Normen
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180075.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine afghanische Staatsangehörige, stellte am 10. Jänner 2018 bei der Österreichischen Botschaft Teheran einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Sie brachte vor, die Ehefrau von Javad Bagheri (Bezugsperson) zu sein, dem in Österreich mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Juli 2017 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Die Ehe sei am 27. April 2015 in Kabul nach traditionellem Ritus geschlossen worden. Die staatliche Registrierung sei erst nach der Ausreise der Bezugsperson (im Jahr 2015) am 25. September 2017 erfolgt.
3 Mit Bescheid vom 25. April 2019 wies die Österreichische Botschaft Teheran den Antrag der Revisionswerberin ab. Begründend verwies die Behörde auf eine Stellungnahme des BFA, wonach die Ehe zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson nicht bereits vor Einreise der Bezugsperson bestanden habe, weil sie erst danach registriert worden sei. Die Revisionswerberin sei damit keine „Familienangehörige“ im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG 2005.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG aus, die vorgelegte Heiratsurkunde weise in Bezug auf die Namen der Eheleute näher dargestellte Ungereimtheiten auf, weshalb sie schon aus diesem Grund nicht geeignet sei, eine Eheschließung zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson nachzuweisen. Die Heiratsurkunde sei außerdem nur eine gerichtliche Beurkundung von Zeugenaussagen und stelle keine staatliche Registrierung der Ehe dar. Die Beweiskraft derartiger Urkunden sei im Übrigen generell gering und vermöge deshalb eine angeblich zwei Jahre zuvor stattgefundene traditionelle Eheschließung nicht zu belegen. Selbst bei Wahrunterstellung der vorgelegten Heiratsurkunde sei davon auszugehen, dass die von der Revisionswerberin behauptete, in Abwesenheit der Bezugsperson in Afghanistan bezeugte Eheschließung in Österreich keinen Bestand habe, da diese wegen der Ausreise der Bezugsperson vor Ausstellung der Heiratsurkunde nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden habe.
6 Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, die im Wesentlichen geltend macht, das BVwG verstoße gegen das Überraschungsverbot, indem es ‑ anders als die Österreichische Botschaft und das BFA ‑ die Eignung der Heiratsurkunde zum Nachweis der staatlichen Registrierung der gegenständlichen Ehe in Zweifel ziehe. Hätte es der Revisionswerberin Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern, so hätte die Revisionswerberin zum einen die angeblichen Ungereimtheiten der Urkunde erklären können und zum anderen darauf hinweisen können, dass die vorgelegte Heiratsurkunde aus näher dargestellten Gründen als staatliche Registrierung ausreiche. Die Hilfsbegründung des BVwG, auch bei Wahrunterstellung der Heiratsurkunde sei der Revisionswerberin kein Einreisetitel zu gewähren, treffe nicht zu, weil die Ehe nicht erst durch die Registrierung, sondern schon durch die traditionelle Eheschließung (vor der Einreise der Bezugsperson in das Bundesgebiet) geschlossen worden sei.
7 Die Österreichische Botschaft hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Zu Recht macht die Revision geltend, dass das BVwG erstmals Zweifel an der Beweiskraft der vorgelegten Heiratsurkunde angemeldet hat, die gegen deren Eignung zum Nachweis der staatlichen Registrierung der gegenständlichen Ehe sprechen sollen. Der Revisionswerberin wurde diesbezüglich keine Möglichkeit eingeräumt, die aufgetauchten Bedenken zu zerstreuen. Dass ihr dies bei Einräumung von Parteiengehör möglich gewesen wäre, lässt sich auf der Grundlage ihres in der Revision erstatteten Vorbringens nicht ausschließen, weshalb dem aufgezeigten Verfahrensmangel (Verstoß gegen das Überraschungsverbot; vgl. dazu etwa VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0083) Relevanz zukommt.
11 Auch die Hilfsbegründung des BVwG trägt die Entscheidung nicht: Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt erkannt, dass eine rückwirkende Sanierung einer traditionell erfolgten Eheschließung durch die nachfolgende Registrierung (in Abwesenheit eines Ehepartners) grundsätzlich möglich ist, wenn eine solche vom anwendbaren Zivilrecht vorgesehen ist. Die Sichtweise, eine derartige Ehe könne grundsätzlich in Österreich keinen Rechtsbestand haben, erweist sich somit als rechtlich unzutreffend (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0379, mwN).
12 Diese rechtliche Einschätzung wurde insbesondere auch bereits zur afghanischen Rechtslage eingenommen, wobei fallbezogen davon ausgegangen wurde, dass das afghanische Zivilgesetzbuch offenbar eine rückwirkende Anerkennung der Eheschließung erlaube (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0149).
13 Im vorliegenden Fall hat sich das BVwG mit dieser zuletzt genannten Rechtsfrage nicht beschäftigt, sondern die nach dem bisher Gesagten unrichtige Rechtsansicht vertreten, die rückwirkende Sanierung einer traditionell geschlossenen Ehe durch eine nachträgliche Registrierung komme in keinem Fall in Betracht.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher vorrangig wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
15 Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. September 2020
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