Normen
LVergRG Wr 2014 §2
LVergRG Wr 2014 §20
LVergRG Wr 2014 §33
LVergRG Wr 2014 §39 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018040094.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Revisionswerberin hat den beiden mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 1. Die W GmbH (Revisionswerberin) begehrte mit Antrag vom 22. September 2015, eine näher bezeichnete Entscheidung der V GmbH (erstmitbeteiligte Partei, Auftraggeberin) vom 15. September 2015 ‑ und zwar die darin erfolgte Wahl sowohl des Vergabeverfahrens (Direktvergabe) als auch des Zuschlagsempfängers (Ö AG; zweitmitbeteiligte Partei) ‑ für nichtig zu erklären. In eventu beantragte die Revisionswerberin die Feststellung, dass das Vergabeverfahren rechtswidriger Weise ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt worden bzw. die Durchführung einer Vergabe ohne Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Nichtdiskriminierung rechtswidrig gewesen sei, verbunden mit dem Antrag auf Nichtigerklärung des Vertrages zwischen den beiden mitbeteiligten Parteien über die Vergabe der gegenständlichen Schienenpersonenverkehrsdienstleistungen.
2 Mit Schriftsätzen vom 6. November 2015 und vom 19. November 2015 stellte die Revisionswerberin jeweils gleichartige Nichtigerklärungs‑ und Feststellungsanträge betreffend näher bezeichnete Entscheidungen der erstmitbeteiligten Partei vom 22. Juli 2015 bzw. vom 12. November 2015.
3 Begründend führte die Revisionswerberin in allen drei Verfahren aus, dass es sich bei der offenbar geplanten oder bereits durchgeführten Neuvergabe von Schienenpersonenverkehrsdienstleistungen um eine unzulässige nachträgliche Änderung des Verkehrsdienstevertrages (VDV) zwischen der erstmitbeteiligten Partei und der zweitmitbeteiligten Partei bzw. um eine unzulässige Direktvergabe an die zweitmitbeteiligte Partei handle.
4 2. Mit Beschluss vom 24. November 2015 wies das Verwaltungsgericht (VwG) Wien sowohl die Nachprüfungsanträge als auch den Feststellungsantrag der Revisionswerberin vom 22. September 2015 als unzulässig zurück, weil eine bloße Anpassung der Vertragsabwicklung vorliege, die auf die bestehenden Vertragsbestimmungen (des VDV) gestützt werden könne, und weil sich auf Grund der Kostenneutralität das wirtschaftliche Gleichgewicht nicht zugunsten der zweitmitbeteiligten Partei ändere. Es handle sich bei den gegenständlich geplanten Umschichtungen um zulässige derivative Leistungsanpassungen (und somit nicht um einen den vergaberechtlichen Bestimmungen unterliegenden Beschaffungsvorgang).
5 Mit Datum vom 8. April 2016 bzw. vom 18. April 2016 ergingen im Wesentlichen gleichartige Zurückweisungsbeschlüsse des VwG Wien betreffend die Anträge der Revisionswerberin vom 6. November 2015 und vom 19. November 2015.
6 3. Mit Erkenntnis vom 15. März 2017, Ra 2016/04/0064, 0065, hob der Verwaltungsgerichtshof die Beschlüsse des VwG Wien vom 8. April 2016 und vom 18. April 2016 auf Grund der dagegen erhobenen Revisionen der W GmbH wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf. Das Argument der Kostenneutralität sei im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 7. September 2016 in der Rs C‑549/14, Finn Frogne, für sich genommen nicht tragfähig. Hinsichtlich der erforderlichen Bestimmtheit und Transparenz der Änderungsklausel fehle es an entsprechenden Feststellungen, weshalb nicht ohne weiteres von einer zulässigen derivativen Leistungsanpassung ausgegangen werden könne.
7 Mit Erkenntnis vom 5. April 2017, Ra 2016/04/0059, hob der Verwaltungsgerichtshof den Beschluss des VwG Wien vom 24. November 2015 auf Grund der dagegen erhobenen Revision der W GmbH unter Verweis auf seine Ausführungen im hg. Erkenntnis Ra 2016/04/0064, 0065 ebenso wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gleichfalls auf.
8 4. Im fortgesetzten Verfahren stellte das VwG Wien mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 19. Dezember 2017 die Verfahren betreffend die Anträge der W GmbH vom 22. September 2015, vom 6. November 2015 und vom 19. November 2015 ein. Die ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt.
9 Das VwG Wien stellte zunächst fest, dass die (oben unter Pkt. 3. dargestellten) aufhebenden Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes der Revisionswerberin am 5. April 2017 bzw. am 9. Mai 2017 zugestellt worden seien. Weiters verwies das VwG Wien auf eine Stellungnahme der erstmitbeteiligten Partei vom 16. Oktober 2017, in der diese bekannt gegeben habe, dass die den vergaberechtlichen Kontrollverfahren zugrundeliegenden Anpassungen des VDV am 26. November 2015 erfolgt seien.
10 Gemäß § 39 Abs. 2 des Wiener Vergaberechtsschutzgesetzes 2014 (WVRG 2014) sei das VwG Wien ‑ im Fall der Aufhebung einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes durch den Verwaltungsgerichtshof und einer davor erfolgten Zuschlagserteilung ‑ zuständig, auf Antrag des Unternehmers, der den Antrag nach § 20 WVRG 2014 (Antrag auf Nichtigerklärung) gestellt habe, festzustellen, ob die angefochtene Entscheidung des Auftraggebers rechtswidrig gewesen sei. Ein derartiger Antrag auf Feststellung sei spätestens sechs Monate ab Zustellung des (aufhebenden) Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes zulässig.
11 Die Revisionswerberin habe trotz ordnungsgemäßer Zustellung der (unter Pkt. 3. zitierten) Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 39 Abs. 2 vorletzter Satz WVRG 2014 keinen Antrag auf Fortsetzung der Verfahren als Feststellungsverfahren gestellt. Da die Durchführung eines sekundären Feststellungsverfahrens nur auf Antrag erfolgen könne, seien die Verfahren mangels Antrag einzustellen gewesen.
12 5. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
13 Die erstmitbeteiligte Partei und die zweitmitbeteiligte Partei erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragen.
14 6. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
17 7.1. In ihrem Zulässigkeitsvorbringen führt die Revisionswerberin zunächst aus, dass sich die in § 39 Abs. 2 WVRG 2014 vorgesehene Regelung des sekundären Feststellungsverfahrens nur auf Anträge gemäß § 20 WVRG 2014, somit auf Anträge auf Nichtigerklärung von Auftraggeberentscheidungen, beziehe. Die Revisionswerberin habe aber in ihren zugrundeliegenden Anträgen vom 22. September 2015, vom 6. November 2015 und vom 19. November 2015 auch Feststellungsanträge gestellt. Durch die aufhebenden Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes (Ra 2016/04/0064, 0065 sowie Ra 2016/04/0059) seien auch diese Feststellungsanträge wieder unerledigt. Es sei unzulässig, die Verfahren betreffend diese Feststellungsanträge nach § 39 WVRG 2014 einzustellen. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu bestehe nicht.
18 7.2. Die erstmitbeteiligte Partei macht geltend, dass die in eventu gestellten Feststellungsanträge der Revisionswerberin an der Anwendbarkeit des § 39 Abs. 2 WVRG 2014 nichts änderten. Eine Entscheidung über einen Eventualantrag sei nämlich erst dann möglich, wenn über den Hauptantrag entschieden worden sei. Im vorliegenden Fall sei über den Hauptantrag aber überhaupt nicht entschieden worden, weil dies einen Fortsetzungsantrag vorausgesetzt hätte, der von der Revisionswerberin nicht gestellt worden sei. Das Verfahren sei daher zu Recht eingestellt worden.
19 Auch die zweitmitbeteiligte Partei vertritt die Ansicht, die Revisionswerberin hätte einen Fortsetzungsantrag gemäß § 39 Abs. 2 WVRG 2014 stellen müssen. In Ermangelung eines solchen habe das VwG Wien zu Recht einen Einstellungsbeschluss erlassen. Die in eventu gestellten Feststellungsanträge würden daran nichts ändern, weil zum Zeitpunkt der ursprünglichen Anträge noch keine Anpassung der Leistung erfolgt sei, sodass die Feststellungsanträge bereits aus diesem Grund zurückzuweisen gewesen wären.
20 7.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass ein Feststellungsantrag erst nach Zuschlagserteilung gestellt werden kann (vgl. VwGH 29.11.2017, Ra 2017/04/0075, Rn. 15). Des Weiteren ist auf den hg. Beschluss vom 1. Februar 2017, Ra 2016/04/0149, hinzuweisen, dem folgende Konstellation zugrunde lag: Zum Zeitpunkt der Einbringung der dort gegenständlichen Feststellungsanträge lag noch kein (schriftlicher) Vertragsschluss vor; der schriftliche Vertrag wurde erst Monate später unterzeichnet. Das Verwaltungsgericht hat die betreffenden Feststellungsanträge zurückgewiesen und der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Beschluss festgehalten, dass das Verwaltungsgericht zur Beurteilung der Zulässigkeit der Feststellungsanträge zutreffend auf den Vertragsschluss (somit die Zuschlagserteilung) im gegenständlichen Vergabeverfahren abgestellt habe und dieser erst nach der Einbringung der gegenständlichen Feststellungsanträge erfolgt sei. Ausgehend davon wurde die gegen die Zurückweisung der Feststellungsanträge gerichtete Revision mit dem zitierten Beschluss daher zurückgewiesen.
21 Eine nach der Antragseinbringung erfolgte Zuschlagserteilung ändert somit nichts an der Unzulässigkeit eines vor der Zuschlagserteilung eingebrachten Feststellungsantrages. Der Umstand, dass vorliegend primär ein Nichtigerklärungsantrag und in eventu ein Feststellungsantrag gestellt wurde, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Zulässigkeit eines vor der Zuschlagserteilung in eventu gestellten Feststellungsantrags ist auch aus Rechtsschutzerwägungen nicht erforderlich, weil nach Zuschlagserteilung während eines anhängigen Nachprüfungsverfahrens ohnehin (jedenfalls) ein sekundärer Feststellungsantrag gestellt werden kann.
22 Dem VwG Wien wäre zwar vorzuhalten, dass die Verfahren insgesamt eingestellt worden sind, während dem zitierten hg. Beschluss Ra 2016/04/0149 eine (vom Verwaltungsgerichtshof akzeptierte) Zurückweisung der dort gegenständlichen Feststellungsanträge zugrunde lag. Die Revisionswerberin vermag aber nicht aufzuzeigen (und für den Verwaltungsgerichtshof ist dies auch nicht zu erkennen), dass sie durch diesen Umstand für sich genommen in ihren Rechten verletzt sein könnte.
23 Ausgehend davon wird mit dem diesbezüglichen Vorbringen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen.
24 8. Des Weiteren bringt die Revisionswerberin unter Verweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 26. November 2015 in der Rs C‑166/14, MedEval, sowie das hg. Erkenntnis vom 16. März 2016, 2015/04/0004, vor, dass die sechsmonatige absolute Ausschlussfrist als Schranke für die Einbringung eines Feststellungsantrages verdrängt sei.
25 Dazu ist zunächst anzumerken, dass die hier gegenständliche Frist des § 39 Abs. 2 WVRG 2014 nicht ‑ wie die den bezogenen Entscheidungen zugrundeliegende Frist ‑ auf die Zuschlagserteilung, sondern auf die Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes abstellt. Vor allem aber kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2018/04/0141 bis 0143, verwiesen werden, denen zufolge in der vorliegenden Konstellation ohnehin ein primärer Feststellungsantrag zulässig war (siehe zur verneinten Verfristung Pkt. II.4.2.2. und zur verneinten Subsidiarität Pkt. II.4.3.2. des zitierten Erkenntnisses).
26 Dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen, wonach der angefochtene Beschluss an den wesentlichen Rechtsfragen der gegenständlichen Verfahren (verwiesen wird auf die Prüfung der gegenständlichen Vertragsänderungen im Lichte der Judikatur des EuGH sowie auf die Bedeutung der Auslegungsrichtlinien der Europäischen Kommission) völlig vorbeigehe, ist entgegenzuhalten, dass es auf die damit aufgeworfenen Fragen im Zuge der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Einstellung der gegenständlichen Verfahren mangels Stellung eines Fortsetzungsantrages nicht ankommt. Ausgehend davon kann auch der in Zusammenhang mit der unterbliebenen Beweisaufnahme betreffend das Vorliegen wesentlicher Vertragsänderungen erhobenen Verfahrensrüge keine Relevanz zukommen.
27 Soweit die Revisionswerberin moniert, das VwG Wien habe keine expliziten Feststellungen zur rechtwirksamen Zuschlagserteilung betreffend die hier gegenständlichen Leistungen getroffen und es habe der Revisionswerberin kein Parteiengehör bezüglich der diesbezüglich wiedergegebenen Stellungnahme der erstmitbeteiligten Partei eingeräumt, fehlt es diesem Vorbringen schon an einer entsprechenden Relevanzdarstellung (vgl. dazu etwa VwGH 4.5.2020, Ra 2019/04/0145).
28 Auch der Anregung, insgesamt elf Fragen zur Vorabentscheidung an den EuGH zu richten, war nicht nachzukommen, weil keine der formulierten Fragen vor dem Hintergrund des Gegenstandes des vorliegenden Revisionsverfahrens entscheidungserheblich war (zu der unter Pkt. VI.1. formulierten Frage betreffend die Antragsfrist wird auf dem Boden des § 43 Abs. 2 VwGG zudem auf die Ausführungen im bereits zitierten hg. Erkenntnis Ra 2018/04/0141 bis 0143 verwiesen).
29 9. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
30 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
31 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
32 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014, wobei insbesondere § 49 Abs. 6 VwGG Rechnung zu tragen war.
Wien, am 5. März 2021
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