VwGH Ra 2020/14/0052

VwGHRa 2020/14/005219.2.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in den Revisionssachen 1. der A B, und 2. des C D, beide vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 25. September 2019, 1) L506 2143270‑1/13E und 2) L506 2143267‑1/16E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140052.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber sind Geschwister und Staatsangehörige Pakistans. Sie stellten am 31. Oktober 2014 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Mit Bescheiden je vom 1. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Mit den in Revision gezogenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG jeweils nicht zulässig sei.

4 Dagegen erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom 11. Dezember 2019, E 3735‑3736/2019‑7, ablehnte und unter einem die Beschwerden dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurden die gegenständlichen Revisionen eingebracht.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Zulässigkeit ihrer Revisionen vor, es fehle eine gesicherte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wann bei einem Asylwerber, der sich bereits seit mehreren Jahren im Asylverfahren befinde, von einer außergewöhnlich guten Integration auszugehen und daher die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären sei. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sei im gegenständlichen Falle zur Schaffung einer entsprechenden Rechtsprechung und damit zur Rechtssicherheit von wesentlicher Bedeutung. Überdies habe das Bundesverwaltungsgericht dem auch im Asylverfahren geltenden Grundsatz der Amtswegigkeit des Ermittlungsverfahrens (Offizialmaxime) und dem Grundsatz der materiellen Wahrheit, demgemäß das Verwaltungsgericht ‑ unabhängig vom Parteivorbringen und Verhalten der Partei ‑ den maßgeblichen Sachverhalt durch geeignete Maßnahmen zeitnah und vollständig zu erheben und diese Erhebungsergebnisse der Entscheidung zu Grunde zu legen habe, nicht entsprochen. Es bedürfe daher einer klarstellenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit.

9 Mit den allgemein gehaltenen Ausführungen zur Frage der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zeigen die revisionswerbenden Parteien nicht konkret auf die vorliegenden Revisionssachen bezogen auf, dass diese von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängten, zu der noch keine (einheitliche) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs besteht. Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen kann überdies zur Frage der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf umfangreiche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zurückgegriffen werden.

10 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0420, mwN).

11 Die von den revisionswerbenden Parteien in Bezug auf die Interessenabwägung aufgeworfene Frage ist daher nicht generell zu klären, sondern in Abhängigkeit von den Umständen des vorliegenden Falles zu beurteilen (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0275).

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0461, mwN). Die revisionswerbenden Parteien zeigen nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seiner auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht nehmenden Interessenabwägung von den in der Rechtsprechung dargelegten Leitlinien abgewichen wäre und in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte. Insbesondere wird auch den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgegen getreten, wonach bei den revisionswerbenden Parteien trotz ihres knapp unter fünf Jahren bestehenden Aufenthaltes im Bundesgebiet keine hinreichende Integration in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht habe festgestellt werden können, sodass nicht zu sehen ist, dass eine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen der revisionswerbenden Parteien vorliegt, dass bereits von „außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen werden könnte.

13 Insoweit die revisionswerbenden Parteien pauschal und ohne Bezug zum vorliegenden Verfahren ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Ermittlungspflichten im Asylverfahren behaupten, legen sie die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dar (vgl. zum Erfordernis der Relevanzdarstellung etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0580, mwN).

14 Von den revisionswerbenden Parteien werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. Februar 2020

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