Normen
AVG §69
AVG §69 Abs2
AVG §69 Abs3
FrPolG 2005 §52 Abs5
NAG 2005
NAG 2005 §21a Abs1
NAG 2005 §28 Abs1
NAG 2005 §46 Abs1 Z2
NAG 2005 §47 Abs2
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017220173.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 27. Februar 2017, mit dem ‑ unter amtswegiger Wiederaufnahme der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren über den Erstantrag des Revisionswerbers vom 14. April 2015 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) sowie den Verlängerungsantrag vom 13. November 2015 jeweils nach § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG ‑ diese Anträge gemäß den §§ 70 Abs. 1 AVG, 47 Abs. 2 iVm. 21a Abs. 1 NAG sowie der weitere Verlängerungsantrag vom 22. November 2016 gemäß den §§ 47 Abs. 2 iVm. 21a Abs. 1 NAG abgewiesen worden waren, keine Folge.
Das Verwaltungsgericht begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Revisionswerber die Erteilung bzw. Verlängerung des Aufenthaltstitels durch Vorlage eines gefälschten A1 Zertifikats herbeigeführt habe, sodass die Verfahren wiederaufzunehmen gewesen seien. In den wiederaufgenommenen Verfahren seien die Anträge abzuweisen gewesen, weil der Aufenthalt ‑ auf Grund der Vorlage einer gefälschten Urkunde und der damit zum Ausdruck gebrachten fehlenden Verbundenheit mit den Gesetzen des Aufnahmestaats ‑ gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm. Abs. 4 Z 1 NAG die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden würde und damit den öffentlichen Interessen widerstreite. Die Erteilung des Aufenthaltstitels sei auch nicht im Rahmen einer Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK und § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens geboten.
Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig sei.
3. Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, in der ein Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in mehreren Punkten behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG wird jedoch nicht aufgezeigt.
4.1. Der Revisionswerber macht geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe sich noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, wie vorzugehen sei, wenn‑was hier der Fall sei ‑ die Behörde und das Verwaltungsgericht die Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrags (Einhaltung der 14‑Tage‑Frist) nicht geprüft hätten.
4.2. Gemäß § 69 Abs. 2 AVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen einzubringen, wobei die Frist grundsätzlich mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat; nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheids kann der Antrag nicht mehr gestellt werden. Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme auch von Amts wegen verfügt werden, wobei nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheids die amtswegige Wiederaufnahme nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden kann.
Im Hinblick auf diese Bestimmungen vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass die Behörde die Wiederaufnahme nicht binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, in dem sie vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, einleiten muss. § 69 Abs. 3 AVG bindet nämlich die Behörde ausdrücklich nur an die Bedingungen des Abs. 1, sodass klar ist, dass die im Abs. 2 gesetzte Fallfrist nur für die Parteien gilt, welche einen Wiederaufnahmeabspruch geltend machen wollen (vgl. etwa VwGH 23.9.1927, 629/26, VwSlg. (alt) 14 920 A; 27.6.1989, 86/04/0006, VwSlg. 12955 A).
4.3. Demnach liegt ‑ entgegen der Auffassung des Revisionswerbers ‑ eine einhellige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vor, wonach die 14‑tägige subjektive Frist des § 69 Abs. 2 AVG für eine ‑ wie hier ‑ von Amts wegen verfügte Wiederaufnahme ohne Bedeutung ist.
5.1. Der Revisionswerber releviert, der Verwaltungsgerichtshof habe sich noch nicht damit befasst, dass in einer Konstellation ‑ wie hier ‑ trotz der Vorlage eines gefälschten Deutschzertifikats auf Grund der intensiven Integration, der Nachholung der Sprachkenntnisse und der Ausübung einer geregelten Arbeit bzw. möglichen Wiedereinstellung im Hinblick auf Art. 8 EMRK die rückwirkende Aberkennung des Aufenthaltstitels ausgeschlossen sei.
5.2. Mit diesen Ausführungen wendet sich der Revisionswerber gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung, dass die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist (vgl. etwa VwGH 27.4.2017, Ra 2016/22/0119; 23.11.2017, Ra 2017/22/0188).
5.3. Vorliegend zeigt der Revisionswerber keine stichhältigen Gründe auf, aus denen die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und nicht im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt wäre. Die vom Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und unter ausreichender Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände erzielte Lösung kann jedenfalls nicht als unvertretbar angesehen werden. Gegenteiliges wird auch in der Zulassungsbegründung nicht konkret dargetan.
6.1. Der Revisionswerber führt aus, das Verwaltungsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass im Hinblick auf die festgestellte nachträgliche Integration mit einer bloßen „Verwarnung“ bzw. „Rückstufung“ vorzugehen gewesen wäre.
6.2. Eine ‑ dem Revisionswerber offenbar als gelinderes Mittel vorschwebende ‑ Ermahnung (Verwarnung) anstelle der Abweisung der gegenständlichen Anträge kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil ein derartiges Rechtsinstrument im Zusammenhang mit der Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG gesetzlich nicht vorgesehen ist.
6.3. Die Rückstufung ist im § 28 Abs. 1 NAG geregelt. Demnach hat die Behörde gegenüber dem Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“, gegen den eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 5 FPG) nicht verhängt werden kann, das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts festzustellen und von Amts wegen einen befristeten Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ auszustellen (vgl. auch VwGH 18.1.2017, Ra 2016/22/0021; 31.3.2008, 2007/21/0533).
Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung sind vorliegend freilich nicht gegeben. Der Revisionswerber verfügt insbesondere nicht über ein unbefristetes Niederlassungsrecht, das auf ein befristetes Aufenthaltsrecht „rückgestuft“ werden könnte. Für eine allfällige analoge Anwendung fehlt es allein schon an einer planwidrigen Lücke (vgl. etwa VwGH 4.5.2017, Ro 2014/08/0060 mwN).
7. Insgesamt werden daher ‑ in der maßgeblichen Zulassungsbegründung (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162) ‑ keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
Wien, am 14. Februar 2018
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