Normen
AVG §45 Abs2;
B-VG Art133 Abs6 Z2;
StVO 1960 §15 Abs4;
StVO 1960 §4 Abs1 lita;
StVO 1960 §4 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §47 Abs4;
VwGVG 2014 §17;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018020116.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte lenkte am 9. September 2016 um 18.15 Uhr einen dem Kennzeichen nach bezeichneten Omnibus auf einer näher genannten Stelle der Autobahn A 14 in Fahrtrichtung Deutschland auf dem rechten Fahrstreifen. Zur selben Zeit und an derselben Stelle lenkte Eugen T. seinen PKW auf dem linken Fahrstreifen ("Überholspur").
2 Mit Straferkenntnis vom 2. August 2017 legte die revisionswerbende Partei - soweit verfahrensgegenständlich von Relevanz - dem Mitbeteiligten als Lenker des Omnibusses unter Angabe von Tatzeit und Tatort Folgendes zur Last (Zitierung im Original):
"1. Sie sind als Lenker/in des angeführten Fahrzeuges mit
einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und
haben Ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten.
2. Sie sind mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in
ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt, obwohl Sie und die Person(en) in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihre Namen und Anschriften nicht nachgewiesen haben.
3. Sie haben beim Überholen eines Fahrzeuges keinen der
Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechenden seitlichen Abstand vom überholten Fahrzeug eingehalten, weil Sie das überholende Fahrzeug gestreift haben (...)"
3 Dadurch habe der Mitbeteiligte § 4 Abs. 1 lit. a, § 4 Abs. 5 sowie § 15 Abs. 4 StVO verletzt, weshalb die revisionswerbende Partei über ihn Geldstrafen in bestimmter Höhe bzw. Ersatzfreiheitsstrafen von bestimmter Dauer verhängte.
4 Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten führte das Verwaltungsgericht am 12. Dezember 2017 eine mündliche Verhandlung durch.
5 In dieser führte der Mitbeteiligte aus, er sei mit seinem Omnibus auf den A.-Tunnel zugefahren, wo ihn ein PKW habe überholen wollen. Beide Fahrzeuge hätten in der Folge jedoch abbremsen müssen. Der Mitbeteiligte sei der Auffassung, dass der PKW ihn gestreift hätte, sofern er wieder "eingeschert" wäre. Er habe nachträglich beim hinteren Radlauf des Omnibusses schwarze Striche und eine Beschädigung der Begrenzungsleuchte festgestellt. Diese Schäden seien ihm zunächst nicht aufgefallen. Der PKW müsse ihn aber gestreift haben. Die Fahrgäste hätten ihn darauf aufmerksam gemacht, weshalb er Nachschau gehalten habe. Er habe von den Streifen zwar Fotos gemacht, jedoch sei ihm das Handy, auf dem diese abgespeichert gewesen seien, gestohlen worden. Sein Chef habe ihm in der Folge mitgeteilt, dass sich der Geschädigte bereits gemeldet habe, aber nichts für den Schaden wolle.
6 Der als Zeuge vernommene Lenker des PKW Eugen T. gab an, er habe den PKW aufgrund der vor dem A.-Tunnel geltenden "100er-Beschränkung" abgebremst. Der Omnibus sei am PKW "vorbeigezogen", habe diesen abgedrängt und gestreift. Dadurch seien der Spiegel und die Beifahrerseite des PKW beschädigt worden. Die Streifen hätten sich von hinten nach vorne gezogen. Von diesen habe die Polizei Fotos angefertigt. Der Spiegel sei komplett weg gewesen. Der Omnibus müsse mutmaßlich auf der Fahrerseite beschädigt worden sein, er wisse aber nicht, wo genau, weil er den Schaden nicht gesehen habe.
7 Die als Zeugin einvernommene Beifahrerin des PKW, Erna B., führte aus, Eugen T. habe aufgrund der "100er-Beschränkung" abgebremst. In diesem Moment sei der Omnibus an ihnen "vorbeigezogen". Es habe einen "Tschepperer" und einen "Rappler" gegeben und der Spiegel sei "davongeflogen". Der Bus habe den PKW am Spiegel und an der Seite vom hinteren "Radkasten" bis nach vorne gestreift.
8 Der ebenso geladene verkehrstechnische Sachverständige verwies zunächst auf seine dem Verwaltungsgericht erstattete Stellungnahme vom 14. November 2017, wonach der Mitbeteiligte trotz mehrmaliger Bitte dem Sachverständigen keine Lichtbilder vom beschädigten Omnibus übermittelt habe. Auch habe der Firmenchef keine Angaben machen können, ob bzw. in welcher Form sich Beschädigungen am Omnibus eingestellt hätten. Aufgrund dessen sei mit Sicherheit keine objektive Beurteilung möglich, ob die Beschädigung am Fahrzeug des Zeugen T. vom Fahrzeug des Mitbeteiligten verursacht worden sei. Über Frage der Verhandlungsleiterin, ob ausgehend von den Zeugenaussagen ein Schaden am PKW des Eugen T. möglich sei, gab der Sachverständige an, der Schaden sei nicht objektivierbar und könne nicht beurteilt werden.
9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. Februar 2018 gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, hob das Straferkenntnis der revisionswerbenden Partei im hier relevanten Umfang auf und stellte das Strafverfahren ein. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
10 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, es könne nicht festgestellt werden, ob der Mitbeteiligte zur genannten Tatzeit am genannten Tatort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass er dem PKW des Eugen T. "bis zur Streifung nahe gekommen" sei und den entsprechenden seitlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten habe.
11 Dazu hielt es beweiswürdigend fest, die Zeugen Eugen T. und Erna B. hätten im Zuge der mündlichen Verhandlung klar und widerspruchsfrei den Ablauf des Vorfalls am 9. September 2016 geschildert. Es lägen keine Gründe vor, die Angaben beider der Wahrheitspflicht unterliegenden Zeugen in Zweifel zu ziehen. Es folge jedoch den "schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen" des verkehrstechnischen Sachverständigen, weshalb die Negativfeststellungen zu treffen gewesen seien.
12 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben sowie den Mitbeteiligten zum Kostenersatz verpflichten.
13 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er unter anderem die kostenpflichtige Zurückbzw. Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichthof hat erwogen:
14 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen und sei damit von der hg. Rechtsprechung abgewichen. Sowohl die Zeugen als auch der Mitbeteiligte hätten im Zuge der mündlichen Verhandlung übereinstimmend ausgeführt, dass es im vorliegenden Fall zu einer Streifkollision gekommen sei bzw. dadurch ein Schaden an den Fahrzeugen entstanden sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Verwaltungsgericht die genannten Negativfeststellungen habe treffen können. Diese stützten sich allein auf das Gutachten des verkehrstechnischen Sachverständigen, der lediglich aufgrund der Tatsache, dass keine Lichtbilder vom Omnibus übermittelt worden seien, keine Angaben zu dem Schaden habe machen können. Die übereinstimmenden Aussagen der Zeugen sowie des Mitbeteiligten seien vollkommen "ignoriert" worden.
15 Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt. 16 Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen
Rechtsprechung zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in die Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen; das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0236, mwN).
17 Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht zunächst von der Richtigkeit der Aussage der Zeugen in der mündlichen Verhandlung, dass der vom Mitbeteiligten gelenkte Omnibus den PKW des Eugen T. gesteift hätte und dadurch ein Schaden am PKW entstanden sei, ausgegangen. Auch der Mitbeteiligte hat durch die -
vom Verwaltungsgericht nicht gewürdigte - Angabe, dass der PKW den Omnibus gestreift haben müsse, eine Kollision nicht ausgeschlossen. Bereits deshalb ist es nicht nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht eine Kollision der beiden Fahrzeuge nicht hat feststellen können. Diesen Schluss hat es aus den "schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen" des verkehrstechnischen Sachverständigen gezogen, der aber die von den Zeugen bereits bestätigte Kollision nicht in Frage gestellt hat, sondern - auf Grund der nicht erfolgten Übermittlung der Lichtbilder vom beschädigten Omnibus - bloß nicht in der Lage gewesen ist, den Eintritt eines damit zusammenhängenden Schadens zu objektivieren. Die Ausführungen des Sachverständigen vermögen daher die vom Verwaltungsgericht getroffenen Negativfeststellungen nicht zu tragen, weshalb sich die Beweiswürdigung des angefochtenen Erkenntnisses als unschlüssig erweist.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei in dem hier vorliegenden Fall einer Amtsrevision gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, weshalb der diesbezügliche Antrag abzuweisen war (VwGH 19.12.2018, Ra 2017/02/0272).
Wien, am 26. Februar 2019
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