Normen
EURallg
FrPolG 2005 §66 Abs1
FrPolG 2005 §67 Abs1
NAG 2005 §53a Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
32004L0038 Unionsbürger-RL Art28 Abs2
32004L0038 Unionsbürger-RL Art28 Abs3 lita
62012CJ0400 M. G. VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020210013.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) verhängte mit dem im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheid vom 30. Oktober 2019 gegen den Revisionswerber, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland, gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein mit sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Des Weiteren sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 FPG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.
2 Über die dagegen eingebrachte Beschwerde führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 16. Jänner 2020 eine mündliche Verhandlung durch, an deren Ende es den „Beschluss“ (richtig: Teilerkenntnis; vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0224, Rn. 9, mwN) verkündete, mit dem der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde.
3 In der Folge erließ das BVwG das nunmehr angefochtene Erkenntnis vom 26. Juni 2020, mit dem der Beschwerde teilweise dahin Folge gegeben wurde, dass die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf drei Jahre herabgesetzt und gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt werde. Im Übrigen wurde die Beschwerde „mit der Maßgabe abgewiesen, dass hinsichtlich der Erlassung des Aufenthaltsverbotes § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG iVm Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG anzuwenden ist“. Schließlich sprach das BVwG noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche ordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet ‑ und Vorlage der Akten durch das BVwG (§ 30a Abs. 4 bis 6 VwGG) erwogen hat:
5 Ein Aufenthaltsverbot kann nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG gegen einen Unionsbürger, der sich unter potentieller Inanspruchnahme seines unionsrechtliches Freizügigkeitsrechtes in Österreich aufhält oder aufgehalten hat (vgl. dazu VwGH 19.9.2019, Ro 2019/21/0011, Rn. 9), erlassen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Des Weiteren ist es ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass hinsichtlich Unionsbürgern, die ‑ gemäß § 53a Abs. 1 NAG nach einem fünfjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ‑ das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG ) entspricht, heranzuziehen ist (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205, Rn. 13, mit dem Hinweis auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181, Punkt 3. der Entscheidungsgründe; an dieses Erkenntnis anknüpfend etwa VwGH 22.1.2014, 2013/21/0135, und VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066, Rn. 17, mwN). Danach setzt eine Aufenthaltsbeendigung voraus, dass der (weitere) Aufenthalt des Unionsbürgers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FPG, jedoch unter jenem nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG. Hält sich der Unionsbürger nämlich bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes schon zehn Jahre rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich auf, so verlangt die zuletzt genannte Bestimmung für die Zulässigkeit dieser Maßnahme, dass aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden könne, die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich werde durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet. Dieser Maßstab entspricht jenem des Art. 28 Abs. 3 lit a der Freizügigkeitsrichtlinie.
6 Vor diesem rechtlichen Hintergrund ging das BVwG im angefochtenen Erkenntnis sachverhaltsmäßig davon aus, dass sich der Revisionswerber jedenfalls seit 1. August 2005, dem Beginn seiner ersten Beschäftigung in Österreich, im Bundesgebiet aufhalte. Dazu traf das BVwG nähere Feststellungen aus dem Zentralen Melderegister über seine Wohnsitzmeldungen sowie aus einem Sozialversicherungsdatenauszug über die Zeiträume seiner Arbeitsverhältnisse und den Bezug von Krankengeld, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Überbrückungshilfe. Dem Revisionswerber seien am 17. Oktober 2008 und am 6. Februar 2014 jeweils Anmeldebescheinigungen als Arbeitnehmer ausgestellt worden. Der im Wesentlichen durchgehende Aufenthalt in Österreich sei (nur) von September 2011 bis August 2012 unterbrochen gewesen, als der Revisionswerber in Deutschland eine Freiheitsstrafe verbüßt habe.
7 Daran anknüpfend bemängelte das BVwG in der rechtlichen Beurteilung, dem Bescheid des BFA vom 30. Oktober 2019 lasse sich keine Auseinandersetzung mit dem konkret anwendbaren Gefährdungsmaßstab entnehmen; vielmehr sei das Aufenthaltsverbot ohne Weiteres auf § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG gestützt worden. Daran anschließend vertrat das BVwG nach Darstellung der maßgeblichen Judikatur die Meinung, die Voraussetzungen nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG lägen im gegenständlichen Fall nicht vor, weil der Revisionswerber keinen ununterbrochenen Aufenthalt seit zehn Jahren aufweise. Er halte sich im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes zwar „insgesamt knapp 14,5 Jahre“ im Bundesgebiet auf; dies aber unterbrochen durch die Verbüßung einer „zehnmonatigen“ Strafhaft in Deutschland von September 2011 bis August 2012. Davor habe sich der Revisionswerber aber noch keine zehn Jahre in Österreich aufgehalten und auch danach nur etwas über sieben Jahre. Der verstärkte Schutz nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG komme ihm daher nicht zu. In der weiteren Begründung ging das BVwG dann davon aus, dass sich der Revisionswerber mit Ablauf des 1. August 2010 als Unionsbürger bereits fünf Jahre rechtmäßig in Österreich aufgehalten und damit ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 53a NAG erworben habe, das ihm nach wie vor zukomme, weil ‑ so das BVwG offenbar mit Blick auf Art. 16 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie ‑ die „Abwesenheitszeiten“ nicht die durchgehende Dauer von über zwei Jahren erreicht hätten. Das gegenständliche Aufenthaltsverbot sei daher am „mittleren“ Maßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG zu prüfen.
8 Das BVwG erachtete das Vorliegen dieser Voraussetzungen in Bezug auf den Revisionswerber im Hinblick auf ihm zur Last liegende gerichtlich strafbare Handlungen ‑ vier Verurteilungen durch österreichische Strafgerichte aus 2010 (wegen versuchter Körperverletzung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe), aus 2014 (wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und versuchter Nötigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten und einer Geldstrafe), aus 2018 (wegen gefährlicher Drohung zu einer Geldstrafe) und aus 2019 (wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung zu einer unbedingten, zur Gänze im elektronisch überwachten Hausarrest verbüßten Freiheitsstrafe von zehn Monaten) ‑ sowie im Hinblick auf diverse, zum Teil getilgte Bestrafungen wegen Übertretungen insbesondere von Vorschriften betreffend den Straßenverkehr (unter anderem auch wegen wiederholten Lenkens eines Fahrzeuges ohne Lenkberechtigung nach deren Entzug sowie wegen wiederholten Lenkens eines Fahrzeuges unter Alkoholeinfluss und wegen Weigerung der Messung des Alkoholgehalts der Atemluft) und wegen Anstandsverletzungen für gegeben. Diesbezüglich erklärte das BVwG aber die (ordentliche) Revision für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Erfüllung des Maßstabes des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorliege, wenn der betroffene Fremde ‑ wie hier ‑ zwar mehrfach strafgerichtlich verurteilt worden sei, jedoch das „im Fall Tsakouridis“ (gemeint: EuGH [Große Kammer] 23.11.2010, Tsakouridis, C‑145/09) „zugrundeliegende Strafmaß“ (gemeint: Gesamtfreiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren und sechs Monaten) nie erreicht worden sei, daneben aber massive, über einen Zeitraum von zwanzig Jahren begangene Verwaltungsübertretungen in großer Zahl vorlägen.
9 Die Erstellung einer für jedes Aufenthaltsverbot ‑ am jeweils anwendbaren Maßstab ‑ zu treffenden Gefährdungsprognose stellt eine unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens des Fremden vorzunehmende einzelfallbezogene Beurteilung dar, die ‑ abgesehen von Verfahrensmängeln ‑ nur dann revisibel ist, wenn sie sich als unvertretbar erweist. Von daher ist die auf die einzelfallbezogenen Besonderheiten des vorliegenden Falles abstellende, vom BVwG formulierte Rechtsfrage, auf die sich auch der Revisionswerber bezieht, in dieser Form nicht geeignet, die Zulässigkeit der Revision darzutun (vgl. VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0230, Rn. 4 bis 6). Allerdings liegt der vom BVwG aufgeworfenen Frage die vorgelagerte Beurteilung zugrunde, auf den Revisionswerber sei nicht der strengere Gefährdungsmaßstab nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG anzuwenden. Diesbezüglich bedarf es einer klarstellenden Korrektur durch den Verwaltungsgerichtshof, weshalb sich die Revision im Ergebnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG als zulässig und auch als berechtigt erweist.
10 Der Genuss des verstärkten Schutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie, der mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im innerstaatlichen Recht umgesetzt wurde, ist davon abhängig, dass sich der Betroffene in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten hat (EuGH [Große Kammer] 23.11.2010, Tsakouridis, C‑145/09, Rn. 29 und 31). Zur Frage, inwieweit Abwesenheiten vom Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung des Betroffenen diesen daran hindern, in den Genuss dieses verstärkten Schutzes zu kommen, sei ‑ so der EuGH in diesem Urteil unter Rn. 32 und 33 sowie Rn. 38 ‑ eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stelle. Die mit der Anwendung von Art. 28 Abs. 3 der genannten Richtlinie betrauten nationalen Behörden hätten dabei alle in jedem Einzelfall relevanten Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Dauer jeder einzelnen Abwesenheit des Betroffenen vom Aufnahmemitgliedstaat, die Gesamtdauer und die Häufigkeit der Abwesenheiten sowie die Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, diesen Mitgliedstaat zu verlassen. Zu prüfen sei nämlich, ob die fraglichen Abwesenheiten bedeuten, dass sich der Mittelpunkt der persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen des Betroffenen in einen anderen Mitgliedstaat verlagert habe.
11 Anknüpfend an diese Ausführungen wurde im Urteil EuGH 16.1.2014, M. G., C‑400/12, Rn. 28, (zusammenfassend) wiederholt, dass der Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren im Sinne des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein müsse und vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen sei. Des Weiteren wurde in Rn. 33 dieses Urteils klargestellt, dass Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke der Gewährung des verstärkten Schutzes nach der genannten Richtlinienbestimmung keine Berücksichtigung finden und diese Zeiten die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung grundsätzlich unterbrechen können. Diesbezüglich sei ‑ so lassen sich die Ausführungen unter Rn. 36 dieses Urteils zusammenfassen ‑ eine die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Umstände berücksichtigende umfassende Beurteilung vorzunehmen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe abgerissen seien. Dabei kommt es unter anderem darauf an, wie lange sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat sowie auf die Gesamtdauer der Unterbrechungen und deren Häufigkeit (vgl. VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0097, Rn. 16, mit dem Hinweis auf VwGH 19.2.2014, 2013/22/0309, und VwGH 24.3.2015, Ro 2014/21/0079).
12 Eine derartige Beurteilung nahm das BVwG nicht vor, sondern es ging ‑ offenbar allein deshalb, weil der Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich vor dem Antritt der Freiheitsstrafe in einer deutschen Justizanstalt noch nicht zehn Jahre gedauert hatte ‑ ohne Weiteres von einer maßgeblichen Unterbrechung aus. Das greift angesichts der familiären Bindungen des Revisionswerbers zu kurz. Nach den Feststellungen des BVwG schloss der Anfang August 2005 nach Österreich gekommene Revisionswerber am 23. August 2008 die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Der Beziehung entstammen drei Töchter, geboren am 8. März 2006, am 13. März 2008 und am 15. Mai 2012, die ebenfalls österreichische Staatsbürgerinnen sind. Bis unmittelbar vor dem Strafantritt im September 2011 war der Revisionswerber in Österreich beschäftigt und er kehrte nach dem zwangsweisen Aufenthalt in Deutschland, der selbstredend zu keiner dortigen Integration führte, im August 2012 wieder nach Österreich zurück. Diese Umstände sprechen evident gegen ein Abreißen der davor begründeten und danach ‑ schon wegen der Beziehung zu den Kindern ‑ weiter intensivierten „Integrationsverbindungen“ durch die Verbüßung einer „zehnmonatigen“ Freiheitsstrafe (vgl. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0097). Demzufolge war die Annahme des BVwG nicht gerechtfertigt, der Revisionswerber habe im Zeitpunkt der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme keinen ‑ unbestritten rechtmäßigen ‑ ununterbrochenen Aufenthalt von zehn Jahren im Sinne des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG in Österreich gehabt. Davon, dass das Gesamtfehlverhalten des Revisionswerbers den hohen Maßstab nach der genannten Bestimmung nicht erfüllt (vgl. zu den diesbezüglich strengen Kriterien etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0091, und VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0244, jeweils Rn. 11, sowie VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn. 6), ist erkennbar auch das BVwG ausgegangen, wenn es schon eine Gefährdungsprognose am niedrigeren Maßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG für fraglich hielt. Demnach hätte das BVwG das bei ihm angefochtene Aufenthaltsverbot in Stattgebung der Beschwerde (ersatzlos) aufheben müssen.
13 Aber selbst wenn man mit dem BVwG von der Maßgeblichkeit des Gefährdungsmaßstabs nach der zuletzt genannten Bestimmung ausgeht und dessen Verwirklichung unterstellt, könnte das Aufenthaltsverbot angesichts der starken familiären Bindungen des zuletzt wieder beschäftigten Revisionswerbers unter dem in der Revision vor allem relevierten Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG keinen Bestand haben. Die erwähnte Ehe des Revisionswerbers wurde zwar im Februar 2018 geschieden, doch kümmert er sich nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis intensiv um die drei, mittlerweile acht, zwölf und vierzehn Jahre alten Töchter. Die Kinder verbringen jede Woche mehrere Tage, meistens die Wochenenden, bei ihm und seiner österreichischen Lebensgefährtin und deren Sohn. Zu Recht wird in der Revision diesbezüglich bemängelt, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf das Wohl der Kinder ‑ Trennung von ihrem Vater ‑ vom BVwG nicht ausreichend berücksichtigt worden seien (siehe zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl die Rechtsprechungsnachweise in VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0362, Rn. 16). Die vom BVwG unter diesem Gesichtspunkt vorgenommene Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbotes trägt der insgesamt sehr langen Aufenthaltsdauer und den auch vom BVwG zugestandenen starken familiären Bindungen des Revisionswerbers nicht genügend Rechnung, zumal sein Fehlverhalten ‑ auch wenn es keineswegs verharmlost werden soll ‑ in Österreich erst einmal zu einer unbedingten Freiheitsstrafe führte und nicht der Schwerkriminalität zuzuordnen ist.
14 Zusammenfassend ergibt sich somit, dass das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
15 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 26. November 2020
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