VwGH Ra 2018/09/0068

VwGHRa 2018/09/006825.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr und die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 9. Februar 2018, E 018/01/2017.064/008, E 018/01/2017.065/008, betreffend Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Oberwart; mitbeteiligte Parteien: 1. E s.r.o. in B, 2. K N in K, beide vertreten durch Mag. Julia Eckhart, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Hofgasse 3), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art132 Abs2
GSpG 1989 §56a
GSpG 1989 §56a Abs1
GSpG 1989 §56a Abs2
GSpG 1989 §56a Abs3
VVG §10 Abs2
VVG §2
VVG §7
VwGG §42 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018090068.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Am 2. März 2017 wurde von der belangten Behörde in einem näher bezeichneten Lokal eine Kontrolle nach dem Glücksspielgesetz (GSpG) durchgeführt. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21. März 2017 wurde daraufhin gemäß § 56a Abs. 1 und 3 GSpG die gänzliche Schließung dieses Lokals verfügt und begründet, weshalb die Schließung des gesamten Lokals notwendig ist. Am 2. Juni 2017 fand neuerlich eine Kontrolle im betreffenden Lokal zum Zweck der Überprüfung der Einhaltung der Betriebsschließung statt. Im Zuge der Kontrolle wurden vier Versiegelungsplaketten an der Eingangstür angebracht.

2 Am 14. Juli 2017 erhoben die mitbeteiligten Parteien gegen diese Versiegelung des Lokals Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt beim Landesverwaltungsgericht Burgenland (LVwG).

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ‑ soweit im Revisionsfall von Relevanz ‑ der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien Folge gegeben, die Versiegelung für rechtswidrig erklärt und der Bund zum Aufwandersatz verpflichtet (Spruchpunkte I.1. und II.1.). Weiters erklärte das LVwG die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig (Spruchpunkt III.).

4 In der Begründung führte das LVwG zusammengefasst aus, dass die Versiegelung der einzigen Ein‑ und Ausgangstür rechtswidrig sei, weil § 56a GSpG eine solche Maßnahme, die im Ergebnis ein absolutes Betretungs‑ und Nutzungsverbot für alle Räume bewirke, nicht vorsehe.

5 Gegen die Spruchpunkte I.1. sowie II.1. dieser Entscheidung richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

6 Das Verwaltungsgericht legte die Verwaltungsakten vor. Die belangte Behörde und die erstmitbeteiligte Partei erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision erweist sich mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen zur Frage der Zulässigkeit einer als Folge einer Betriebsschließung vorgenommenen Versiegelung im Sinne des Erfordernisses einer Klarstellung der Rechtsprechung als zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

11 § 56a GSpG samt Überschrift lautet in der geltenden Fassung BGBl. I Nr. 118/2016:

„Betriebsschließung

§ 56a. (1) Besteht der begründete Verdacht, daß im Rahmen einer betrieblichen Tätigkeit Glücksspiele entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes veranstaltet oder durchgeführt werden, und ist mit Grund anzunehmen, daß eine Gefahr der Fortsetzung besteht, so kann die Behörde ohne vorausgegangenes Verfahren, aber nicht ohne vorher zur Einstellung der entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes veranstalteten oder durchgeführten Glücksspiele aufgefordert zu haben, an Ort und Stelle die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes verfügen. Von einer Betriebsschließung ist Abstand zu nehmen, wenn eine weitere Gefährdung der Interessen des Glücksspielmonopols durch andere geeignete Vorkehrungen, wie die Stillegung von Einrichtungen, Beschlagnahmen oder sonstige Maßnahmen, mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

(2) Bei der Erlassung einer Verfügung nach Abs. 1 sind bestehende Rechte soweit zu schonen, als dies ohne Gefährdung der Ziele dieses Bundesgesetzes möglich ist. Eine Verfügung nach Abs. 1 ist unverzüglich aufzuheben, wenn feststeht, daß der Grund für ihre Erlassung nicht mehr besteht.

(3) Über eine Verfügung nach Abs. 1 ist binnen eines Monats ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die Verfügung als aufgehoben gilt. Ein Bescheid gilt auch dann als erlassen, wenn eine Zustellung an den Verfügungsberechtigten an dessen Unternehmenssitz oder an der Betriebsstätte nicht möglich ist. Die Zustellung des Bescheides kann in einem solchen Fall durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen.

(4) In einem Bescheid nach Abs. 3 können auch andere nach Abs. 1 zulässige Maßnahmen angeordnet werden.

(5) Ordentlichen Rechtsmitteln gegen Bescheide über Verfügungen nach Abs. 1 kommt keine aufschiebende Wirkung zu.

(6) Die Bescheide gemäß Abs. 3 treten, wenn sie nicht kürzer befristet sind, mit Ablauf eines Jahres außer Wirksamkeit. Durch einen Wechsel in der Person des Inhabers der von den einstweiligen Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen betroffenen Anlagen, Anlagenteile oder Gegenstände wird die Wirksamkeit dieser Bescheide nicht berührt.

(7) Liegen die Voraussetzungen für die Erlassung eines Bescheides gemäß Abs. 3 nicht mehr vor und ist zu erwarten, dass in Hinkunft jene glücksspielrechtlichen Vorschriften, deren Nichteinhaltung für die Maßnahmen nach Abs. 3 bestimmend war, von der Person eingehalten werden, die die betriebliche Tätigkeit ausüben oder die Betriebsanlage betreiben will, so hat die Behörde auf Antrag dieser Person die mit Bescheid gemäß Abs. 3 getroffenen Maßnahmen ehestens zu widerrufen.“

12 Zur Zulässigkeit der Maßnahmenbeschwerde:

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass der Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dem Zweck dient, eine Lücke im Rechtsschutzsystem zu schließen. Es sollten mit dieser Beschwerde aber nicht Zweigleisigkeiten für die Verfolgung ein und desselben Rechtes geschaffen werden. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann daher nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein, wobei die Zulässigkeit dieser Beschwerde insbesondere auch nicht von der (allenfalls längeren) Dauer des sonst zur Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stehenden Verwaltungsverfahrens abhängt (vgl. VwGH 14.3.2018, Ra 2017/17/0937, und 22.11.2017, Ra 2017/19/0421).

14 So hat der Verwaltungsgerichtshof etwa zu einer im Zuge einer Kontrolle vorgenommenen Hausdurchsuchung festgehalten, dass sich die Subsidiarität einer Maßnahmenbeschwerde im Falle einer Betriebsschließung nicht auf jene Akte bezieht, welche durch den (später) erlassenen Betriebsschließungsbescheid keiner verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen werden (vgl. VwGH 14.3.2018, Ra 2017/17/0937).

15 Entgegen dem Vorbringen in der Revision kann kein Widerspruch zur Entscheidung des VwGH vom 14. März 2018, Ra 2017/17/0937, festgestellt werden. In dieser Entscheidung wird zwar festgehalten, dass eine Betriebsschließung nur so lange mit Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar ist, bis die Behörde einen Betriebsschließungsbescheid erlassen hat. Gleichzeitig wird aber (auch hier klärend) ausgesprochen, dass sich die Subsidiarität der Maßnahmenbeschwerde im Falle einer Betriebsschließung gerade nicht auf jene Akte beziehe, welche durch den später erlassenen Betriebsschließungsbescheid keiner verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen werden.

16 Bei der gegenständlichen Versiegelung handelt es sich gerade um eine solche (spätere) Maßnahme, die im Betriebsschließungsbescheid auch nicht als Vollstreckungsmittel angeführt und damit von ihm nicht umfasst ist, womit sie auch keiner verwaltungsgerichtlichen Kontrolle mehr unterworfen wäre. Es liegt somit eine Lücke im Rechtsschutzsystem vor. Zweck der Maßnahmenbeschwerde ist es gerade solche Lücken zu schließen, weshalb die Maßnahmenbeschwerde im gegenständlichen Fall als zulässig zu erachten ist.

17 Zur Rechtswidrigkeit der Versiegelung:

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat festgehalten, dass bei einer faktischen Betriebsschließung jedenfalls auch amtliche Siegel angebracht werden können (vgl. VwGH 24.4.2018, Ra 2017/17/0924). Insofern ist die Verwendung von Amtssiegeln bezüglich faktischer Betriebsschließungen vor Erlassung eines Betriebsschließungsbescheides von § 56a GSpG gedeckt.

19 Ab Erlassung des Betriebsschließungsbescheides liegt ein sofort vollstreckbarer Titel vor, der nach den Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes 1991 (VVG) zu vollstrecken ist. Bei Erlassung solcher Bescheide hat die Behörde auch im Einzelnen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (§ 56a Abs. 1 und 2 GSpG; § 2 VVG) zu prüfen (vgl. dazu VwGH 14.3.2018, Ra 2017/17/0937). Die Betriebsschließung darf nur als letztes Mittel angewendet werden (VwGH 24.4.2018, Ra 2017/17/0924).

20 Vollstreckungshandlungen, die auf Grund einer Vollstreckungsverfügung von Verwaltungsorganen gesetzt wurden, stellen keine Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar und können nicht mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht angefochten werden; dies gilt jedoch nicht, wenn sie ohne vorangegangene Vollstreckungsverfügung gesetzt werden oder über eine solche hinausgehen (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Das Verwaltungsverfahrensrecht, 10. Auflage 2014, Rz 1268, VwGH 20.9.1994, 94/04/0059). So hat der Verwaltungsgerichtshof auch bereits ausgesprochen, dass die Abnahme einer Kennzeichentafel als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt anzusehen war, da ihr keine entsprechende Vollstreckungsverfügung zugrunde lag (vgl. VwGH 16.1.1990, 89/11/0084).

21 Für die gegenständliche nachträgliche Versiegelung findet sich in § 56a GSpG aber keine Grundlage, da dieser nur einstweilige Zwangs- und Sicherungsmaßnahmen bis zur Erlassung eines Betriebsschließungsbescheides anordnet. Mangels Anführung als Vollstreckungsmittel im Titelbescheid ‑ auch eine gesonderte Vollstreckungsverfügung ist der Aktenlage nach nicht ersichtlich ‑ ist (wie hier) eine (gesonderte) Maßnahmenbeschwerde zulässig, weil nicht von vornherein klar ersichtlich ist, dass eine Versiegelung zur Umsetzung des Betriebsschließungsbescheides erforderlich, geeignet und verhältnismäßig war.

22 Insgesamt erweist sich die nachträgliche Versiegelung somit als rechtswidrig und die Entscheidung des LVwG als im Ergebnis zutreffend.

23 Aus diesen Erwägungen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 25. Oktober 2018

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