VwGH Ra 2018/08/0251

VwGHRa 2018/08/025125.2.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der

C GmbH in P, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Spittelwiese 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. Oktober 2018, Zl. L510 2005425- 1/2E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Gebietskrankenkasse; mitbeteiligte Parteien: 1. E I in L,

2. Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1201 Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §24 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018080251.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 22. August 2013 stellte die belangte Behörde fest, dass der Erstmitbeteiligte vom 1. Oktober 2007 bis 12. März 2011 auf Grund seiner für die revisionswerbende Partei in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit ausgeübten Tätigkeit des Reinigens von Lüftungsanlagen als Dienstnehmer gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG und § 1 Abs. 1 AlVG der Pflicht(Voll)- versicherung in der Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung unterlegen sei.

2 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde bestritt die revisionswerbende Partei das Vorliegen einer Beschäftigung des Erstmitbeteiligten in persönlicher Abhängigkeit. Sie untermauerte dies mit näher genannten Umständen, unter denen dieser seine Tätigkeit ausgeübt habe (freie Zeiteinteilung; Entgelt "nach Größe der Baustelle"; nur Kontrolle des Arbeitsergebnisses; Fehlen von Weisungen, usw.). Daraus würde sich ergeben, dass er auf selbständiger Basis gearbeitet habe.

3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die Feststellungen, auf Grund derer das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisse s in persönlicher Abhängigkeit iSd § 4 Abs. 2 ASVG bejahte, traf es ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf Grund des Inhaltes des Verwaltungsaktes. Es führte dazu aus, der maßgebliche Sachverhalt sei durch die Aktenlage hinreichend geklärt. In der Beschwerde seien keine noch zu klärenden Tatsachenfragen "in konkreter und substantiierter Weise" aufgeworfen worden. Es sei keine komplexe Rechtsfrage zu lösen gewesen. Dem Absehen von der Verhandlung stünden Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

4 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Zurückweisung bzw. die Abweisung der Revision beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die revisionswerbende Partei erblickt entgegen dem Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung insbesondere darin, dass es an ausreichender Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob eine mündliche Verhandlung unterbleiben und damit der Unmittelbarkeitsgrundsatz umgangen werden kann, wenn infolge der Änderung der Verwaltungsverfahrensgesetze mit 1. Jänner 2014 "der Einspruch in eine Beschwerde umgedeutet und dadurch die Beschwerdeführerin vom Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausgeschlossen wurde".

7 Die Revision ist zulässig und im Ergebnis auch begründet. 8 Gemäß § 24 VwGVG hat das Verwaltungsgericht (selbst bei anwaltlich vertretenen Parteien) auch ohne Antrag von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichtes steht. Dies ist nach der Rechtsprechung etwa dann anzunehmen, wenn die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde substantiiert bekämpft oder ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet wird (vgl. VwGH 20.5.2015, Ra 2015/20/0027, mwN; 6.9.2016, Ra 2015/09/0097).

9 Die revisionswerbende Partei hat ein konkretes Vorbringen über die vom Mitbeteiligten ausgeübte Tätigkeit erstattet. Sie ist der Auffassung, dass bei einer Gesamtabwägung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen (§ 4 Abs. 2 ASVG).

10 Es gibt im vorliegenden Fall, in dem es sich um die Geltendmachung von "civil rights" handelt, keinen Hinweis darauf, dass von vornherein angenommen werden könnte, die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung könnte nichts zur Klärung der Rechtssache beitragen, zumal es sich nicht bloß um eine Frage technischer Natur, sondern um die abwägende Beurteilung einer Tätigkeit im Hinblick auf das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung iSd § 4 Abs. 2 ASVG handelt. Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. einander widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (VwGH 14.10.2015, Ra 2015/08/0101; 17.3.2016, Ra 2016/08/0007).

11 Da die Verletzung der Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

12 Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 25. Februar 2019

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte