Normen
MRK Art6
VOG 1972 §2 Z1
VwGVG 2014 §24
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019110084.L01
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Beschwerde betreffend Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
Begründend führte es dazu im Wesentlichen aus, der Revisionswerber benötige keine Verfahrenshilfe, da er "über entsprechende Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden" verfüge. Aus der Formulierung seiner bisherigen Eingaben komme hervor, dass er seine Rechte selbst wahrnehmen könne. Dies habe er "durch seinen eigenständig eingebrachten Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz unter Beweis" gestellt. Überdies sei der Antrag verspätet: Der anzufechtende Bescheid sei am 10. Jänner 2019 zugestellt worden. Der am 21. Februar 2019 und somit am letzten Tag der Beschwerdefrist zur Post gegebene Verfahrenshilfeantrag stelle sich "dahingehend als verspätet dar, als auch bei Bewilligung desselben die Beschwerde nicht innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist eingebracht hätte werden können".
2 In der Zulässigkeitsbegründung der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision wird zusammengefasst vorgebracht, es fehle einerseits hg. Judikatur zum gegenständlich relevanten § 8a Abs. 7 VwGVG, und der angefochtene Beschluss weiche andererseits von jener Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum regelungsidenten und bis 2013 in Geltung gestandenen § 51 Abs. 5 VStG ab, nach der die Rechtsmittelfrist mit der Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag neu zu laufen beginnt (Hinweis auf VwGH 3.7.2007, 2007/05/0029; 21.4.1994, 93/09/0268). Auch fehle Rechtsprechung zur Frage, ob § 8a Abs. 1 VwGVG die Zulässigkeit eines Verfahrenshilfeantrags mit dem Ablauf der Beschwerdefrist befriste.
3 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie sich der Ansicht des Verwaltungsgerichts, der Revisionswerber benötige keine Verfahrenshilfe, da er "über entsprechende Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden" verfüge, anschloss.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Diesem Erfordernis wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. etwa die Beschlüsse VwGH 23.3.2017, Ra 2017/11/0014, und VwGH 1.9.2017, Ra 2017/11/0225, jeweils mwN). Das oben wiedergegebene Vorbringen der Revision zur Zulässigkeit zeigt nicht auf, dass die Behandlung der Revision von der Beantwortung einer Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt:
5 § 8a VwGVG lautet auszugsweise:
"Verfahrenshilfe
§ 8a. (1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.
...
(7) Hat die Partei innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie die Beschwerdefrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss über die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid diesem zugestellt sind. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag abgewiesen, so beginnt die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei zu laufen. Entsprechendes gilt für die Fristen, die sich auf die sonstigen in Abs. 2 genannten Anträge beziehen.
..."
6 Zu den Voraussetzungen des § 8a Abs. 1 VwGVG ist zunächst auf das Erkenntnis vom 27. April 2015, Ra 2015/11/0004, hinzuweisen, in dem der Verwaltungsgerichtshof klargestellt hat, dass es sich beim Ersatz des Verdienstentgangs nach dem VOG um ein "civil right" im Sinne des Art. 6 EMRK handelt, "weil es um ein wirtschaftlich signifikantes Recht geht, das in die Existenzgrundlage (des Antragstellers) eingreift (vgl. EGMR 24.6.1993, Schuler-Zgraggen v. Switzerland, Application no. 14518/89)". Da das VOG - abgesehen von der in § 11 Abs. 2 VOG geregelten Gebührenbefreiung in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof - keine eigenen der Verfahrenshilfe entsprechenden Regelungen enthält, fällt der Revisionsfall in den Anwendungsbereich des § 8a Abs. 1 VwGVG.
7 Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 2015, G 7/2015, mit dem der Ausschluss der Verfahrenshilfe in verwaltungsgerichtlichen Verfahren über "civil rights" als verfassungswidrig erklärt und § 40 VwGVG aufgehoben wurde, wurde § 8a VwGVG eingeführt. In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung (RV 1255 BlgNR, 25. GP , 2) heißt es:
"Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es nicht erforderlich, dass Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren ist. Vielmehr bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Prüfungsbeschluss, der zur Aufhebung des § 40 VwGVG führte, die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dahingehend zusammengefasst, dass der 'Zugang zu einem Gericht nicht bloß theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein müsse'; in jenen Fällen, in denen es 'unentbehrlich sei, dass der Partei eines Verfahrens ein unentgeltlicher Verfahrenshelfer beigestellt werde,' müsse ein solcher beigestellt werden. Für diese Beurteilung sind verschiedene Kriterien maßgeblich. Das sind zum einen Kriterien, die sich auf die Person der Parteien beziehen, nämlich ihre Vermögensverhältnisse oder ihre Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden; zum anderen auch Kriterien, die in Zusammenhang mit der Rechtssache stehen, nämlich die Erfolgsaussichten, die Komplexität des Falles oder die Bedeutung der Angelegenheit für die Parteien. Nicht maßgeblich ist, durch wen die anderen Parteien des Verfahrens vertreten sind".
8 Der Verwaltungsgerichtshof führte dazu in seinem Erkenntnis vom 11. September 2019, Ro 2018/08/0008, Folgendes aus:
"23 Zur Beurteilung, ob auf Grund des Art. 6 EMRK bzw. des Art. 47 GRC die Beigebung eines Rechtsanwaltes 'geboten ist', kommt es im Sinn der dargestellten Judikatur des EGMR und des EuGH darauf an, ob dies für den 'effektiven Zugang' der Partei zum Gericht unentbehrlich ist. Dies ist in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung jedenfalls dann zu verneinen, wenn die bereits genannten Voraussetzungen der Verfahrenshilfe nicht erfüllt sind, weil die Partei insbesondere die Kosten eines Rechtsanwaltes ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts bestreiten könnte oder die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung offenbar mutwillig oder aussichtslos ist. Sind diese Voraussetzungen aber erfüllt, ist maßgeblich, ob im Verfahren - insbesondere in Hinblick auf die Komplexität des Falles - Schwierigkeiten zu erwarten sind, die es der Partei verunmöglichen, ihre Interessen ohne Unterstützung eines Rechtsanwaltes wahrzunehmen. Dabei sind die persönlichen Umstände der Partei, wie ihr allgemeines Verständnis und ihre Fähigkeiten bzw. ihre Rechtskenntnisse zu berücksichtigen. Ergänzend ist in die Erwägungen auch die Bedeutung des Rechtsstreits für die Partei miteinzubeziehen.
24 ...
25 Hinsichtlich der Frage, wann in den Verfahren der Verwaltungsgerichte auf Grund der Schwierigkeiten des Falles die Beigebung eines Verfahrenshelfers erforderlich ist, ist die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem VwGVG zu berücksichtigen. Dazu hat bereits der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss darauf hingewiesen, dass durch die in § 9 VwGVG normierten Anforderungen an eine Beschwerde, die nach den Gesetzesmaterialien (AB 2112 BlgNR 24. GP , 7) so gestaltet worden sind, dass sie auch 'ein durchschnittlicher Bürger (...) ohne Unterstützung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter erfüllen kann', bzw. durch die im Verfahren der Verwaltungsgerichtsgerichte gemäß § 17 VwGVG iVm. § 13a AVG iVm. § 17 VwGVG anzuwendende Manuduktionspflicht für nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertretene Parteien dem rechtspolitischen Anliegen eines auch für unvertretene Parteien einfach handhabbaren Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten Rechnung getragen wurde.
26 ...
27 Vor diesem Hintergrund - der Manuduktionspflicht, der auch für nicht rechtskundige Bürger grundsätzlich zu bewältigenden Einhaltung der Formvorschriften und des Amtswegigkeitsprinzips - sowie der durch § 8a Abs. 1 VwGVG angeordneten ausdrücklichen Beschränkung der Gewährung der Verfahrenshilfe auf Fälle, in denen dies nach Art. 6 Abs. 1 EMRK oder Art. 47 GRC geboten ist, kommt der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer im Verfahren der Verwaltungsgerichte Ausnahmecharakter zu. Sie kann jedoch im Einzelfall im Sinn der dargestellten Kriterien erforderlich sein (vgl. zu einer solchen Fallkonstellation ... VwGH 3.9.2015, Ro 2015/21/0032). Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn schon die Formulierung einer Beschwerde bzw. eines Vorlageantrags, eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. die Erstattung weiteren Vorbringens im Verfahren - etwa aufgrund einer nach Lage des Falles bestehenden Pflicht der Parteien, an der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. zur Mitwirkungspflicht etwa VwGH 19.6.2018, Ra 2018/03/0021, mwN) - besondere Schwierigkeiten aufwerfen, die die Fähigkeiten der Partei nach ihren persönlichen Umständen überschreiten."
9 Abgesehen von seiner Annahme, die Beschwerde sei verspätet, ging das Verwaltungsgericht im Revisionsfall davon aus, dass eine der in den Erläuterungen zu § 8a VwGVG (und im zitierten hg. Erkenntnis) genannten Voraussetzungen - nämlich mangelnde Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden - nicht erfüllt sei. Dieser für sich tragenden Erwägung für die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags trat die Revision nicht entgegen. 10 Beruht ein angefochtenes Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung und wird im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, so ist die Revision unzulässig. Dies gilt selbst dann, wenn davon auszugehen wäre, dass die anderen Begründungsalternativen rechtlich unzutreffend sind (vgl. etwa VwGH 4.3.2019, Ra 2018/14/0358, mwN).
11 Die vorliegende Revision hängt von den in ihrer Zulässigkeitsbegründung geltend gemachten Rechtsfragen nicht ab, weil das Verwaltungsgericht die Nichtgewährung der Verfahrenshilfe nicht nur auf die Annahme der Verspätung des Verfahrenshilfeantrags gestützt hat. Gegen die Alternativbegründung, dass der Revisionswerber über entsprechende Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden verfüge und daher im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die Beigebung eines Rechtsanwalts nicht benötige, wird in der Revision nichts vorgebracht.
12 Die Revision war daher zurückzuweisen.
13 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 16. Dezember 2019
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