VwGH Ra 2018/21/0115

VwGHRa 2018/21/011513.11.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des A S in W, vertreten durch Mag. Erhard Donhoffer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ungargasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Mai 2018, W184 2192761-1/4E, betreffend insbesondere Erlassung einer Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3;
AsylG 2005 §57;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210115.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger von Guinea-Bissau und reiste spätestens im September 2009 nach Österreich. Hier stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 2. Mai 2017 vollinhaltlich abgewiesen wurde; gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde allerdings "das Verfahren" zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

2 Die genannte Behörde sprach sodann mit Bescheid vom 12. März 2018 aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem erließ sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Guinea-Bissau zulässig sei und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. In dieser machte er insbesondere geltend, das BFA habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass er Vater eines am 31. Dezember 2014 geborenen österreichischen Kindes sei; zwar habe die Kindesmutter die alleinige Obsorge inne, doch stehe er mit dieser in täglichem Kontakt und kümmere sich "mehrmals wöchentlich" um seinen Sohn; eine Befragung der Kindesmutter hätte ergeben, dass der Revisionswerber einen wesentlichen Teil der Kindesaufsicht übernehme und seine regelmäßige Anwesenheit eine wichtige Rolle bei der "psychischen Kindesentwicklung" spiele.

4 Der Beschwerde angeschlossen war eine Bestätigung der Mutter des Sohnes des Revisionswerbers vom 9. April 2018, wonach der Revisionswerber "der regelmäßigen Aufsichtspflicht" für seinen Sohn nachkomme, er diesen dreimal wöchentlich vom Kindergarten abhole, was "sehr hilfreich ist, da ich bald wieder arbeiten gehen muss". Der Verlust dieser "Vater-Sohn-Zeit" wäre - so heißt es in der Bestätigung weiter - "ein immenser Einschnitt in die Psyche unseres gemeinsamen Kindes. Ich bitte Sie darum, diesen Faktor in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen".

5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 14. Mai 2018 wies das BVwG diese Beschwerde gemäß §§ 10, 57 AsylG 2005, §§ 52 und 55 FPG sowie § 9 BFA-VG - ohne die beantragte Beschwerdeverhandlung und ohne die beantragte Einvernahme der Mutter des Sohnes des Revisionswerbers durchgeführt zu haben - als unbegründet ab. Außerdem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Das BVwG stellte insbesondere fest, dass die österreichische Mutter des Sohnes des Revisionswerbers mit diesem Sohn sowie mit ihrem neuen Lebensgefährten (und einem gemeinsamen Kind aus dieser neuen Verbindung) zusammenlebe. Es bestehe kein gemeinsamer Wohnsitz mit dem Revisionswerber, aber dieser hole seinen Sohn dreimal in der Woche vom Kindergarten ab; am Unterhalt für das Kind beteilige er sich nicht. Eine Auswanderung des Sohnes und der Kindesmutter nach Guinea-Bissau sei "nur mit großen wirtschaftlichen und praktischen Schwierigkeiten möglich".

7 In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG insbesondere aus, dass die Rückkehrentscheidung die Trennung des Revisionswerbers von seinem dreijährigen Sohn zur Folge habe. Daher stelle sie einen Eingriff in das Familienleben des Revisionswerbers dar. Die Interessenabwägung nach den Gesichtspunkten des § 9 BFA-VG führe aber zu dem Ergebnis, dass die für die aufenthaltsbeendende Maßnahme sprechenden öffentlichen Interessen (Verhinderung von strafbaren Handlungen, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Asylwesens sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes) schwerer wögen als die persönlichen Interessen der Beteiligten. Denn der Revisionswerber habe den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht und sei erst im September 2009 illegal nach Österreich eingereist. Er habe seinen Aufenthalt nur auf das zeitweilige vorläufige Aufenthaltsrecht auf Grund seines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz - wobei das Verfahren mehrfach wegen unbekannten Aufenthaltes habe eingestellt werden müssen - stützen können. Das Familienleben sei zu einem Zeitpunkt begründet worden, zu dem den Beteiligten das fehlende Aufenthaltsrecht des Revisionswerbers in Österreich habe bewusst sein müssen. (Außerdem) bestehe kein gemeinsamer Wohnsitz des Revisionswerbers mit Kindesmutter oder Kind und er beteilige sich - wenngleich er seinen Sohn dreimal in der Woche vom Kindergarten abhole - nicht am Unterhalt für das Kind. Insgesamt sei die "Integrationssituation" des Revisionswerbers unzureichend, wobei das BVwG insbesondere auf das Fehlen einer Erwerbstätigkeit, den Bezug von Grundversorgung und auf zwei strafgerichtliche Verurteilungen wegen § 27 SMG (vom 8. Oktober 2010 zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten und vom 7. September 2011 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten) verwies.

 

8 Über die dagegen erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 In den Zulassungsausführungen der Revision wird u. a. geltend gemacht, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Dieser Rechtsprechung folgend hätte es nämlich nicht von der ausdrücklich beantragten Beschwerdeverhandlung absehen dürfen und das Kindeswohl "ordnungsgemäß" berücksichtigen müssen.

10 Damit ist der Revisionswerber im Ergebnis im Recht. 11 Zwar hat das BVwG zutreffend erkannt, dass im Hinblick auf

den dreijährigen österreichischen Sohn des Revisionswerbers eine Rückkehrentscheidung einen Eingriff in das Familienleben des Revisionswerbers darstelle. Es hat - durch Wiedergabe von Art. 24 GRC - auch zu erkennen gegeben, dass es bei seiner Entscheidung auf das Kindeswohl Bedacht zu nehmen habe. Dem hat es dann aber im Rahmen seiner Abwägung nicht ausreichend Rechnung getragen, wird dabei doch nur mehr (siehe oben Rn. 7) ausgeführt, es bestehe kein gemeinsamer Wohnsitz des Revisionswerbers mit Kindesmutter und Kind und der Revisionswerber, der seinen Sohn dreimal in der Woche vom Kindergarten abhole, beteilige sich nicht am Unterhalt für das Kind.

12 Mit diesen Ausführungen wird schon der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde und dem Inhalt der mit dieser Beschwerde vorgelegten Bestätigung der Kindesmutter (siehe dazu Rn. 3 und 4) nicht vollinhaltlich Rechnung getragen; darin war nämlich auch ausgeführt worden, dass der Revisionswerber "der regelmäßigen Aufsichtspflicht" für seinen Sohn nachkomme, dass er mit der Kindesmutter in täglichem Kontakt stehe und dass seine Anwesenheit für die psychische Entwicklung des Sohnes von großer Bedeutung sei.

13 Unabhängig davon hätte das BVwG aber - insbesondere durch Einvernahme des Revisionswerbers und der als Zeugin namhaft gemachten Kindesmutter im Rahmen der beantragten Beschwerdeverhandlung - ermitteln müssen, welche konkreten Auswirkungen eine Aufenthaltsbeendigung des Revisionswerbers auf die Beziehung zu seinem Sohn und auf dessen Wohl haben würde. Dass der Revisionswerber nicht obsorgeberechtigt ist und keinen Unterhalt leistet, spielt schon angesichts seiner auch vom BVwG zugestandenen regelmäßigen Kontakte mit dem Sohn nur eine untergeordnete Rolle (siehe in diesem Sinn insbesondere VfGH 12.10.2016, E 1349/2016, Punkt III.3. der Entscheidungsgründe).

14 Die - vom BVwG aber ohnehin nicht näher dargestellten - Straftaten des Revisionswerbers vermögen daran nichts zu ändern, zumal sie zumindest knapp sieben Jahre zurückliegen, der 1993 geborene Revisionswerber bei ihrer Begehung somit höchstens 18 Jahre alt war und selbst das BFA offenkundig keine daraus erwachsende gravierende Gefährlichkeit des Revisionswerbers ableitete, weil von der Verhängung eines Einreiseverbotes abgesehen worden war. Von daher kann aber auch nicht gesagt werden, es liege ein "eindeutiger Fall" vor, der ausnahmsweise nach § 21 Abs. 7 BFA-VG trotz Vorliegens eines darauf gerichteten Antrages das Absehen von der Durchführung einer Beschwerdeverhandlung erlaube (vgl. dazu grundlegend VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, Rn. 12 ff, und unter Bezugnahme darauf aus jüngerer Zeit etwa VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0200, Rn. 7).

15 Nach dem Gesagten ist das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

16 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. November 2018

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