VwGH Ra 2019/20/0564

VwGHRa 2019/20/056418.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des A W in W, vertreten durch Dr. Friederike Wallentin‑Hermann, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Bäckerstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Oktober 2019, W177 2198560‑1/14E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §13a
B-VG Art133 Abs4
FlKonv Art1 AbschnA Z2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019200564.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 23. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit dem Bescheid vom 4. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der dieses mit Erkenntnis vom 26. November 2020, E 4337/2019‑18, im Umfang der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten samt den rechtlich davon abhängenden Aussprüchen aufhob. Betreffend die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 In der Folge wurde die vorliegende Revision eingebracht.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Zu dem Einwand, das Bundesverwaltungsgericht hätte den Revisionswerber zu einem für ihn günstigen Vorbringen anleiten müssen, ist festzuhalten, dass sich die ‑ nach § 17 VwGVG auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten geltende ‑ Manuduktionspflicht nach § 13a AVG auf Verfahrenshandlungen und deren Rechtsfolgen bezieht. Das Bundesverwaltungsgericht war daher nicht verhalten, den Revisionswerber anzuleiten, wie er sein Vorbringen zu gestalten habe, um einen von ihm angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/18/0065, mwN).

10 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich ‑ nach Durchführung einer Verhandlung ‑ mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers unter Einbeziehung der einschlägigen Berichtslage auseinandergesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass es diesem nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsland glaubhaft zu machen.

11 Wenn die Revision unter dem Titel einer Abweichung von (nicht näher spezifizierter) Rechtsprechung zur Asylrelevanz einer Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure auf den Umstand hinweist, dass nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts nach islamischem Recht „die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie gelte und für einen Konvertiten, sollte es zu keinem Widerruf kommen, Enthauptung als angemessene Strafe gelte“, ist zum Einen festzuhalten, dass sich das darauf aufbauende Revisionsvorbringen von den zur Person des Revisionswerbers getroffenen Annahmen des Bundesverwaltungsgerichts entfernt. Diesen Annahmen zufolge sei der Revisionswerber zwar in Österreich „aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten“, jedoch „nicht aus innerer Überzeugung vom islamischen Glauben abgefallen“, und es ergebe sich bei ihm das Bild eines „im Islam aufgewachsenen, derzeit aber religiös desinteressierten Menschen“ (so das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung). Die Revision zeigt in diesem Zusammenhang eine Rechtsfrage im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B‑VG schon deshalb nicht auf, weil sie nicht darlegt, dass eine Person dieser Kategorie nach den ins Treffen geführten Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Rechtslage nach islamischem Recht als „Konvertit“ oder „Apostat“ gelten würde (vgl. zum Fehlen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, wenn sich die Revision vom festgestellten Sachverhalt entfernt, VwGH 24.9.2020, Ra 2020/20/0334, mwN).

12 Darüber hinaus übersieht die Revision, dass es, um feststellen zu können, ob die in (staatlichen oder religiösen) Normen festgelegten Sanktionen wegen eines auf einer bestimmten Überzeugung beruhenden Verhaltens auf eine Verfolgung im Sinne der GFK hinauslaufen, entscheidend nicht nur auf die geltenden Rechtsvorschriften (und die Verhältnismäßigkeit der potentiellen Strafe) ankommt, sondern auch auf die „tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung“ (VwGH 27.5.2015, Ra 2014/18/0133; 20.12.2016, Ra 2016/01/0126; VfGH 25.6.2014, U 433/2013). Dass sich ‑ über das Bestehen entsprechender Normen hinaus ‑ diese tatsächlichen Umstände im Heimatland des Revisionswerbers so darstellten, dass eine Person mit den Eigenschaften des Revisionswerbers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung wegen „Apostasie“ ausgesetzt wäre, geht aus dem festgestellten Sachverhalt nicht hervor. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht das Fehlen einer Verfolgungsgefahr in seiner Beweiswürdigung damit begründet, dass „aus dem Umstand, dass der [Revisionswerber] den Islam nicht aktiv praktiziert, ... auf Basis der Quellenlage nicht per se eine maßgebliche Verfolgungsgefahr abgeleitet“ werden könne.

13 Mit der Gegenüberstellung einzelner Passagen aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Lage in Afghanistan und dem im Verfahren erstatteten Vorbringen des Revisionswerbers, wonach er als „Mitglied der Hazara, als Apostat sowie als westlicher junger Mann“ in Afghanistan „erheblich gefährdet“ sei, wendet sich die Revision der Sache nach gegen die Beweiswürdigung. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407, mwN).

14 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht habe einen näher genannten EASO‑Bericht zu „sozioökonomischen Schlüsselindikatoren“ unberücksichtigt gelassen und fasse einzelne Inhalte dieses Berichts (zur Ernährungsversorgung von Rückkehrern und zur Bedeutung der Großfamilie für die Sicherung von Beschäftigung und Wohnraum) zusammen. Damit macht die Revision einen Verfahrensmangel geltend, dessen Relevanz, weshalb also bei Vermeidung dieses Mangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 28.9.2020, Ra 2020/20/0348, mwN). Das Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht hätte festzustellen gehabt, „dass seitens der staatlichen Behörden in Afghanistan kein wirkungsvoller Schutz gegen die vom BVwG selbst festgestellten Repressalien gewährt werde“, lässt nicht erkennen, inwieweit die Berücksichtigung des erwähnten Berichts über „sozioökonomische Schlüsselindikatoren“ zu anderen ‑ für die Asylzuerkennung relevanten ‑ Feststellungen führen hätte können.

15 Wenn die Revision ferner vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe den Revisionswerber zu Unrecht auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative verwiesen, übersieht sie, dass das angefochtene Erkenntnis die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten nicht auf das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gestützt hat.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 18. März 2021

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