VwGH Ra 2019/02/0225

VwGHRa 2019/02/022514.12.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des H in R, vertreten durch Mag. Manfred Seidl, Mag. Ulrich Schmiedl und Mag. Gabriele Vierziger, Rechtsanwälte in 5500 Bischofshofen, Bodenlehenstraße 2‑4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 25. Oktober 2019, LVwG‑2018/24/2787‑1, betreffend Übertretungen des KFG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Lienz), zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §44 Abs1
VwGVG 2014 §44 Abs2
VwGVG 2014 §44 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019020225.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Lienz wurde der Revisionswerber als Fahrer näher angeführter Kraftfahrzeuge verschiedener Übertretungen des KFG für schuldig erachtet, weshalb über ihn Geldstrafen (samt Ersatzfreiheitsstrafen) sowie eine Ermahnung verhängt wurden.

2 In den dagegen gerichteten Beschwerden beantragte der Revisionswerber unter anderem jeweils die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die Beschwerden ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

5 Die Bezirkshauptmannschaft erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurück- oder abzuweisen.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Zulässigkeit der Revision begründet der Revisionswerber mit dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht keine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht begründet habe.

8 Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig und berechtigt.

9 Das Verwaltungsgericht hat im Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein allfälliges Absehen von der Verhandlung wäre nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen gewesen (vgl. VwGH 31.7.2014, Ra 2014/02/0011).

10 Da das Verwaltungsgericht die Beschwerden mit Erkenntnis als unbegründet abwies, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 2 und 4 VwGVG nicht in Betracht. Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung (im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG) wurde nicht festgestellt. Infolge des vom Revisionswerber gestellten Verhandlungsantrags liegen auch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 VwGVG nicht vor (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2020/02/0162, mwN).

11 Das Verwaltungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die beantragte öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen und belastete durch das unbegründete Absehen von der Verhandlung das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

12 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung führt ein Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die aus Art. 6 EMRK abgeleitete Verhandlungspflicht auch ohne nähere Prüfung einer Relevanz dieses Verfahrensmangels zur Aufhebung des Erkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG (vgl. VwGH 26.4.2019, Ra 2018/02/0260 bis 0261, mwN).

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. Dezember 2020

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