Normen
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019080182.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheids der belangten Behörde festgestellt, dass der Dritt‑ bis Sechstmitbeteiligte in näher genannten Zeiträumen zwischen dem 1. Oktober 2010 und dem 31. Dezember 2014 auf Grund ihrer Tätigkeit für den Revisionswerber der Vollversicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 und 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG und der Drittmitbeteiligte auf Grund einer weiteren in den genannten Zeitraum fallenden Tätigkeit für den Revisionswerber der Unfallversicherung unterlagen. Der Revisionswerber sei gemäß § 44 Abs. 1 und § 49 Abs. 1 und 2 ASVG verpflichtet, an Beiträgen und Zuschlägen nach jeweils angeführten Beitragsgrundlagen sowie an Verzugszinsen € 166.106,55 nachzuentrichten. Der Revisionswerber betreibe Räumungen, Endreinigungen, den Ankauf und die Vermietung von Immobilien, die Errichtung, Vermietung und den Verkauf von Einfamilienhäusern. Er habe über diverse Baumaschinen verfügt und den Dritt‑, Fünft‑ und Sechstmitbeteiligten als Bauhilfsarbeiter sowie den Viertmitbeteiligten als Vorarbeiter bzw. Polier bei der Errichtung von Einfamilienhäusern auf diversen Baustellen beschäftigt. Die Erwerbstätigen hätten sich allmorgendlich am Betriebsstandort des vom Revisionswerber betriebenen Unternehmens einzufinden und ihre Dienstleistungen von Montag bis Freitag von 8 Uhr bis 12 Uhr, fallweise auch bis 15 oder 16 Uhr, zu einem Stundenlohn von € 8,‑‑ bzw. € 16,‑‑ zu erbringen gehabt. Sie hätten ihre Urlaube mit dem Revisionswerber abstimmen müssen. Der Revisionswerber habe sie bar bezahlt. Sie seien vom Revisionswerber tatsachenwidrig entweder nicht, nur als Teilzeitbeschäftigte oder von diversen, nicht operativ tätigen (Schein)Firmen als Dienstgeber zur Pflichtversicherung gemeldet worden. In den von den Meldungen durch die (Schein)Firmen umfassten Zeiträumen seien sie für den Revisionswerber tätig gewesen. Der Revisionswerber habe keine ordnungsgemäße Lohnabrechnung vorlegen können und sei seiner Verpflichtung zur Führung von Arbeitsaufzeichnungen iSd § 26 Abs. 1 AZG nicht nachgekommen. Es sei unter Heranziehung der vom Dritt‑ und vom Fünftmitbeteiligten geführten Arbeitszeitaufzeichnungen von Jänner bis September 2012, der niederschriftlichen Angaben vom 1. Februar 2014, der (unglaubwürdigen) Angaben des Viertmitbeteiligten und der Angaben des Sechstmitbeteiligten sowie weiterer Unterlagen von der Schätzung gemäß § 42 Abs. 3 ASVG Gebrauch zu machen, woraus sich die im erstinstanzlichen Bescheid genannten Beitragsgrundlagen ergeben würden. Im Jahr 2016 sei der Revisionswerber wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs zu einer bedingten Haftstrafe und zur Zahlung eines Geldbetrags verurteilt worden.
5 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 Der Revisionswerber erblickt entgegen diesem Ausspruch eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass das Bundesverwaltungsgericht von den „Leitlinien der Rechtsprechung des VwGH“ abgewichen sei, indem es „ein missliebiges Vehikel als nicht existent ‑ eben als ‚Scheinfirma‘“ behandelt habe. Die betreffende GmbH sei aber sehr wohl existent.
7 Dem ist zu erwidern, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht die rechtliche Existenz der zur Rede stehenden „Scheinfirmen“, sondern in wirtschaftlicher Betrachtungsweise (§ 539a ASVG) deren Stellung als Dienstgeber iSd § 35 Abs. 1 ASVG verneint hat.
8 Des Weiteren sieht der Revisionswerber eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dadurch aufgeworfen, dass das Bundesverwaltungsgericht Beweise falsch gewürdigt und einen beantragten Hilfsbeweis zur Beweiswürdigung (die Vernehmung „sämtlicher Finanzpolizisten“) nicht aufgenommen habe.
9 Rechtsfragen des Verfahrensrechts ‑ wie hier die behauptete unrichtige Sachverhaltsfeststellung ‑ sind nur dann von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen bzw. wenn die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall erforderliche Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (VwGH 2.5.2019, Ra 2019/08/0022). Davon kann im vorliegenden Fall im Hinblick auf die nachvollziehbaren diesbezüglichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes keine Rede sein.
10 Entgegen der Auffassung der Revision wirft die Abstandnahme des Bundesverwaltungsgerichtes von einer Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheids und von einer Zurückverweisung an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG schon deswegen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf, weil die Parteien kein subjektives Recht auf ein entsprechendes Vorgehen des Verwaltungsgerichtes haben (vgl. zu § 66 Abs. 2 AVG VwGH 20.11.2014, 2011/07/0244 ua).
11 Die Scheinunternehmen hatten im vorliegenden Verfahren entgegen der Auffassung der Revision keine Parteistellung. Abgesehen davon, dass eine Relevanz dieses Vorbringens nicht ersichtlich ist, war Gegenstand des Verfahrens weder eine Pflichtversicherung von Dienstnehmern auf Grund einer Beschäftigung bei diesen Scheinunternehmen noch deren Beitragspflicht. Schließlich steht der Umstand, dass das Strafurteil nach den Behauptungen der Revision eine Verkürzung von Beiträgen „gegenüber der WGKK“ festgestellt habe, einer Zuständigkeit der belangten Behörde nicht entgegen.
12 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 7. Jänner 2020
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