VwGH Ra 2020/09/0003

VwGHRa 2020/09/000324.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Hotz, über die außerordentliche Revision des A B in C, vertreten durch Auer Bodingbauer Leitner Stöglehner Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Spittelwiese 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 2019, Zl. W200 2003749‑2/4E, betreffend Feststellung einer Dienstbeschädigung und Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich), zu Recht erkannt:

Normen

HVG §4 Abs1
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §24 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020090003.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Kosten wird abgewiesen.

Begründung

1 Der im Jahr 1976 geborene Revisionswerber leistete vom 29. Jänner 1996 bis 18. Juli 1996 den Grundwehrdienst beim Bundesheer. Am 22. Februar 1996 erlitt er einen Dienstunfall, bei dem er während des Morgensports auf einem vereisten Feldweg auf die rechte Schulter und auf den Kopf stürzte. Wegen dieses Sturzes stand er von 7. März 1996 bis 14. März 1996 in stationärer Behandlung der Neurologischen Abteilung der Landesnervenklinik Salzburg. Am 4. Juni 1996 erlitt der Revisionswerber als Mitfahrer eines Heeres‑LKW einen weiteren Dienstunfall, als das Fahrzeug von der Straße abkam.

2 Aus den beiden Unfällen geltend gemachte Gesundheitsschädigungen wurden mit Bescheid des Bundessozialamtes Oberösterreich vom 17. April 1997 nur teilweise als Dienstbeschädigungen anerkannt. Der Anspruch auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG) wurde abgelehnt. Zur weiteren Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 18. April 2001, 98/09/0350, verwiesen.

3 Mit Bescheid vom 24. Jänner 2018 stellte das Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, fest, dass die auf Antrag vom 24. April 2013 sowie vom 6. August 2013 aufgrund der zuvor genannten Dienstunfälle zusätzlich geltend gemachten weiteren Gesundheitsschädigungen gemäß §§ 1 und 2 HVG, in der bis zum 30. Juni 2016 geltenden Fassung, nicht als Dienstbeschädigung anerkannt werden können. Ebenso wurde der Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung gemäß § 4 Abs. 1 HVG, in der bis zum 30. Juni 2016 geltenden Fassung, abgelehnt.

4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sah das Verwaltungsgericht ab, weil der Sachverhalt aufgrund der eingeholten Gutachten als ausreichend geklärt anzusehen gewesen sei.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsschädigungen und den Unfällen, die sich im Rahmen des Präsenzdienstes ereignet haben, bestanden habe; einige der behaupteten Schädigungen hätten zudem zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Soweit der Revisionswerber in seinem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung rügt, erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch begründet.

10 Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes‑ oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegenstehen.

11 Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinne des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/09/0053).

12 Das Verwaltungsgericht übersieht, dass es sich bei dem im Revisionsfall strittigen Anspruch auf Beschädigtenversorgung um ein „civil right“ im Verständnis der zitierten Konventionsbestimmung handelt (vgl. zur Zuerkennung einer Versehrtenrente VwGH 22.2.2018, Ra 2017/09/0053, und VwGH 14.11.2017, Ra 2017/09/0042, sowie zur Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz VfSlg. 18.827/2009).

13 Das Verwaltungsgericht hätte sohin nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Da das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet; schon deshalb war dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen in der Revision einzugehen war.

14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014; der beantragte gesonderte Zuspruch von Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand findet darin keine Deckung.

Wien, am 24. Juni 2020

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