Normen
AVG §8
B-VG Art133 Abs4
GewO 1994 §75 Abs2
MinroG 1999 §116 Abs3
MinroG 1999 §116 Abs3 Z3
VwGG §28 Abs3
12010E267 AEUV Art267 Abs3
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
32005D0370 AarhusKonvention Art9 Abs3
62013CJ0570 Gruber VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018040078.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1. Mit Bescheid vom 17. Februar 2017 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Imst (belangte Behörde) der mitbeteiligten Partei (unter einem) die Genehmigung nach dem Mineralrohstoffgesetz (MinroG), dem Wasserrechtsgesetz 1959, dem Forstgesetz 1975 und dem Tiroler Naturschutzgesetz 2005 für einen Gewinnungsbetriebsplan zur Erweiterung eines näher bezeichneten Hartgesteinsabbaus samt Errichtung von Bergbauanlagen in der Gemeinde L.
2 2.1. Die dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Dezember 2018 als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.
3 2.2. Begründend führte das Verwaltungsgericht ‑ soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren von Relevanz ‑ aus, dass nach dem MinroG das Mitspracherecht der revisionswerbenden Parteien als Nachbarn von einer potentiellen Beeinträchtigung ihrer subjektiven öffentlichen Interessen abhänge. Durch den bloßen Vorhalt, dass mit einer Staubbelastung der gesamten Bevölkerung zu rechnen sei, werde daher grundsätzlich keine zulässige Einwendung formuliert. Dies gelte im vorliegenden Fall insbesondere auch deshalb, weil die revisionswerbenden Parteien bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren anwaltlich vertreten gewesen seien. Selbst wenn darin eine zulässige Eiwendung erkannt werden würde, so wäre diese nicht begründet, zumal nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des emissions‑ und immissionstechnischen Amtssachverständigen, dem auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten worden sei, nicht mit unzumutbaren Belästigungen bzw. mit einer Gesundheitsgefährdung zu rechnen sei. Betreffend die darüber hinaus vorgebrachten Bedenken in Bezug auf die mangelnde Zustimmung der Gemeinden, das Bestehen von Alternativen, die mangelnden öffentlichen Interessen bzw. die falsche Gewichtung derselben, die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und des Tourismus, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verursachten Emissionen, den Umrechnungsfaktor betreffend das Gestein, Fragen in Zusammenhang mit der Luftreinhaltung in Tirol insgesamt sowie mit dem Klimaschutz komme den revisionswerbenden Parteien von vornherein ein Mitspracherecht im Sinn eines subjektiv öffentlichen Rechts nicht zu. Soweit eine Verletzung in Bezug auf die Einhaltung des Standes der Technik behauptet werde, bestehe auch diesbezüglich kein losgelöstes subjektiv öffentliches Recht der revisionswerbenden Parteien.
4 3. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 4. In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, der gegenständliche Fall offenbare einen grundlegenden Missstand, der nicht nur Verfahren nach dem MinroG betreffe. Den Nachbarn würden nämlich nur eingeschränkt Möglichkeiten eingeräumt, Einwendungen gegen den Gewinnungsbetriebsplan zu erheben. Das gegenständlich genehmigte Projekt entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung müssten die von den Nachbarn vorgebrachten Einwendungen, die die Gesetzwidrigkeit des genehmigten Projekts aufzeigten, auch von Amts wegen aufgegriffen werden; dies unabhängig davon, ob die Nachbarn legitimiert seien, die Einwendungen zu erstatten. Schließlich solle am Ende des Verwaltungsverfahrens auch ein materiell richtiger Bescheid stehen. Im vorliegenden Fall hätte schon eine großzügigere Interpretation der Einwendungen genügt. So sei das Vorbringen, wonach das genehmigte Projekt entgegen § 116 Abs. 1 Z 5 MinroG nicht dem besten Stand der Technik entspreche, nicht als eine Einwendung angesehen worden, die auch von Nachbarn erstattet werden könnte. Gerade das Kriterium des besten Standes der Technik (zur Vermeidung von Emissionen) solle aber sicherstellen, dass die Gesundheit und das Eigentum nicht nur der Nachbarn, sondern der gesamten Bevölkerung, die letztlich vom genehmigten Projekt betroffen sei, nicht unnötig gefährdet würden.
8 Eine großzügigere Berücksichtigung der Einwendungen der Nachbarn auch in Verfahren nach dem MinroG scheine auch in Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zu ähnlichen Großprojekten (Verweis auf dessen Urteil vom 20. Dezember 2017 in der Rs C‑664/15, Protect) geboten, vor allem auch, was die Geltendmachung des fehlenden öffentlichen Interesses anlange. Insbesondere vor dem Hintergrund des Übereinkommens von Aarhus, wonach Bürger unter anderem ein Recht auf Beteiligung an Entscheidungsverfahren und Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten haben müssten, und in Anbetracht der Tatsache, dass sie in dieser Hinsicht gegebenenfalls Unterstützung benötigten, um ihre Rechte wahrnehmen zu können, scheine die begrenzte Möglichkeit der Nachbarn im Sinn des § 116 Abs. 6 Z 3 MinroG, Einwendungen gegen die Genehmigung des Gewinnungsbetriebsplanes zu erheben, unzulässig. Konkret gehe es darum, ob Nachbarn zulässigerweise den Einwand erheben können, ein Gewinnungsbetriebsplan entspreche nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 1 Z 5 MinroG, weil nach bestem Stand der Technik vermeidbare Emissionen nicht unterblieben. Dabei handle es sich um eine Frage der Auslegung der Aarhus‑Konvention und damit von Unionsrecht, weshalb der Verwaltungsgerichtshof verpflichtet sei, mit dieser Frage den EuGH zu befassen, was gleichzeitig beantragt werde.
9 5. Gemäß § 116 Abs. 3 Z 3 MinroG kommt Nachbarn Parteistellung im Genehmigungsverfahren für Gewinnungsbetriebspläne zu. Als Nachbarn gelten nach dieser Bestimmung alle Personen, die durch die Genehmigung des Gewinnungsbetriebsplanes gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten (§ 116 Abs. 3 Z 3 erster Satz MinroG).
Die hier normierte Parteistellung der Nachbarn orientiert sich ‑ ausweislich der Gesetzesmaterialien ‑ an § 75 Abs. 2 GewO 1994 (vgl. RV 1428 BlgNR 20. GP 104 und Mihatsch, MinroG3 [2007] Anm 13 zu § 116; zum Umfang der Parteistellung der Nachbarn in der GewO 1994 siehe die Nachweise bei Stolzlechner/Seider/Vogelsang, GewO2 [2018] § 74 Rz. 10).
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt aus § 116 Abs. 3 MinroG ein subjektiv‑öffentliches Recht des Nachbarn im Verfahren zur Genehmigung eines Gewinnungsbetriebsplanes (bzw. einer wesentlichen Änderung dieses Betriebsplanes), dass die beantragte Genehmigung nicht erteilt wird, wenn ‑ trotz Vorschreibung von Bedingungen oder Auflagen ‑ eine Gefährdung seines Lebens oder seiner Gesundheit, seines ‑ dem Genehmigungswerber nicht zur Benützung überlassenen ‑ Eigentums oder seiner sonstigen dinglichen Rechte sowie wenn eine unzumutbare Belästigung seiner Person zu erwarten ist. Hingegen besteht kein subjektives Recht des Nachbarn, dass die beantragte Genehmigung nicht erteilt wird, wenn andere ‑ im öffentlichen Interesse normierte ‑ Genehmigungsvoraussetzungen (nach seiner Auffassung) nicht erfüllt sind. Sein Mitspracherecht im Genehmigungsverfahren ist vielmehr auf die Geltendmachung der ihm nach dem MinroG gewährleisteten Nachbarrechte beschränkt (vgl. VwGH 17.9.2010, 2009/04/0080, mwN).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang bereits klargestellt hat, wird mit dem Vorbringen, es sei nicht vorgesorgt worden, dass nach bestem Stand der Technik vermeidbare Emissionen unterbleiben, keine Verletzung subjektiv‑öffentlicher Nachbarrechte aufgezeigt (vgl. VwGH 30.6.2004, 2002/04/0027; zur entsprechenden Regelung in der GewO 1994 siehe VwGH 27.6.2004, 2002/04/0195, und Stolzlechner/Wendl/Bergthaler [Hrsg.], Die gewerbliche Betriebsanlage4 [2016] Rz. 259).
11 Dass abweichend von dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall ‑ mit Blick auf die Aarhus‑Konvention ‑ den Nachbarn weitergehende Parteienrechte einzuräumen gewesen wären, vermag die Revision aus folgenden Erwägungen nicht darzutun:
12 Grundsätzlich besteht für den Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit (und gegebenenfalls die Verpflichtung) eine Revision zuzulassen, um dem Gerichtshof der Europäischen Union eine entscheidungsrelevante unionsrechtliche Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, indem er (vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte) Zweifel über die Auslegung von Unionsrecht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung qualifiziert (vgl. VwGH 3.2.2020, Ra 2019/02/0254, mwN).
13 Art. 6 Aarhus‑Konvention sieht eine Verfahrensbeteiligung der „betroffenen Öffentlichkeit“ vor (vgl. dazu weiterführend K. Holzinger, Die Anforderungen der Aarhus‑Konvention und des Unionsrechts an die Öffentlichkeitsbeteiligung und Möglichkeiten zu ihrer Umsetzung, in: Land Oberösterreich [Hrsg.], Linzer Legistik‑Gespräche 2018 [2019] 105 [111]).
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Verweis auf das Urteil des EuGH vom 16. April 2015 in der Rechtssache C‑570/13, Karoline Gruber, ausgesprochen, dass Nachbarn auf Grund der ihnen von der GewO 1994 im Verfahren zur Genehmigung einer Betriebsanlage eingeräumten subjektiven Rechte „als Teil der betroffenen Öffentlichkeit“ die Anforderung eines ausreichendes Interesses nach den Kriterien des nationalen Rechts erfüllen, um gegen eine Entscheidung, dass kein UVP‑Verfahren durchzuführen ist, einen Rechtsbehelf einlegen zu können (vgl. VwGH 22.6.2015, 2015/04/0002).
15 Damit mögen Nachbarn im Rahmen der ihnen eingeräumten subjektiven Rechte (hier: gemäß § 116 Abs. 3 MinroG) zwar „als Teil der betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinn der Aarhus‑Konvention anzusehen sein (so etwa Schnedl, Umweltrecht [2020] Rz. 100, und Weichsel ‑ Goby/Kuncio, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltverfahren, in: Schulev‑Steindl/Schnedl/Weichsel‑Goby [Hrsg.], Partizipation im Umweltrecht [2019] 150 [158]). Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch mit Blick auf die aus der Aarhus‑Konvention abgeleitete Parteistellung von Umweltorganisationen schon ausgesprochen hat, sind diese darauf beschränkt, im Verfahren die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen. Art. 9 Abs. 3 Aarhus‑Konvention verpflichtet die Mitgliedstaaten in Verbindung mit Art. 47 GRC dazu, für Mitglieder der Öffentlichkeit im Sinn dieser Bestimmung der Aarhus‑Konvention einen wirksamen gerichtlichen Schutz der durch das Recht der Union garantierten Rechte, insbesondere der Vorschriften des Umweltrechts, zu gewährleisten (vgl. etwa VwGH 25.4.2019, Ra 2018/07/0410, mwN).
16 Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch bereits klargestellt hat, kommt es in diesem Zusammenhang entscheidend darauf an, ob im jeweiligen Fall „(auch) der Schutz von Normen des Unionsumweltrechts auf dem Spiel [steht]“ (vgl. zuletzt VwGH 18.12.2020, Ra 2019/10/0081).
Auch wenn dafür bereits eine inzidente Anwendung des Unionsumweltrechts als ausreichend angesehen wird (vgl. zum Erkenntnis VwGH Ra 2019/10/0081, in dem es um die inzidente Anwendung des Artenschutzrechts der FFH‑Richtlinie und der Vogelschutz‑Richtlinie im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens nach dem Steiermärkischen Naturschutzgesetz ging, etwa Eberhard/Ranacher/Weinhandl, Rsp‑Bericht, ZfV 2021/38‑17 f), vermag die Revision ‑ ausgehend von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ‑ nicht aufzuzeigen und ist auch nicht ersichtlich, inwieweit im gegenständlichen Verfahren zur Genehmigung eines Gewinnungsbetriebsplans der Schutz von Normen des Unionsumweltrechts auf dem Spiel stünde. Damit ist aber dem Vorbringen, dass im vorliegenden Fall im Lichte der Aarhus‑Konvention eine „großzügigere Berücksichtigung der Einwendungen der Nachbarn“ geboten gewesen wäre, der Boden entzogen.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. Juni 2021
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