von personenbezogenen Daten, weil diese für die Betroffenen konkrete Auswirkungen zeitigen können (vgl. wiederum die Stellungnahme 04/2007 der Art‑29‑Datenschutzgruppe, S 13). Dass dieser Verarbeitungskontext ‑ Verarbeitung zu Marketingzwecken ‑ geeignet wäre, Bedenken gegen allfällige Diskriminierungen auszuschließen, wurde bereits oben verneint.

52 4.4.5. Vor dem Hintergrund des unter Bedachtnahme auf den Regelungszweck eindeutigen und mit dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 DSGVO in Einklang stehenden Auslegungsergebnisses besteht wegen Fehlens jedes Auslegungszweifels („acte clair“) auch in diesem Punkt keine Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV (vgl. oben Rz 40).

53 4.4.6. Damit ist festzuhalten, dass die verfahrensgegenständlichen Daten betreffend die Parteiaffinität unter den Begriff der besonderen Kategorie personenbezogener Daten (sensible Daten) des Art. 9 Abs. 1 DSGVO zu subsumieren sind, deren Verarbeitung ‑ vorbehaltlich eines Ausnahmetatbestandes ‑ untersagt ist. Auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes kommt die Revision nicht zurück.

54 4.5. Zum Gebot der Unterlassung gemäß Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO:

Die Revision bringt gegen den Unterlassungsausspruch vor, die belangte Behörde habe keinen Unterlassungsauftrag erteilt, sondern lediglich die Löschung der Daten angeordnet. Die Löschung sei zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bereits erfolgt gewesen, weshalb der hier angefochtene Unterlassungsausspruch mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet sei.

Dem ist nicht zu folgen: Das Bundesverwaltungsgericht hat klar dargelegt, dass die belangte Behörde mit ihrem Bescheid in Spruchpunkt 2.) unter einem sowohl einen Löschungsauftrag erteilte als auch eine Unterlassungsanweisung aussprach, und im angefochtenen Erkenntnis ‑ diesbezüglich in Einklang mit der Ansicht der Revision ‑ wegen der zum Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bereits vorgenommenen Löschung der Daten den die Löschung betreffenden Teil des Spruchpunktes 2.) des bekämpften Bescheids ersatzlos behoben. Inwiefern dies die Rechtswidrigkeit der vom Bundesverwaltungsgericht aufrecht erhaltenen Unterlassungsanweisung nach sich ziehen sollte, ist nicht nachvollziehbar, zumal der Löschungsauftrag auf die Beseitigung der vorhandenen Ergebnisse der rechtswidrigen Datenverarbeitung abzielt, die Unterlassungsanweisung jedoch dazu dient, in Hinkunft eine weitere rechtswidrige Datenverarbeitung zu verhindern. Eine Überschreitung des Verfahrensgegenstandes ist in dieser Vorgehensweise des Bundesverwaltungsgerichts in Hinblick auf die zwei eindeutig trennbaren behördlichen Anordnungen, die beide Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht waren, nicht ersichtlich.

4.6. Der Revision war aus den dargelegten Gründen der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. Dezember 2021

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