VwGH Ra 2020/20/0221

VwGHRa 2020/20/02211.7.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, in der Rechtssache der Revision des T R, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7‑11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Mai 2020, W177 2147302‑1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200221.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 8. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Mit Bescheid vom 17. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit macht die Revision geltend, das BVwG habe sich im Hinblick auf die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht ausreichend mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinandergesetzt. Es sei zudem im angefochtenen Erkenntnis weder auf die gesundheitliche Situation, die sich infolge der weltweiten Covid‑19‑Pandemie ergeben habe, noch auf deren Auswirkungen auf das afghanische Gesundheitssystem und die wirtschaftliche Lage in Afghanistan Bedacht genommen worden. Diesbezüglich fehle aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs.

8 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Feststellungs-, Ermittlungs- und Begründungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargetan werden, weshalb bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen, darzulegen (vgl. VwGH 20.12.2019, Ra 2019/01/0431 bis 0433, mwN). Eine solche Relevanzdarstellung ist der Zulässigkeitsbegründung nicht zu entnehmen.

9 Nach den unbestrittenen Feststellungen des BVwG zu den persönlichen Umständen des Revisionswerbers handelt es sich bei diesem um einen jungen, gesunden, arbeitsfähigen Mann, der über Berufserfahrung in der Landwirtschaft, im Baugewerbe und als Händler verfügt und eine der Landessprachen Afghanistans spricht. Ausgehend davon gelangte das BVwG zu der Beurteilung, dass ihm eine Neuansiedlung in den Städten Herat und Mazar‑e Sharif auch ohne soziales Netz zumutbar sei. Die Zulässigkeitsbegründung lässt weder erkennen, welche persönlichen Umstände des Revisionswerbers bei der zuletzt erwähnten Einschätzung weiter zu berücksichtigen gewesen wären, noch legt sie mit ihren bloß allgemein gehaltenen Ausführungen dar, inwiefern die individuelle Situation des Revisionswerbers dem Vorliegen einer für ihn zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif und Herat entgegenstünde (vgl. z.B. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0445, mwN). Die allein maßgebliche Zulässigkeitsbegründung zeigt auch nicht fallbezogen und konkret den Revisionswerber betreffend auf, welche Feststellungen hinsichtlich der für ihn mit Blick auf die Covid-19 Pandemie zu erwartenden Situation in den vom BVwG als innerstaatliche Fluchtalternative herangezogenen afghanischen Städten zu treffen gewesen wären (vgl. dazu VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188).

10 Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 24.3.2020, Ra 2019/01/0194, 0295 bis 0298, mwN). Anhand der Zulässigkeitsbegründung, die dazu lediglich ausführt, das BVwG habe die Beweiswürdigung in einer nicht zu vertretenden Art und Weise vorgenommen, ist indes eine derart krasse Fehlbeurteilung nicht ersichtlich.

11 Sofern in der Zulässigkeitsbegründung das Ergebnis der vom BVwG vorgenommenen Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK als unzutreffend erachtet wird, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Demnach ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. VwGH 6.12.2019, Ra 2019/20/0547, mwN). Auch zu diesem Aspekt enthält die Zulässigkeitsbegründung kein auf den vorliegenden Fall bezugnehmendes Vorbringen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird betreffend die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK somit nicht aufgeworfen.

12 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 1. Juli 2020

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte