VwGH Ra 2021/01/0178

VwGHRa 2021/01/01784.6.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des M S in L, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2020, Zl. I406 2233861‑1/25E und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 2020, Zl. I406 2233861‑1/27Z, betreffend Festnahme und Vorführung nach BFA‑VG, den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §43 Abs1 Z2 lita
B-VG Art133 Abs5
B-VG Art144 Abs1
VwGG §28 Abs1 Z4
VwGG §34 Abs1
12010P/TXT Grundrechte Charta Art6

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010178.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. November 2020 wurde ‑ soweit verfahrensgegenständlich ‑ die Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers gegen seine Festnahme am 7. August 2020, um 10.55 Uhr, bis 8. August 2020, um 13.50 Uhr, und seine Vorführung zur Erstaufnahmestelle „West“ in Thalham (EAST‑West) als unbegründet angewiesen (A) I.), der Revisionswerber zu näher bezeichnetem Aufwandersatz verpflichtet (A) III.) und die Revision für nicht zulässig erklärt (B).

2 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, die Vorführung des Revisionswerbers sei, da er zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung nicht zum Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet berechtigt gewesen sei, auf Grundlage des § 43 Abs. 1 Z 2 lit. a BFA‑VG rechtmäßig gewesen. Die Vorführung sei für die weitere Verfahrensführung notwendig und verhältnismäßig gewesen. Soweit der Revisionswerber in der Bundes‑Grundversorgung zu COVID‑Vorsichtsmaßnahmen verhalten worden sei, habe dies nicht die Intensität eines Freiheitsentzuges erreicht.

3 Mit angefochtenem Beschluss vom 13. November 2020 berichtigte das BVwG dieses Erkenntnis dahingehend, dass die in Spruchpunkt A) I. angeführte Wortfolge “gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA‑VG" entfalle.

4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, bei der Zitierung der angeführten Gesetzesgrundlagen handle es sich um ein Versehen, da es sich bei der bekämpften Maßnahme nicht um eine Schubhaft, sondern um die Festnahme und Vorführung des Revisionswerbers zur EAST‑West gehandelt habe.

5 Gegen dieses Erkenntnis bzw. diesen Beschluss erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 24. Februar 2021, E 4533/2020-7, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Prüfung eines angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichts dem Revisionspunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG entscheidende Bedeutung zu, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Revisionswerbers verletzt worden ist, sondern nur, ob jenes verletzt worden ist, dessen Verletzung der Revisionswerber behauptet. Durch den Revisionspunkt wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gebunden ist. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. etwa VwGH 9.2.2021, Ra 2021/01/0017, mwN).

8 In der Revision wird zunächst als Revisionspunkt die Verletzung des Revisionswerbers im Recht auf „persönliche Freiheit nach Art. 6 EUGRC“ geltend gemacht. Grundrechte, die durch die Grundrechtecharta der Europäischen Union garantiert sind, sind verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, die vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen sind (vgl. etwa VwGH 22.10.2019, Ra 2019/02/0022, 0082 und 0001, mwN, unter Hinweise auf VfGH 14.3.2012, U 466/11 u.a. = VfSlg. 19.632). Der Verwaltungsgerichtshof ist zur Prüfung einer behaupteten Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts, das gemäß Art. 144 Abs. 1 B‑VG als Prozessvoraussetzung für ein Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof umschrieben ist, nicht berufen (vgl. etwa VwGH 12.3.2021, Ra 2021/02/0043, mwN; vgl. auch fallbezogen zur Ablehnung der Beschwerde des Revisionswerbers VfGH 24.2.2021, E 4533/2020‑7).

9 Die Revision macht weiter die Verletzung im Recht, „nicht zwangsweise nach Thalham verbracht zu werden“ geltend. Das subjektiv‑öffentliche Recht eines Maßnahmenbeschwerdeführers besteht aber alleine darin, dass der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird (vgl. dazu grundsätzlich VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0373, Rn. 59, mwN).

10 Mit dem in der Revision zuletzt als Revisionspunkt angeführten Recht auf „Durchführung eines regulären Prüfungsverfahrens“ wird kein subjektiv öffentliches Recht im Sinn des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG angeführt, weil es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine solchen abstrakten Rechte gibt (vgl. etwa VwGH 9.2.2021, Ra 2021/01/0017, mwN).

11 Soweit sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen den angefochtenen Beschluss wendet, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Revision nur dann von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG abhängt, wenn sich die Rechtsfrage innerhalb des Revisionspunktes, also des vom Revisionswerber selbst definierten Prozessthemas, stellt (vgl. etwa VwGH 9.2.2021, Ra 2021/01/0017, mwN).

12 Im Übrigen entfernt sich der Revisionswerber in seinem Zulässigkeitsvorbringen, das angefochtene Erkenntnis werfe die grundsätzliche Rechtsfrage auf, ob es zulässig sei, „einen vollintegrierten Asylwerber ... als Gefangenen in ein Erstaufnahmelager zu sperren und erst nach 12 Tagen wieder in Freiheit zu setzten“, nicht nur vom Umfang der bekämpften Maßnahme, sondern auch vom festgestellten Sachverhalt (vgl. etwa VwGH 19.4.2021, Ra 2021/01/0112, mwN, wonach Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG vorliegt, der festgestellte Sachverhalt ist. Entfernt sich der Revisionswerber bei der Zulässigkeitsbegründung von diesem, kann schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen).

13 Insoweit die Revision die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zu näher bezeichneten Fragen anregt, ist ihr vor dem Hintergrund des Obgesagten nicht zu entnehmen, inwiefern der Verfahrensausgang konkret von der formulierten Frage des Unionsrechts abhängen soll (vgl. etwa VwGH 5.3.2021, Ra 2020/14/0342).

14 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 4. Juni 2021

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