VwGH Ra 2018/11/0122

VwGHRa 2018/11/01226.7.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz‑Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Maga. Thaler, über die Revision des R U S in W, vertreten durch Dr. Magdalena Frech, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Walfischgasse 8/34, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 12. Februar 2018, Zl. VGW‑131/054/10747/2016‑16, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Normen

EURallg
FSG 1997 §30
FSG 1997 §30 Abs1
FSG 1997 §30 Abs2
FSG 1997 §5 Abs1 Z1
FSG 1997 §5 Abs2
32006L0126 Führerschein-RL
32006L0126 Führerschein-RL Art12

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018110122.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 1.1 Der Revisionswerber ist deutscher Staatsbürger und im Besitz einer in Deutschland erteilten Lenkberechtigung.

2 1.2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 15. Juli 2016 entzog diese dem Revisionswerber gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 iVm § 26 Abs. 3 Z 1 und § 30 Abs. 2 des Führerscheingesetzes (FSG) die für näher genannte Klassen erteilte Lenkberechtigung für die Dauer von zwei Wochen gerechnet ab Zustellung des Bescheides. Gleichzeitig erging die Aufforderung, gemäß § 29 Abs. 3 FSG den am 28. Mai 2003 unter näher genannter Zahl in Deutschland ausgestellten Führerschein unverzüglich im Verkehrsamt der Landespolizeidirektion Wien abzugeben. Einer allfälligen Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG aberkannt.

3 Begründend wurde ausgeführt, über den Revisionswerber sei als Lenker eines bestimmt bezeichneten PKWs wegen Überschreitung der außerhalb des Ortsgebietes zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h an einer näher genannten Stelle nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von € 600,‑ ‑ verhängt worden. Gemäß § 30 Abs. 2 FSG habe die Behörde bei einem Besitzer eines ausländischen EWR‑Führerscheins, der seinen Hauptwohnsitz nach Österreich verlegt habe, eine Entziehung auszusprechen, wenn Gründe für eine solche Maßnahme vorlägen.

4 2.1 Mit Erkenntnis vom 12. Februar 2018 wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers ‑ die sich ausdrücklich nur gegen die Anwendung der Bestimmung des § 30 Abs. 2 FSG, nicht jedoch gegen die Annahme des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen für ein Lenkverbot in der Dauer von zwei Wochen an sich, richtete ‑ gegen den Bescheid der belangen Behörde nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Unter einem sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

5 2.2 In seiner Begründung traf das Verwaltungsgericht zusammengefasst folgende Feststellungen: Der Revisionswerber habe seit 11. April 2013 durchgehend seinen Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Er sei handelsrechtlicher Geschäftsführer eines Unternehmens mit Sitz in Österreich. Dieses gehöre einer Unternehmensgruppe an, die Logistikniederlassungen in ganz Europa betreibe, darunter auch in Wien. Der Revisionswerber sei im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit mehr als die Hälfte des Jahres international und in Deutschland unterwegs. Von Mai bis September 2015 habe er eine Niederlassung in München geleitet und sich in dieser Zeit durchgehend dort aufgehalten. Der Revisionswerber sei auch in Deutschland am Wohnsitz seiner Eltern gemeldet und besuche diese dort durchschnittlich jedes zweite Wochenende entweder alleine oder zusammen mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern. Der Hauptanteil seiner persönlichen Sachen befinde sich in der Wohnung in Wien. Der Revisionswerber habe sich in den Jahren 2015 und 2016 jeweils weniger als 185 Tage in Österreich aufgehalten. Seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder würden seit April 2014 mit dem Revisionswerber gemeinsam in Wien wohnen, wo die Kinder eine internationale Schule besuchten. Die Ehegattin sei bis März 2015 in Wien einer regelmäßigen Beschäftigung nachgegangen. Nach einer Erkrankung arbeite sie nur noch fallweise, wobei sie im Rahmen dieser Tätigkeit auch zu Kunden in Deutschland fahre. Der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen liege in Wien, wo sie private Freunde habe, wenngleich sie auch enge Freundschaften zu Personen in Russland und Deutschland über soziale Medien pflege.

6 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, es sei in Zusammenhang mit der Entziehung einer dem betroffenen Besitzer in einem EWR‑Staat erteilten Lenkberechtigung gemäß § 30 Abs. 2 FSG auf den Wohnsitz im Sinne des § 5 Abs. 1 Z 1 FSG abzustellen. Aus den Feststellungen ergebe sich, dass der Revisionswerber nicht während 185 Kalendertagen an seinem Wohnsitz in Wien aufhältig sei. Der Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit liege in Deutschland. Seine persönlichen Bindungen würden jedoch angesichts des Aufenthalts seiner Ehefrau und Kinder trotz beruflicher Abwesenheit in Wien liegen, wohin er auch regelmäßig zurückkehre und wo er den Großteil seiner persönlichen Sachen aufbewahre. Diese Bindung sei trotz der häufigen Besuche bei den Eltern aufgrund des familiären Schwerpunkts als intensiver anzusehen als die Bindung zu Deutschland.

7 Der Wohnsitz des Revisionswerbers im Sinne des § 5 Abs. 2 FSG habe sich demnach im maßgeblichen Zeitraum in Österreich befunden, sodass die Behörde zu Recht von der Anwendbarkeit des § 30 Abs. 2 FSG ausgegangen sei. Der Meldung eines Wohnsitzes in Deutschland komme hier lediglich Indizwirkung zu. Aufgrund der festgestellten rechtskräftigen Bestrafung des Revisionswerbers wegen der Übertretung des § 99 Abs. 2e StVO sei die zweiwöchige Entziehung seiner deutschen Lenkberechtigung zu Recht erfolgt.

8 3. Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision.

9 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

10 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 4.1 Die Revision wendet sich ausschließlich gegen die Annahme des Vorliegens eines Wohnsitzes des Revisionswerbers in Österreich gemäß § 5 Abs. 2 FSG als Voraussetzung für die Anwendung des § 30 Abs. 2 FSG und bringt zur Begründung der Zulässigkeit vor, es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur der Frage vor, wann eine persönliche Bindung zu einem Staat im Sinne des § 5 Abs. 2 zweiter Satz FSG vorliege und was zu gelten habe, wenn der betreffende Führerscheinbesitzer über zwei Wohnsitze verfüge.

12 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

13 4.2.1 Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 74/2015, lauten auszugsweise:

„Verfahren bei der Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 5. (1) Ein Antrag auf Erteilung einer Lenkberechtigung darf unbeschadet des Abs. 1a nur gestellt werden, wenn der Antragsteller

1. seinen Wohnsitz im Sinne des Art. 12 der Richtlinie über den Führerschein ABl. Nr. 403/2006 in Österreich hat (Abs. 2),

(...)

(2) Ein Wohnsitz in Österreich gemäß Abs. 1 Z 1 liegt vor, wenn sich die betreffende Person aufgrund ihrer persönlichen und ‑ sofern vorhanden ‑ beruflichen Bindungen innerhalb der letzten zwölf Monate nachweislich während mindestens 185 Tagen in Österreich aufgehalten hat oder glaubhaft macht, dass sie beabsichtigt, sich für mindestens 185 Tage in Österreich aufzuhalten. Als Wohnsitz eines Führerscheinwerbers oder ‑besitzers, dessen berufliche Bindungen in einem anderen Staat als seine persönlichen Bindungen liegen, gilt unabhängig von der 185‑tägigen Frist der Ort der persönlichen Bindungen, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt. Auch wenn die Person nicht regelmäßig an den Ort der persönlichen Bindungen zurückkehrt, gilt der Ort der persönlichen Bindungen als Wohnsitz, wenn sich die Person in dem anderen Staat nur zur Ausführung eines Auftrages von bestimmter Dauer aufhält. Der Besuch einer Universität oder einer Schule hat keine Verlegung des Wohnsitzes zur Folge. (...)

5. Abschnitt

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder (...)

Sonderfälle der Entziehung

§ 26. (...)

(3) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 4 genannten Übertretung – sofern die Übertretung nicht geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen oder nicht mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen wurde (§ 7 Abs. 3 Z 3) oder auch eine Übertretung gemäß Abs. 1 oder 2 vorliegt – hat die Entziehungsdauer

1. zwei Wochen,

(...)

Folgen des Entziehungsverfahrens für Besitzer von ausländischen Lenkberechtigungen und Führerscheinen

§ 30. (1) Dem Besitzer einer ausländischen EWR‑ oder Nicht‑EWR‑Lenkberechtigung, der keinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich hat, ist das Recht, von seiner Lenkberechtigung Gebrauch zu machen, abzuerkennen, wenn Gründe für die Entziehung der Lenkberechtigung vorliegen. Die Aberkennung des Rechts, von der Lenkberechtigung Gebrauch zu machen, ist durch ein Lenkverbot unter Anwendung der §§ 24 Abs. 1, 25, 26 und 29 auszusprechen. Für die Aberkennung ist die Behörde zuständig, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Führerscheinbesitzer seinen Aufenthalt hat; sie hat den Führerschein abzunehmen und bis zum Ablauf der festgesetzten Frist oder bis zur Ausreise des Besitzers zurückzubehalten. Sofern dies möglich ist, hat die Behörde der Ausstellungsbehörde des Führerscheines die Tatsache der Aberkennung des genannten Rechtes mitzuteilen.

(2) Einem Besitzer einer ausländischen EWR‑ oder Nicht‑EWR‑Lenkberechtigung, der einen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich hat, hat die Behörde die Lenkberechtigung unter Anwendung der §§ 24 bis 29 zu entziehen. Der eingezogene Führerschein ist der Ausstellungsbehörde zusammen mit einer Sachverhaltsdarstellung zu übermitteln. Nach Ablauf der Entziehungsdauer hat der Betroffene gegebenenfalls im Fall einer EWR‑Lenkberechtigung einen Antrag auf Erteilung einer österreichischen Lenkberechtigung zu stellen. Im Fall einer Nicht‑EWR‑Lenkberechtigung ist auf Antrag eine österreichische Lenkberechtigung gemäß § 23 zu erteilen; wenn die Entziehungsdauer länger als 18 Monate war, ist in beiden Fällen eine österreichische Lenkberechtigung nach Ablegung einer praktischen Fahrprüfung zu erteilen.(...)“

14 4.2.2 Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 (RL 2006/126/EG ) über den Führerschein lautet:

„Artikel 12

Ordentlicher Wohnsitz

Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ordentlicher Wohnsitz der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder ‑ im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen ‑ wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.

Als ordentlicher Wohnsitz eines Führerscheininhabers, dessen berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem seiner persönlichen Bindungen liegen und der sich daher abwechselnd an verschiedenen Orten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufhalten muss, gilt jedoch der Ort seiner persönlichen Bindungen, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt. Diese letztgenannte Voraussetzung muss nicht erfüllt sein, wenn sich der Führerscheininhaber in einem Mitgliedstaat zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer aufhält. Der Besuch einer Universität oder einer Schule hat keine Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes zur Folge.“

15 4.3 Die ‑ fallbezogen strittige ‑ Anwendung des § 30 Abs. 2 FSG setzt unter anderem voraus, dass der betreffende Besitzer einer ausländischen EWR‑ oder Nicht‑EWR‑Lenkberechtigung seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne der Richtlinie 2006/126/EG (vgl. § 5 Abs. 1 Z 1 FSG) in Österreich hat, in welchem Fall die Behörde die Lenkberechtigung unter Heranziehung der §§ 24 bis 29 FSG zu entziehen hat. Im Gegensatz dazu ist dem Besitzer einer ausländischen EWR‑ oder Nicht‑EWR‑Lenkberechtigung, der keinen Wohnsitz im Sinne der Richtlinie 2006/126/EG (vgl. § 5 Abs. 1 Z 1 FSG) in Österreich hat, das Recht, von seiner Lenkberechtigung Gebrauch zu machen, abzuerkennen, wenn Gründe für die Entziehung der Lenkberechtigung vorliegen, indem ein Lenkverbot auszusprechen ist.

16 Der Verweis des § 30 Abs. 2 FSG auf § 5 Abs. 1 Z 1 FSG, wonach ein Antrag auf Erteilung einer Lenkberechtigungnur gestellt werden darf, wenn der Antragsteller seinen Wohnsitz im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG in Österreich hat, verlangt somit als Voraussetzung für die Maßnahme der Entziehung unter Heranziehung der §§ 24 bis 29 FSG ‑ ebenso wie für den Antrag auf Erteilung einer Lenkberechtigung ‑ das Vorliegen eines ordentlichen Wohnsitzes im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG in Österreich. § 5 Abs. 1 Z 1 FSG verweist in diesem Zusammenhang auf die Definition des Wohnsitzes in § 5 Abs. 2 FSG, der fast wörtlich die Richtliniendefinition des ordentlichen Wohnsitzes wiedergibt.

17 Diese Bestimmungen entsprechen dem Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2006/126/EG , wonach die Mitgliedstaaten aus Gründen der Verkehrssicherheit die Möglichkeit haben sollten, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung, die Erneuerung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat (vgl. bereits die Erwägungsgründe zur Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein [91/439/EWG ]).

18 4.4.1 Ein Wohnsitz in Österreich gemäß § 5 Abs. 1 Z 1 FSG liegt vor, wenn sich die betreffende Person aufgrund ihrer persönlichen und ‑ sofern vorhanden ‑ beruflichen Bindungen innerhalb der letzten zwölf Monate nachweislich während mindestens 185 Tagen in Österreich aufgehalten hat oder glaubhaft macht, dass sie beabsichtigt, sich für mindestens 185 Tage in Österreich aufzuhalten (§ 5 Abs. 2 erster Satz FSG).

19 4.4.2 Den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zufolge ist der Revisionswerber im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit mehr als die Hälfte des Jahres international und in Deutschland unterwegs und hat sich in den Jahren 2015 und 2016 jeweils weniger als 185 Tage in Österreich aufgehalten, weshalb den weiteren Betrachtungen zugrunde zu legen ist, dass die Voraussetzung für das Vorliegen eines Wohnsitzes in Österreich gemäß § 5 Abs. 2 erster Satz FSG fallbezogen nicht erfüllt ist.

20 4.5.1 Ausgehend von dem eben Gesagten ist zu prüfen, ob der Revisionswerber dennoch seinen Wohnsitz im Sinne des § 5 Abs. 2 zweiter Satz FSG in Österreich hat, weil entsprechend dieser Gesetzesbestimmung als Wohnsitz eines Führerscheinwerbers oder ‑besitzers, dessen berufliche Bindungen in einem anderen Staat als seine persönlichen Bindungen liegen, unabhängig von der 185-tägigen Frist der Ort der persönlichen Bindungen gilt, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (vgl. auch Art. 12 zweiter Satz der Richtlinie 2006/126/EG ).

21 4.5.2 Dazu ist Folgendes zu erwägen: Weder dem Führerscheingesetz noch der Definition des Art. 12der Richtlinie 2006/126/EG ist zu entnehmen, welcher Ort für den ‑ nicht ungewöhnlichen ‑ Fall, dass der betreffende Führerscheinwerber oder ‑besitzer nicht nur zu einem Ort persönliche Beziehungen hat, als der ordentliche Wohnsitz anzusehen sei, der den Anknüpfungspunkt für die Erteilung einer Lenkberechtigung gemäß § 5 Abs. 1 Z 1 FSG und für die Entziehung nach § 30 Abs. 2 FSG bildet.

22 Hat der betroffene Führerscheinbesitzer persönliche Beziehungen zu mehreren Wohnorten in unterschiedlichen Staaten, ist daher ‑ um dem in § 5 Abs. 1 Z 1 FSG ausgedrückten Erfordernis der Bestimmung des Wohnsitzes im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG , dem „ordentlichen Wohnsitz“, Genüge zu tun ‑ derjenige Ort für die Bestimmung des Wohnsitzes im Sinne des § 5 Abs. 2 FSG als maßgeblich anzusehen, zu welchem die betreffende Person die überwiegenden persönlichen Beziehungen hat. Für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Mitgliedsstaat) der konkrete Führerscheinbesitzer die maßgeblichepersönliche Bindung hat, ist somit auf das Gesamtbild der persönlichen Lebensumstände abzustellen, wobei das Überwiegen der persönlichen Beziehungen zum einen oder anderen Wohnort den Ausschlag gibt.

23 Unter persönlichen Beziehungen sind in diesem Kontext all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er auch wohnt. Demzufolge sind in einem solchen Fall die Lebensumstände im Sinne eines beweglichen Systems einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen und die für die Annahme einer persönlichen Bindung sprechenden Kriterien zu berücksichtigen, wobei es sich dabei jeweils um eine im Einzelfall vorzunehmende Beurteilung der die Person betreffenden individuellen Umstände handelt.

24 4.6 Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage ergibt sich für den vorliegenden Revisionsfall Folgendes: Das Verwaltungsgericht hat sich ausgehend von den getroffenen Feststellungen mit den Besonderheiten der Situation des Revisionswerbers ‑ seinen beiden Wohnorten sowie der Gestaltung seines Familienlebens an diesen ‑ auseinandergesetzt und istzum Ergebnis gekommen, dass die persönliche Bindung des Revisionswerbers ‑ im Sinne des Überwiegens der persönlichen Beziehungen ‑ zum maßgeblichen Zeitpunkt in Österreich (Wien) lag. Dabei hat es sich insbesondere auf Überlegungen zum Familienleben gestützt und den Aufenthalt der Ehefrau und der beiden gemeinsamen Kinder in Wien gewürdigt. Angesichts der vom Verwaltungsgericht angestellten Überlegungen ist der geforderten Gesamtbetrachtung Genüge getan und das vom Verwaltungsgericht erzielte Ergebnis, der Revisionswerber habe seinen Wohnsitz im Sinne des § 5 Abs. 2 FSG in Österreich, insbesondere wegen der Ansicht, dass die stärkste persönliche Beziehung im Regelfall zu dem Ort besteht, an dem jemand mit seiner Familie lebt und an dem er regelmäßig zurückkehrt, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

25 4.7 Insofern die Revision darauf verweist, der Revisionswerber sei nur für einen von vornherein bestimmten Zeitraum von vier Jahren nach Österreich entsendet worden, um nach Ablauf dieser Zeit wieder an den Firmensitz in Deutschland zu wechseln, handelt es sich um eine Tatsachenneuerung, die gemäß § 41 VwGG im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden kann, sodass die Rechtserheblichkeit dieses Vorbringens nicht zu erörtern ist. Dasselbe gilt für das dortige Vorbringen, der Revisionswerber werde Ende Juni 2018 mit seiner gesamten Familie nach Hamburg übersiedeln.

26 Im Beschwerdeverfahren brachte der Revisionswerber nur vor, er werde im Jahr 2017 ins Ausland versetzt werden und dann ‑ ähnlich wie in den Jahren 2015/16 keine 185 Tage in Österreich aufhältig sein. Dass sich der Revisionswerber in den Jahren 2015 und 2016 nicht mehr als 185 Tage in Österreich aufgehalten habe, hat das Verwaltungsgericht ohnehin festgestellt und der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt. Dass dies für das Jahr 2017 ebenso zutreffen würde, ändert nichts an der rechtlichen Beurteilung betreffend die fallbezogen ausschlaggebende persönliche Bindung. Dass der Revisionswerber regelmäßig nach Österreich zurückkehrt, stellt auch die Revision nicht in Abrede, sodass es auf § 5 Abs. 2 dritter Satz FSG nicht ankommt.

27 Die Relevanz der unterlassenen Würdigung der Beilage ./15 ist schon deshalb nicht ersichtlich, da mit dieser lediglich die „voraussichtliche“ betriebsinterne Versetzung „in ein anderes Land“ bestätigt wird, was für die Beurteilung der persönlichen Bindung vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhalts irrelevant ist.

28 Die Revision war daher als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 6. Juli 2020

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