Normen
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020010278.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird im angefochtenen Umfang, sohin in seinem Spruchpunkt A II., wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 27. April 2018 wies das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Amtsrevisionswerberin) den Antrag des Mitbeteiligten, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan fest und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
2 Mit Erkenntnis vom 18. Juli 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt, erkannte dem Mitbeteiligten gemäß §§ 3, 34 Abs. 2 AsylG 2005 (abgeleitet von seiner Ehefrau) den Status des Asylberechtigten zu und stellte seine Flüchtlingseigenschaft fest.
3 Mit dem angefochtenen Beschluss nahm das Verwaltungsgericht aus Anlass der Eingabe der Amtsrevisionswerberin vom 8. Mai 2020 das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 VwGVG von Amts wegen wieder auf (Spruchpunkt A I.), hob in Erledigung der Beschwerde den Bescheid der Amtsrevisionswerberin vom 27. April 2018 zur Gänze auf und wies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Amtsrevisionswerberin zurück (Spruchpunkt A II.). Zudem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).
4 Das Verwaltungsgericht begründete die Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens (Spruchpunkt A I.) zusammengefasst damit, dass der Mitbeteiligte im Beschwerdeverfahren objektiv unrichtige Angaben zu seiner Herkunft in Irreführungsabsicht getätigt habe, weshalb auch sein Familienstand in Zweifel gezogen werden müsse. Da der Mitbeteiligte ausschließlich abgeleitet von seiner asylberechtigten Ehefrau den Status als Asylberechtigter bekommen habe, komme den Angaben des Mitbeteiligten zu seiner Identität wesentliche Bedeutung zu.
Zur Behebung des verwaltungsbehördlichen Bescheides (Spruchpunkt A II.) führte das Verwaltungsgericht begründend aus, dass der maßgebliche Sachverhalt in Bezug auf die Identität des Mitbeteiligten ergänzungsbedürftig sei. Auf Grund der „nicht absehbaren Weiterungen des Verfahrens nach Durchführung der notwendigen Erhebungen“ sei die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht weder mit einer Kostenersparnis noch mit einer Verfahrensbeschleunigung verbunden und liege somit nicht im Interesse der Prozessökonomie. Die Amtsrevisionswerberin könne als „Spezialbehörde“ die gravierenden Ermittlungslücken, die Erhebungen notwendig machen würden, rascher und effizienter schließen. Die Amtsrevisionswerberin sei „wohl nicht“ für das Fehlen der Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt verantwortlich. In wessen Verantwortlichkeit dieser Umstand falle, könne aber dahingestellt bleiben.
5 Ausschließlich gegen Spruchpunkt A II. dieses Beschlusses (Aufhebung des verwaltungsbehördlichen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Amtsrevisionswerberin) richtet sich die vorliegende Amtsrevision. Der Mitbeteiligte beantragte in der von ihm erstatteten Revisionsbeantwortung die Zulassung der Amtsrevision sowie die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Beschlusses.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Amtsrevision ist aus den in ihrem Zulässigkeitsvorbringen angeführten Gründen, wonach der angefochtene Beschluss in Bezug auf Spruchpunkt A II. der näher dargelegten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit von Zurückverweisungsbeschlüssen nach § 28 Abs. 3 VwGVG widerspreche und nicht die in dieser Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen erfülle, zulässig und berechtigt.
7 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).
8 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2020/01/0010, Rn. 10, mwN).
9 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. abermals VwGH 4.3.2020, Ra 2020/01/0010, Rn. 11, mwN).
10 Das Verwaltungsgericht zeigt nicht einmal ansatzweise krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken auf, die im Sinn der dargestellten Rechtsprechung eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Amtsrevisionswerberin zur Durchführung notwendiger Ermittlungen rechtfertigen könnten.
11 Der bloße Hinweis des Verwaltungsgerichts auf „nicht absehbare Weiterungen des Verfahrens nach Durchführung der notwendigen Erhebungen“ reicht nicht aus, um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG im Lichte der dargestellten Rechtsprechung zu begründen.
12 Ebenso wurde das vom Verwaltungsgericht ergänzend herangezogene Argument, die Amtsrevisionswerberin, könne die Erhebungen als Spezialbehörde rascher und effizienter nachholen, in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon verworfen und als untauglich angesehen, eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu begründen (vgl. etwa VwGH 3.4.2018, Ra 2017/01/0433, Rn. 12; 2.9.2019, Ra 2019/01/0086, Rn. 11, jeweils mwN).
13 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
14 Kosten waren dem Mitbeteiligten schon deshalb nicht zuzusprechen, weil er gemäß § 47 Abs. 3 VwGG nur im Fall der Abweisung der Revision Anspruch auf Aufwandersatz hätte (vgl. abermals VwGH 4.3.2020, Ra 2020/01/0010, Rn. 17, mwN)
Wien, am 8. März 2021
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