VwGH Ra 2019/21/0017

VwGHRa 2019/21/00177.3.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Ö A in W, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. September 2018, Zl. L524 2205063-1/2E, betreffend Aufenthaltsverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §18 Abs3
B-VG Art133 Abs1 Z1
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §67 Abs3
FrPolG 2005 §70 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210017.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Gegen den Revisionswerber, einen türkischen Staatsangehörigen, der ab 1. Jänner 1997 über Aufenthaltsbewilligungen für Österreich (zuletzt über einen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt - EG) verfügt hatte, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 31. Juli 2018 gemäß § 67 Abs. 1 und 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt. Einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 14. September 2018 als unbegründet ab. Den in der Beschwerde gestellten Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung wies es gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG als unzulässig zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 Dem Aufenthaltsverbot legte das BVwG zu Grunde, dass der Revisionswerber Mitglied der türkischen Vereinigung DHKP-C, die in der Liste der terroristischen Vereinigungen des Rates der Europäischen Union stehe, gewesen sei. Bereits während seiner Schulzeit, spätestens seit dem Jahr 1996, habe er erste Kontakte zu revolutionären Gruppierungen in der Türkei und seit seiner Übersiedelung nach Österreich im März 1997 Kontakte mit der DHKP-C unterhalten. In der ersten Zeit habe er nur einfache Aufgaben ausgeführt, spätestens ab Februar 2000 sei er jedoch fest in die DHKP-C integriert gewesen und habe sich bis zu seiner Festnahme (im Juli 2013) ununterbrochen für die Organisation eingesetzt. Insbesondere sei er an der Beschaffung von Geldern zur Finanzierung des "bewaffneten Kampfes" beteiligt gewesen und habe die Aufgabe übernommen, als Fahrer eines Fahrzeuges Waffen in die Türkei zu bringen. Später habe er Funktionen in Deutschland ausgeübt, sei jedoch weiterhin in die Parteiarbeit in Österreich eingebunden oder zumindest darüber informiert gewesen.

Spätestens ab dem Jahr 2007 sei er auch in Deutschland für die DHKP-C tätig gewesen. Dabei sei ihm, gemeinsam mit anderen Funktionären, die Verantwortlichkeit für die "Jugendarbeit" in Köln hinsichtlich der Vorbereitung und Durchführung von Schulungscamps oblegen. Vorübergehend sei er für das Gebiet Duisburg und ab Mitte 2008 für das Gebiet Stuttgart verantwortlich gewesen. Seine hauptsächlichen Tätigkeitsfelder hätten wiederum die Gewinnung von Finanzmitteln für den "bewaffneten Kampf" umfasst, wobei er sich - nach Maßgabe der Partei - möglichst unauffällig zu verhalten gehabt habe. Er sei Ansprechpartner für die Deutschland-Verantwortlichen gewesen, habe die Lieferung, Abholung und Verteilung der Parteizeitschrift überwacht und sei allgemein für finanzielle Fragen zuständig gewesen, weiters für die Vorbereitung von kommerziellen und Schulungsveranstaltungen. Ab dem Jahr 2012 sei sein örtlicher Wirkungsbereich auf den gesamten süddeutschen Raum, Hessen und Österreich erweitert worden. Auch nach der erwähnten Festnahme (im Juli 2013) sei er noch für die genannte Organisation tätig gewesen. Er sei über Propagandaveranstaltungen der DHKP-C informiert worden und brieflich in Kontakt mit Mitgliedern der DHKP-C geblieben. Die gesamte Tätigkeit des Revisionswerbers sei bewusst und willentlich dem Ziel gewidmet gewesen, den Vorgaben der Partei zu entsprechen und durch seinen Einsatz die Organisation zu stärken.

4 Infolge dieser Straftaten sei über den Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Oberlandesgerichtes Stuttgart vom 28. Juli 2015 wegen der §§ 129b Abs. 1 und 129a Abs. 1 des Deutschen StGB eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verhängt worden, die er zwischen 16. Juli 2013 und 26. April 2018 in Deutschland (unter Anrechnung der in Österreich vollzogenen Auslieferungshaft) verbüßt habe.

5 Der Revisionswerber sei langjährig Führungsfunktionär einer terroristischen Vereinigung in gehobener Position gewesen. Seine Taten stünden - nach österreichischem Recht - dem Verbrechen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation nach § 278b Abs. 2 StGB gleich. Es bestünden keine Bedenken, die dargestellte ausländische Verurteilung einer inländischen iSd § 73 StGB gleichzuhalten. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 FPG - selbst am Maßstab des 5. Satzes dieser Bestimmung - seien nach Art und Schwere der verwirklichten Straftaten und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes des Revisionswerbers infolge der massiven Gefährdung des Grundinteresses der öffentlichen Sicherheit verwirklicht.

Dabei sei weiters zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber nie Einsicht in das Unrecht seiner Taten oder Reue gezeigt, sondern vielmehr nur versucht habe, seine Bedeutung innerhalb der genannten terroristischen Vereinigung herunterzuspielen.

6 In der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG verwies das BVwG darauf, dass der unverheiratete und kinderlose Revisionswerber zu seiner in Deutschland aufhältigen Verlobten keine aufrechten Kontakte unterhalte. Er lebe seit seiner Haftentlassung im April 2018 im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern, die türkische Staatsangehörige seien. Auch eine Schwester befinde sich in Österreich. Der Revisionswerber habe sich mit Unterbrechungen (vor allem der erwähnten, in Deutschland verbüßten Strafhaft) seit 1997 in Österreich befunden. Zwischen 2002 und 2010 sei er nur rund vier Jahre lang berufstätig gewesen und habe darüber hinaus Arbeitslosenunterstützung sowie Notstandshilfe bezogen. Erst seit Juni 2018 sei er wieder (als Eisenbieger) berufstätig. Er habe österreichische Freunde und Bekannte und spreche Deutsch.

Allerdings habe er die ersten 16 Lebensjahre in der Türkei verbracht, dort seine Sozialisierung erfahren und beherrsche die türkische Sprache. In der Türkei lebten zwei Schwestern des Revisionswerbers. Unüberwindbare Hürden im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat seien nicht erkennbar. Mögliche Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung im Heimatstaat seien im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Sozialkontakte nach Österreich könnten mittels moderner Kommunikationsmittel oder durch Besuche (seiner Angehörigen) in der Türkei aufrechterhalten werden.

7 Infolge der schwerwiegenden, vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen sei seine sofortige Ausreise iSd § 70 Abs. 3 FPG erforderlich. Im Übrigen sei ein (zusätzlicher) Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung nach § 18 Abs. 5 BFA-VG unzulässig (unter Hinweis auf VwGH 13.9.2016, Fr 2016/01/0014).

8 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG habe infolge Vorliegens eines geklärten Sachverhaltes abgesehen werden können.

9 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete Revision erweist sich als unzulässig:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11 Insoweit macht der Revisionswerber in der nach Ablehnung der Behandlung seiner an den Verfassungsgerichtshof erhobenen und von diesem an den Verwaltungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde (VfGH 26.11.2018, E 4269/2018) ausgeführten gegenständlichen außerordentlichen Revision geltend, das BVwG habe keine ausreichenden Feststellungen zu den von ihm begangenen Straftaten getroffen, sich mit seinem Persönlichkeitsbild nur unzureichend auseinandergesetzt und folglich eine unzutreffende Prognoseentscheidung getroffen. Insgesamt sei das Vorliegen einer Gefährdung im Sinne des im vorliegenden Fall heranzuziehenden Maßstabs nach dem 5. Satz des § 67 Abs. 1 FPG zu verneinen.

12 Dazu genügt es, den Revisionswerber auf die wiedergegebenen, vom BVwG getroffenen Sachverhaltsfeststellungen zu verweisen, die eine für die rechtliche Beurteilung des Falles ausreichende Grundlage bieten. Auf dieser Basis wurden auch die Voraussetzungen des - vom BVwG und vom Revisionswerber zugrundegelegten (ob dies uneingeschränkt zutrifft, braucht hier nicht geklärt zu werden) - § 67 Abs. 1 FPG, und zwar selbst nach dessen 5. Satz, im Ergebnis jedenfalls (s. Rn. 14) vertretbar bejaht (vgl. etwa VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066, Rn. 17 bis 19, betreffend eine rezent verbüßte dreijährige Freiheitsstrafe).

13 Den weiteren Ausführungen in der Revision zur Lebenssituation des Revisionswerbers und seinem Verhalten in Österreich ist zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die - damit inhaltlich angesprochene -

einzelfallbezogene Beurteilung betreffend die Gefährdungsprognose und die Interessenabwägung bei einem Aufenthaltsverbot dann nicht revisibel ist, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0044, Rn. 5, mwN).

14 Unter Berücksichtigung der jahrelangen Fortsetzung eines gravierenden, mit Auswirkungen für Deutschland und Österreich begangenen Verbrechens sowie der nicht ausgeprägten beruflichen und sozialen Integration des unverheirateten und kinderlosen Revisionswerbers ist die Vertretbarkeit der Beurteilung in Bezug auf die Gefährdungsprognose (s. schon Rn. 12), aber auch in Bezug auf die Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG - entgegen der Meinung in der Revision - jedenfalls zu bejahen.

15 Insoweit liegt sogar ein eindeutiger Fall vor, der es dem BVwG - entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht - erlaubte, von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber abzusehen (vgl. dazu etwa VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0044, Rn. 6, sowie VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066, Rn. 18 und 19, jeweils mwN).

16 Weiters verweist der Revisionswerber auf sein im Verfahren vor dem BVwG erstattetes Vorbringen betreffend ihm im Fall einer Rückkehr in die Türkei dort drohender Rechtsverletzungen iSd Art. 2 und 3 EMRK und wirft dem BVwG insoweit unterlassene Ermittlungen vor.

17 Dem ist zu entgegnen, dass über die genannten Themen im Verfahren über den (vom Revisionswerber nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses am 27. September 2018 gestellten) Antrag auf internationalen Schutz abzusprechen ist. Bis zur Entscheidung hierüber ist das Aufenthaltsverbot infolge des dem Revisionswerber (nach dem Vorbringen in der Revision) zukommenden faktischen Abschiebeschutzes einem Vollzug vorläufig ohnehin nicht zugänglich (vgl. dazu etwa VwGH 16.5.2013, 2012/21/0218).

18 Soweit der Revisionswerber die Zurückweisung seines Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG anspricht, ist ihm zu entgegnen, dass bereits mit der Entscheidung des BVwG, also schon bei Einbringung der vorliegenden Revision, das Rechtsschutzinteresse gefehlt hat (vgl. dazu etwa VwGH 25.2.2016, Ra 2016/21/0021, mwN).

19 Insgesamt wird in der Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht dargelegt, sodass sie sich als unzulässig erweist. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 7. März 2019

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