Normen
EStG 1988 §34 Abs1 Z2;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017130039.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der 1954 geborene, zu 70% behinderte Revisionswerber leidet u. a. seit Jahrzehnten an Colitis ulcerosa. Schon im Jahr 2010 richtete er an die für ihn zuständige Gebietskrankenkasse ein Schreiben, in dem er um die Übernahme der Kosten für einen Aufenthalt in einer speziellen Heilfastenklinik in Bad X in Deutschland ersuchte. Er legte dazu dar, sein Zustand habe sich infolge einer Krankenhausinfektion drastisch verschlechtert, ein mehrwöchiger Krankenhausaufenthalt habe zu keiner Besserung geführt, und ein Arzt habe ihm das Heilfasten empfohlen, das in Österreich nicht angeboten werde.
2 In einer Stellungnahme vom 3. Oktober 2011 zu einem späteren Antrag des Revisionswerbers erklärte die ihn behandelnde Ärztin, zur Verbesserung des Allgemeinzustandes des Revisionswerbers und zur Funktionsverbesserung des Verdauungstraktes werde ein Kurheilverfahren für Stoffwechselerkrankungen in der von ihm genannten deutschen Klinik vorgeschlagen. Auf die dort vor Jahrzehnten entwickelte und seither angebotene Heilfastentherapie nahm die Stellungnahme nicht ausdrücklich Bezug.
3 Mit Schreiben vom 7. Oktober 2011 bewilligte die für den Revisionswerber zuständige Pensionsversicherung ihm einen Aufenthalt in der Dauer von 22 Tagen in einer Sonderkrankenanstalt in Österreich. Dem "Einrichtungswunsch" des Revisionswerbers habe nicht entsprochen werden können, weil der Pensionsversicherungsanstalt "eine Behandlungsmöglichkeit Ihrer Erkrankung in dieser Einrichtung nicht zur Verfügung" stehe. In einer vom Revisionswerber später für das Rechtsmittelverfahren eingeholten Stellungnahme vom 30. April 2014 teilte die Anstalt mit, "dass Heilfasten keine Behandlungen im Sinne unserer Richtlinien darstellen und die Pensionsversicherungsanstalt keine Kosten für solche Aufenthalte übernimmt".
4 Der Revisionswerber machte von dem Angebot des Aufenthaltes in der Sonderkrankenanstalt in Österreich nicht Gebrauch und hielt sich im Streitjahr 2012 vom 21. Februar bis zum 8. März in der deutschen Klinik auf. Mit Schreiben vom 8. März 2012 bestätigte diese den "klinisch-stationären Aufenthalt" des Revisionswerbers. Im ärztlichen Entlassungsbericht an die Ärztin des Revisionswerbers vom 19. März 2012 teilten ihr die Stationsärztin und der Chefarzt der Klinik "Diagnosen", die "Medikation bei Entlassung" und eine "Therapie-Empfehlung" mit. Das Feld "Therapie und Verlauf" blieb im Entlassungsbericht unausgefüllt. Mit Krankenstandsbescheinigung vom 20. April 2012 bestätigte die für den Revisionswerber zuständige Gebietskrankenkasse seine "Arbeitsunfähigkeit von 21.02.2012 bis 08.03.2012".
5 Im Einkommensteuerbescheid vom 20. August 2013 über die Arbeitnehmerveranlagung des Revisionswerbers für das Jahr 2012 ließ das Finanzamt die von ihm geltend gemachten Kosten des Aufenthalts in der deutschen Klinik mit Ausnahme des Aufwands für zwei externe Laboruntersuchungen unberücksichtigt. Ebenfalls unberücksichtigt blieben u.a. die vom Revisionswerber geltend gemachten Aufwendungen für fünf im Streitjahr - zum Teil mehrfach -
in Apotheken gekaufte pharmazeutische Produkte.
6 In seiner Berufung vom 12. September 2013 wandte sich der Revisionswerber u.a. gegen die Nichtanerkennung der Kosten des Aufenthalts in der deutschen Klinik (etwa EUR 3.500,--) und von Aufwendungen für pharmazeutische Produkte (etwa EUR 560,--) als außergewöhnliche Belastungen. Zu den "eingereichten Medikamenten" brachte er vor, sie seien "apothekenpflichtig". Bei nicht rezeptpflichtigen Dauerverschreibungen, wie dies bei chronisch Kranken der Fall sei, seien die Rezepte zum Teil nicht aufbewahrt worden. Der Revisionswerber sei bisher auch noch nie danach gefragt worden. Die jetzt als Beweis vorgelegten Rezepte seien "nicht unbedingt" aus dem Streitjahr, bewiesen aber, dass ihm die Präparate "prinzipiell verschrieben" worden seien. Die Behauptung, es fehle an ärztlichen Verschreibungen, sei daher falsch. Die "diversen Präparate" seien von ihm seit Jahren eingenommen und bisher steuerlich anerkannt worden. Er werde sie wohl lebenslang brauchen.
7 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 26. März 2014 gab das Finanzamt dem jetzt als Beschwerde zu behandelnden Rechtsmittel des Revisionswerbers in den revisionsgegenständlichen Punkten - Kuraufenthalt in Deutschland und nicht anerkannte Apothekenrechnungen - nicht Folge.
8 Eine vom Revisionswerber im April 2014 dagegen eingebrachte "Beschwerde" (deren erste Seite in den ungeordnet vorgelegten Akten des Finanzamts fehlt) scheint sich im Rubrum gegen einen mit der Beschwerdevorentscheidung verbundenen Freibetragsbescheid gerichtet zu haben, trat in ihrem weiteren Inhalt aber der Begründung der Beschwerdevorentscheidung entgegen. In einem Nachtrag dazu vom 30. Juni 2014 legte der Revisionswerber weitere Rezepte vor.
9 Mit Schreiben vom 22. August 2014 beantragte der Revisionswerber im Hinblick auf die mögliche Versäumung der Frist für den Vorlageantrag - aber unter Hinweis auf die bloße Fehlbezeichnung seiner Eingabe vom April 2014 - die Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung gemäß § 299 BAO. Er brachte dazu (zusammengefasst) vor, die Präparate seien ihm "vom Arzt verordnet" und die Kur sei "vom Arzt beantragt" worden.
10 Mit Bescheid vom 19. November 2014 wies das Finanzamt den Aufhebungsantrag ab, wogegen der Revisionswerber mit Schreiben vom 16. Dezember 2014 eine Beschwerde mit "Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht" einbrachte.
11 Mit Beschluss vom 8. Februar 2017 stellte das Bundesfinanzgericht seine Unzuständigkeit fest, weil das Finanzamt über die Beschwerde gegen die Abweisung des Aufhebungsantrages keine Beschwerdevorentscheidung erlassen hatte.
12 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 23. Februar 2017 wies das Finanzamt die Beschwerde gegen die Abweisung des Aufhebungsantrages ab.
13 Mit Schreiben vom 8. März 2017 beantragte der Revisionswerber die Vorlage der Beschwerde gegen die Abweisung des Aufhebungsantrages. Er verband dies mit nochmaligem umfassendem Vorbringen zu den revisionsgegenständlichen Themen und richtete am 6. April 2017 ein Schreiben an das Bundesfinanzgericht, in dem er u. a. eine mündliche Verhandlung beantragte.
14 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gegen die Abweisung des Aufhebungsantrages vom 22. August 2014 als unbegründet ab.
15 Die fallbezogene Begründung bestand hinsichtlich der in Apotheken erworbenen Produkte (zu deren Abziehbarkeit ohne Selbstbehalt nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 als Kosten der Heilbehandlung iSd § 4 der Verordnung BGBl. Nr. 303/1996 idgF) darin, dass diese "auf der jeweiligen Hompage (sic) als Nahrungsergänzungsmittel ausgewiesen" und Nahrungsergänzungsmittel "Lebensmittel" seien. Bereits auf Grund dieses Umstandes vermöge das Bundesfinanzgericht "nicht zu erkennen, dass die diesbezüglichen Aufwendungen des Bf. als typischerweise mit einer Heilbehandlung verbundenen (sic) Kosten und somit als zwangsläufig erwachsen zu beurteilen sind. Typischerweise mit einer Heilbehandlung verbundene Kosten sind solche im Zusammenhang mit der Anschaffung von Medikamenten iSd Arzneimittelgesetzes". Es stehe daher diesbezüglich nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass der Spruch der Beschwerdevorentscheidung "aus den im Aufhebungsantrag genannten Gründen - die geltend gemachten Präparate seien apothekenpflichtig, es handle sich bei diesen um Medikamente - unrichtig" sei.
16 Dass sich der Revisionswerber auf die ärztliche Verschreibung der Produkte berufen hatte, blieb im angefochtenen Erkenntnis schon in der Wiedergabe des Vorbringens unerwähnt und wurde vom Bundesfinanzgericht - wie auch die dazu vorgelegten Rezeptkopien - keiner Würdigung unterzogen.
17 In Bezug auf den Kuraufenthalt in der deutschen Klinik stützte sich das Bundesfinanzgericht darauf, dass im Entlassungsbericht vom 19. März 2012 jede Eintragung zu "Therapie und Verlauf" unterblieben war. Vom Vorliegen eines auf den Revisionswerber abgestimmten "Behandlungs- bzw. Therapieplanes" könne daher "keine Rede sein".
18 Ob der Revisionswerber mit seiner Eingabe vom April 2014 die Vorlage der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid beantragt habe, sei für die zu treffende Entscheidung über seinen Aufhebungsantrag gemäß § 299 BAO nicht von Bedeutung. Sein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei zu spät gestellt worden.
19 Eine Revision sei nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Die in dieser Bestimmung normierten Kriterien lägen "allesamt nicht vor".
20 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, zu der das Finanzamt keine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
22 Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil sich das - die Verfahrensthemen sonst weitgehend verfehlende - Vorbringen zu ihrer Zulässigkeit erkennbar auch darauf stützt, dass die bekämpfte Beurteilung der vom Revisionswerber geltend gemachten Aufwendungen für den Erwerb apothekenpflichtiger Präparate in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine Deckung findet. Die Revision ist zumindest in diesem Punkt auch begründet.
23 Eine Belastung muss, um als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt zu werden, gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 bis 3 EStG 1988 außergewöhnlich sein, zwangsläufig erwachsen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.
24 Im Erkenntnis vom 10. Februar 2016, 2013/15/0254, 0255, sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, die Kosten der von einem Behinderten "ohne eine konkrete ärztliche Verordnung eingenommenen Vitaminpräparate und anderen Nahrungsergänzungsmittel" seien mangels Nachweises ihrer Zwangsläufigkeit nicht als außergewöhnliche Belastung (Heilbehandlungskosten) zu berücksichtigen. Dem Fehlen einer ärztlichen Verordnung wurde in diesem Zusammenhang Bedeutung beigemessen.
25 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber, der seit seiner Kindheit unter einer schweren Stoffwechselerkrankung leidet, im Verfahren vorgebracht, bei den strittigen Präparaten handle es sich um solche, die ihm ärztlich verschrieben worden seien, und dazu Rezeptkopien vorgelegt. Dieses vom Bundesfinanzgericht übergangene Vorbringen war - im Falle seines Zutreffens - geeignet, die medizinische Notwendigkeit des Aufwandes und damit auch dessen Zwangsläufigkeit im Sinne des § 34 Abs. 1 Z 2 EStG 1988 darzutun, womit sich der Spruch der Berufungsvorentscheidung vom 26. März 2014 in diesem Punkt als unrichtig erwiese (vgl. zur Relevanz ärztlicher Verordnung im Zusammenhang etwa mit "Beruhigungs- und Stärkungsmitteln und Vitaminpräparaten" Fuchs/Unger in Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer - Kommentar, 54. Lfg, März 2013, § 34 EStG 1988 Anhang II - ABC, "Krankheitskosten", Seite 28). Liegt - wie im vorliegenden Fall behauptet - eine chronische Erkrankung vor, die einen laufenden Verbrauch schon wiederholt verschriebener Präparate erfordert, so wäre es aber in der Regel auch verfehlt, ohne besonderen Grund an der Zwangsläufigkeit zu zweifeln, wenn der Erwerb eines solchen Präparats im Einzelfall ohne Einholung eines neuen Rezepts erfolgt (vgl. in diesem Sinn zu einer damals vergleichbaren deutschen Rechtslage etwa BFH 5.12.1968, IV 79/65; 6.4.1990, III R 60/88). In einem solchen Fall ist nicht nur auf Rezepte aus dem Streitjahr Bedacht zu nehmen.
26 Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
27 Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
28 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 12. September 2018
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