VwGH Ra 2020/19/0042

VwGHRa 2020/19/004217.11.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des N Y, vertreten durch Dr. Monika Wildner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Gonzagagasse 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2019, W184 2172205‑1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §35 Abs1
AsylG 2005 §35 Abs5
IPRG §6
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190042.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 24. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.), sprach jedoch aus, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber auf Dauer unzulässig sei, und erteilte ihm eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 FPG (Spruchpunkt III.).

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz (Spruchpunkte I. und II. des Bescheides) gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Das BVwG stellte fest, der Revisionswerber sei afghanischer Staatsbürger und habe seit seinem zehnten Lebensjahr im Iran gelebt. Er habe im Jahr 2007 im Iran eine Ehe bloß nach islamischem Recht geschlossen, während eine Eheschließung nach staatlichem, insbesondere afghanischem oder iranischem Recht unterblieben sei. Die Lebensgefährtin des Revisionswerbers sei seit dem Jahr 2017 in Österreich asylberechtigt. Die vier gemeinsamen Kinder hätten im Familienverfahren von der Mutter „abgeleitetes Asyl“ erhalten.

4 Das BVwG stellte weiter fest, nach afghanischem Recht würden außerhalb Afghanistans durch einen Mullah durchgeführte Ehen afghanischer Staatsangehöriger im Nachhinein von den afghanischen diplomatischen Vertretungen im Ausland registriert, wofür eine Heiratsbestätigung durch die Eheleute und zwei Zeugen notwendig seien. Nach Art. 61 Abs. 2 des afghanischen Zivilgesetzbuches sei für die Gültigkeit des Eheschließungsvertrages dessen Registrierung vorgeschrieben, wobei es keinen Unterschied mache, ob die Ehe in Afghanistan oder im Ausland geschlossen worden sei. Ohne den Nachweis durch eine öffentliche Urkunde sei die Ehe nach staatlichem afghanischem Recht ungültig.

5 Rechtlich folgerte das BVwG, soweit hier von Bedeutung, die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 iVm. § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 seien nicht vorgelegen, weil der Revisionswerber keine nach (dem hier gemäß § 16 Abs. 2 IPRG maßgeblichen afghanischen oder iranischen) staatlichen Recht gültige Ehe geschlossen habe, sondern nur eine Scharia‑Ehe, zu der er keine Dokumente über die dabei eingehaltenen Formalitäten vorlegen könne. Nach iranischem Recht könnten Ausländer, insbesondere auch afghanische Staatsangehörige, im Iran untereinander nicht nach iranischem Recht heiraten. Für sie seien vielmehr die Gesetze ihres Herkunftsstaates anzuwenden. Die Ehe sei aber nicht entsprechend den einschlägigen afghanischen Rechtsvorschriften registriert worden. Auch seien die bei dieser bloß traditionellen Eheschließungszeremonie gewählten Formalitäten „nicht nachvollziehbar“.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit ausschließlich vor, das BVwG habe das Vorliegen einer Ehe des Revisionswerbers unzutreffend verneint. Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits entschieden, dass eine bloß traditionell geschlossene Ehe dem ordre public nicht widerspreche (Verweis auf VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0094). Dem Revisionswerber hätte daher im Familienverfahren der Status des Asylberechtigten zuerkannt werden müssen.

10 Dem zitierten Erkenntnis VwGH Ra 2018/18/0094 lag ein Fall zu Grunde, in dem eine zunächst nach traditionellem Ritus in Syrien geschlossene Ehe in der Folge staatlich registriert wurde, womit nach syrischem Recht die Ehe rückwirkend mit dem Zeitpunkt der traditionellen Eheschließung als gültig zustande gekommen anzusehen war. Der Verwaltungsgerichtshof sprach aus, dass der bloße Umstand der Anerkennung einer traditionellen Eheschließung mit ihrer nachfolgenden staatlichen Registrierung bereits ab dem Zeitpunkt der traditionellen Eheschließung im ausländischen Recht nicht gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung verstößt.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch erkannt, dass eine rückwirkende Sanierung einer traditionell erfolgten Eheschließung durch die nachfolgende Registrierung (in Abwesenheit eines Ehepartners) grundsätzlich möglich ist, wenn eine solche vom anwendbaren Zivilrecht vorgesehen ist (vgl. ‑ zur Eheschließung zwischen afghanischen Staatsangehörigen ‑ VwGH 28.9.2020, Ra 2020/18/0075, mwN; vgl. auch VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0149).

12 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber aber gar nicht vorgebracht, dass seine traditionell geschlossene Ehe staatlich registriert worden sei. Die Revision legt somit nicht dar, dass das BVwG hinsichtlich der Beurteilung, ob der Revisionswerber als Ehegatte iSd. § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 anzusehen ist, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre.

13 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 17. November 2020

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