VwGH Ra 2019/16/0107

VwGHRa 2019/16/010720.10.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Dr. Mairinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der Landespolizeidirektion Tirol in 6020 Innsbruck, Innrain 34, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 5. April 2019, Zl. LVwG‑2018/12/1132‑13, betreffend Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (mitbeteiligte Partei: G Ö in I, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs1 Z1
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art130 Abs2
B-VG Art132 Abs1 Z1
GSpG 1989 §53 Abs1 Z1 lita
GSpG 1989 §53 Abs2
GSpG 1989 §53 Abs3
GSpG 1989 §53 Abs4
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019160107.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Am 9. April 2018 führte die Landespolizeidirektion Tirol in dem vom Mitbeteiligten betriebenen Lokal eine Kontrolle nach dem Glücksspielgesetz (GSpG) durch. Im Zuge dieser Kontrolle wurden von der belangten Behörde zwei Geräte abtransportiert.

2 Mit Maßnahmenbeschwerde vom 18. Mai 2018 beantragte der Mitbeteiligte den durch den Abtransport der zwei in seinem Eigentum stehenden Geräte erfolgten Entzug der Verfügungsmacht für rechtswidrig zu erklären.

3 Mit Bescheid vom 30. Mai 2018 ordnete die Landespolizeidirektion Tirol „gemäß § 53 Abs. 1 Z 1 lit a Glücksspielgesetz die Beschlagnahme der am 09.03.2018 in [...], im Lokal [...], in amtliche Verwahrung genommenen (Abs. 4 leg cit) Glücksspielautomaten, an“, wobei es die beiden Geräte im Spruch noch näher bezeichnete.

4 Die vom Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom 30. Mai 2018 erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Tirol mit Erkenntnis vom 14. März 2019, LVwG‑2018/14/1462‑3, ab, wobei es den Spruch des angefochtenen Bescheids dahingehend richtig stellte, dass die Glücksspielautomaten am „09.04.2018“ in amtliche Verwahrung genommen worden seien.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol der Maßnahmenbeschwerde Folge und stellte fest, „dass der am 09.04.2018 im Lokal [...] in [...] durch Organe der Landespolizeidirektion Tirol durch den Abtransport der beiden Glücksspielautomaten [...] erfolgte Entzug aus der Verfügungsmacht des [Mitbeteiligten] bis zur Erlassung des Beschlagnahmebescheides [...] rechtswidrig war“. Das Verwaltungsgericht verpflichtete den Bund zum Aufwandersatz und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens gemäß § 36 VwGG und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten ‑ in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat ‑ erwogen hat:

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision (gesondert) vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 In der Amtsrevision wird zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach eine Maßnahmenbeschwerde einen subsidiären Rechtsbehelf darstelle, der unzulässig sei, wenn in derselben Sache bereits ein Bescheid erlassen worden sei.

10 Die Revision ist zulässig und begründet.

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dient der Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dem Zweck, eine Lücke im Rechtsschutzsystem zu schließen. Mit dieser Beschwerde sollten aber keine Zweigleisigkeiten für die Verfolgung ein und desselben Rechts geschaffen werden. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein (vgl. etwa VwGH 20.3.2019, Ra 2018/09/0090, mwN).

12 Wird ein Bescheid erlassen, können die ‑ bereits vorgenommenen ‑ damit zusammenhängenden faktischen Verfügungen nicht mehr mit Maßnahmenbeschwerde bekämpft werden (vgl. etwa VwGH 20.9.2018, Ra 2018/09/0024). Ein bereits anhängiges Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde ist in diesem Fall einzustellen (vgl. etwa VwGH 21.11.2018, Ra 2017/17/0840).

13 Eine allfällige Rechtwidrigkeit des Bescheids kann nur im Wege der Bescheidbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/15/0075).

14 Mit dem Bescheid vom 30. Mai 2018 hat die Landespolizeidirektion Tirol über die Beschlagnahme zweier näher bezeichneter, am 9. April 2018 in amtliche Verwahrung genommener Glücksspielautomaten abgesprochen. Damit sind auch die im Revisionsfall strittige faktische Amtshandlung des Abtransports der Glücksspielautomaten und deren amtliche Verwahrung ab dem 9. April 2018 vom Spruch des Beschlagnahmebescheids umfasst. Ob diese vorangegangene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt von einem Organ der öffentlichen Aufsicht (§ 53 Abs. 2 GSpG) oder von einem zur Erlassung eines Bescheids nach § 53 Abs. 1 GSpG befugten Organ der Behörde erfolgte, ist dafür ‑ entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ‑ nicht entscheidend.

15 Eine Rechtswidrigkeit des Bescheids wäre daher im Wege der Bescheidbeschwerde geltend zu machen gewesen. Indem das Landesverwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage das Maßnahmenbeschwerdeverfahren nicht einstellte, sondern inhaltlich erledigte, belastete es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

16 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 20. Oktober 2020

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