Normen
32003R0343 Dublin-II Art19 Abs4;
32003R0343 Dublin-II Art20 Abs2;
32003R0343 Dublin-II Art3 Abs1;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §5;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
32003R0343 Dublin-II Art19 Abs4;
32003R0343 Dublin-II Art20 Abs2;
32003R0343 Dublin-II Art3 Abs1;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §5;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger. Gemäß seinen Angaben gelangte er am 23. April 2010 nach Österreich, wo er noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dieser Antrag wurde mit im Juli 2010 erlassenen Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen, weil Griechenland zur Behandlung des Antrags zuständig sei. Außerdem wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nach Griechenland ausgewiesen. Dieser Bescheid blieb unbekämpft und erwuchs am 5. August 2010 in Rechtskraft.
Der Beschwerdeführer wurde straffällig. Er befand sich deshalb - nachdem er bereits davor eine (kurzfristige) Freiheitsstrafe verbüßt hatte - ab 7. September 2010 in Haft und wurde mit Bescheid vom 9. Oktober 2010 mit einem zehnjährigen Aufenthaltsverbot belegt. Auch dieser Bescheid erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Aus der letztgenannten Haft wurde der Beschwerdeführer am 6. Mai 2011 bedingt entlassen. Im Anschluss daran wurde er zur Sicherung seiner Abschiebung nach Griechenland in Schubhaft genommen, nach Mitteilung des BMI, dass Überstellungen nach Griechenland auf Grund der Judikatur des EGMR derzeit grundsätzlich nicht durchgeführt werden könnten, jedoch am 10. Mai 2011 wieder enthaftet.
Bereits am 17. Juni 2011 erfolgte eine neuerliche Festnahme des Beschwerdeführers, und zwar wegen des Verdachtes der Begehung einer strafbaren Handlung. Seitens des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde er dann zu einer (neuerlichen) Freiheitsstrafe verurteilt, die er ab 16. August 2011 in der Justizanstalt Ried im Innkreis verbüßte.
Der zu diesem Zeitpunkt nach wie vor in Strafhaft befindliche Beschwerdeführer wurde am 16. März 2012 von der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis (im Folgenden: BH) niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde ihm zur Kenntnis gebracht, dass die genannte Bezirkshauptmannschaft beabsichtige, ihn mit Beendigung der Strafhaft in Schubhaft zu nehmen, um seine Abschiebung "in den Herkunftsstaat nach Nigeria" zu sichern. Es sei beabsichtigt, für ihn ein nigerianisches Heimreisezertifikat einzuholen. Eine Überstellung nach Griechenland komme (hingegen) nicht in Betracht. (Diesbezüglich war der BH bereits im Oktober 2011 seitens des Bundesasylamtes mitgeteilt worden, dass die Frist zur "Dublin-Überstellung" nach Griechenland endgültig mit 1. Jänner 2012 ablaufe; dieser Fristenlauf habe aber für die weitere fremdenpolizeiliche Vorgangsweise keine praktische Relevanz, da zur Zeit wegen der Verhältnisse in Griechenland keinerlei "Dublin-Überstellungen" durchgeführt würden.)
Gemäß der in der Niederschrift vom 16. März 2012 erfolgten Ankündigung verhängte die BH mit Bescheid vom 14. Mai 2012 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG zur Sicherung seiner Abschiebung die Schubhaft, wobei ergänzend ausgesprochen wurde, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung aus der Gerichtshaft eintreten. (Auch) in diesem Bescheid hielt die BH fest, den Beschwerdeführer nach Nigeria abschieben zu wollen. Dieser habe keinen weiteren Asylantrag gestellt und es hätten sich keine konkreten stichhaltigen Gründe für die Unzulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria ergeben.
Gemäß dem eben dargestellten Schubhaftbescheid wurde der Beschwerdeführer nach Entlassung aus der gerichtlichen Strafhaft am 18. Juni 2012 in Schubhaft genommen. Am selben Tag stellte die nigerianische Botschaft für ihn ein Heimreisezertifikat aus.
Die BH leitete in der Folge die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Wege. Diese sollte am 9. Juli 2012 stattfinden, scheiterte aber letztlich am Widerstand des Beschwerdeführers.
Am 14. Juli 2012 stellte der Beschwerdeführer daraufhin einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Das Verfahren wurde am 27. Juli 2012 zugelassen, woraufhin der Beschwerdeführer noch am selben Tag aus der Schubhaft entlassen wurde.
Mittlerweile hatte der Beschwerdeführer Schubhaftbeschwerde erhoben. In dieser war u.a. geltend gemacht worden, dass das Bundesasylamt entsprechend der Dublin II-VO wegen Verstreichens der Überstellungsfrist nach Griechenland von Amts wegen inhaltlich in sein Asylverfahren hätte einsteigen müssen.
Mit Bescheid vom 21. August 2012 wies der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangte Behörde) die Beschwerde als unbegründet ab. Die belangte Behörde führte u. a. aus, dass der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz rechtskräftig zurückgewiesen und mit einer Ausweisung nach Griechenland verbunden worden sei. Dieser Bescheid sei durch die "Nichtvornahme der Abschiebung" (gemeint: nach Griechenland) nicht beseitigt worden. Das "erste" Asylverfahren des Beschwerdeführers sei daher weiterhin als rechtskräftig abgeschlossen anzusehen, weshalb ihm zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung nicht die Stellung eines Asylwerbers zugekommen sei; auf ihn hätten die Bestimmungen des FPG demnach uneingeschränkt Anwendung gefunden.
Die BH habe - so die belangte Behörde weiter - den Beschwerdeführer am 16. März 2012 damit konfrontiert, dass eine Abschiebung nach Griechenland nicht vorgenommen werde, eine inhaltliche Prüfung des Asylverfahrens nicht stattgefunden habe, das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei und die Schubhaftverhängung zur Sicherung der Abschiebung nach Nigeria geplant sei. Dagegen habe der Beschwerdeführer zwar vorgebracht, dass er sich gegen die Abschiebung nach Nigeria ausspreche, im Ermittlungsverfahren seien aber keine Gründe hervorgekommen, die seine Abschiebung in den Herkunftsstaat verbieten würden. Die BH habe somit zu Recht die Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers (gemeint: nach Nigeria) betrieben. Sie habe alle Schritte gesetzt, um den Beschwerdeführer unmittelbar nach dem Ende der Strafhaft in seinen Herkunftsstaat abschieben zu können. Dieser habe versucht, die diesbezüglichen Bemühungen zu unterlaufen und die Beschaffung eines Heimreisezertifikates zu verzögern. Trotzdem sei es gelungen, zeitnah nach der Entlassung aus der Strafhaft die erforderlichen Dokumente zu erhalten. Dass der erste Abschiebetermin nicht habe eingehalten werden können, sei ausschließlich dem Verhalten des Beschwerdeführers zuzurechnen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
Ab Oktober 2011 (Kontaktaufnahme mit dem Bundesasylamt) war für die Schubhaft verhängende BH klar, dass der Beschwerdeführer nicht nach Griechenland, den Zielstaat der seinerzeitigen asylrechtlichen Ausweisung, überstellt werden könne. Abschiebevorkehrungen in Bezug auf Griechenland unternahm die BH daher von vornherein nicht. Demgegenüber fasste sie eine Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Nigeria ins Auge, was sie ihm schon bei der niederschriftlichen Einvernahme vom 16. März 2012 zur Kenntnis brachte und worauf auch der später ergangene Schubhaftbescheid vom 14. Mai 2012 basiert. Der dann letztlich gescheiterte Abschiebeversuch vom 9. Juli 2012 zielte demgemäß darauf ab, den Beschwerdeführer nach Nigeria zu verbringen.
Für eine Abschiebung nach Nigeria hätte grundsätzlich das Aufenthaltsverbot aus dem Oktober 2010 eine Grundlage bieten können. Einer Abschiebung nach Nigeria stand aber entgegen, dass der seinerzeitige, vom Beschwerdeführer im April 2010 in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz noch keine meritorische Prüfung gefunden hatte. Auf eine derartige Prüfung hatte der Beschwerdeführer aber Anspruch. Das ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 der Dublin II-VO, die wie folgt lautet:
"Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird."
Zwar war (zunächst) Griechenland für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers zuständig, weshalb dieser ursprünglich mit Bescheid des Bundesasylamtes aus dem Juli 2010 nach Griechenland ausgewiesen wurde. Für die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat sieht Art. 19 Abs. 4 der Dublin II-VO (ähnlich Art. 20 Abs. 2 im Fall von Wiederaufnahmen) allerdings Folgendes vor:
"Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung auf Grund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist."
Österreich hat die genannten Fristen unstrittig versäumt, weshalb der Beschwerdeführer nicht mehr nach Griechenland überstellt werden durfte und Österreich zur Prüfung seines hier gestellten Asylantrages zuständig geworden ist; die in Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO zum Ausdruck gebrachte unionsrechtliche Verpflichtung, "den Antrag" zu prüfen, war auf Österreich übergegangen, das nunmehr die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers abzuschließen hatte (zum subjektiven Recht eines Drittstaatsangehörigen, dass ein Mitgliedstaat sein Asylverfahren durchführt, vgl. auch näher das hg. Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0128, mit Hinweisen auf die Literatur).
Wie der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/21/0509, ausgesprochen hat, ist dem dargestellten Zuständigkeitsübergang bzw. der entstandenen Prüfpflicht Österreichs dadurch Rechnung zu tragen, dass die ursprüngliche (nicht fristgerecht umgesetzte) Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz nach § 5 AsylG 2005 von den Asylbehörden wieder aufzuheben ist. Diese Aufhebung ist unverzüglich nach fruchtlosem Ablauf der jeweiligen Überstellungsfrist, auch von Amts wegen, vorzunehmen (vgl. Punkt 4.2. der Entscheidungsgründe; im vorliegenden Fall erfolgte die gebotene Aufhebung erst mit Bescheid vom 7. August 2012). Das steht regelmäßig, auch wenn eine solche Aufhebung noch nicht erfolgt ist, der Schubhaftnahme eines Fremden nach § 76 Abs. 1 FPG zur Sicherung seiner Abschiebung - zumal im Sinn des oben Gesagten offen bliebe, in welchen Staat eine solche Abschiebung aktuell erfolgen könne - entgegen (vgl.in diesem Sinn im Ergebnis Punkt 6.1. der Entscheidungsgründe). Das hätte jedenfalls vor dem Hintergrund der vom Verwaltungsgerichtshof bereits mit dem genannten Erkenntnis klargestellten Rechtslage im vorliegenden Fall schon die BH beachten müssen, weshalb sich ihr Schubhaftbescheid vom 14. Mai 2012 als rechtswidrig erweist.
Davon ausgehend wäre der dann erhobenen Schubhaftbeschwerde aber Folge zu geben gewesen, weshalb der sie abweisende bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Soweit das Kostenbegehren des Beschwerdeführers über den nach der genannten Verordnung zu ersetzenden Pauschalbetrag hinausgeht, war es abzuweisen.
Wien, am 16. Mai 2013
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