Normen
B-VG Art133 Abs5;
B-VG Art133 Abs6 Z2;
B-VG Art144;
IslamG 2015 §31 Abs3;
MRK Art11 Abs2;
MRK Art11;
VerG 2002 §12;
VerG 2002 §29;
VerG 2002 §31;
VersammlungsG 1953;
VwGG §34 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017010105.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Verein) ist ein Verein im Sinne des Vereinsgesetzes 2002 (VerG).
2 Mit Bescheid vom 17. Oktober 2016 löste der Amtsrevisionswerber den Verein gemäß § 31 Abs. 3 Islamgesetz 2015 (IslamG) "mit Wirksamkeit zum 1. März 2016" auf. Begründend wurde ausgeführt, der Verein sei aufzulösen gewesen, weil die Statuten und damit der Zweck des Vereins - trotz mehrfacher Aufforderungen -
nicht an die Erfordernisse des IslamG angepasst worden seien.
3 Der dagegen vom Verein erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge und hob den Bescheid auf (Spruchpunkt 1.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt 2.). Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Bestimmung des § 31 Abs. 3 IslamG enthalte evidentermaßen keine Ermächtigung zur rückwirkenden Auflösung eines Vereins zum Stichtag 1. März 2016. Eine gegenteilige Lesart würde im Ergebnis dazu führen, dass auf § 31 Abs. 3 IslamG gestützte Vereinsauflösungen zeitlich unlimitiert erfolgen und infolge der ex-tunc Wirkung der Auflösung zu äußert schwierigen Rückabwicklungen einschließlich Eingriffen in Rechte Dritter führen könnten. Es sei davon auszugehen, dass der Intention des Gesetzgebers entsprechend die neue Rechtslage mit Ablauf des 29. Februar 2016 umgesetzt sein sollte, sodass eine auf § 31 Abs. 3 IslamG gestützte Vereinsauflösung durch Erlassung des entsprechenden Bescheides bis zu diesem Stichtag hätte erfolgen müssen. Der in Beschwerde gezogene Bescheid erweise sich daher aus diesem Grund als gesetzwidrig, sodass er ersatzlos aufzuheben gewesen sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der näher ausgeführt wird, dass der Wortlaut der Bestimmung des § 31 Abs. 3 im Zusammenhalt mit Abs. 2 IslamG kein anderes (Auslegungs‑)Ergebnis zulasse, als dass eine Vereinsauflösung zum Wirksamkeitszeitpunkt 1. März 2016 - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - geboten und zulässig sei, und zwar unabhängig vom Zeitpunkt der Erlassung des Auflösungsbescheides.
5 Der Verein erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Amtsrevision kostenpflichtig zurück- bzw. abzuweisen.
6 § 31 Islamgesetz 2015, BGBl. I Nr. 93 (IslamG), lautet auszugsweise:
"Bestehende Religionsgesellschaften, Kultusgemeinden,
Verfassungen und Statuten
§ 31 (1) ...
(2) Verfassungen, Statuten, sowie gewählte Organe bleiben in Geltung bzw. in Funktion. Sie sind mit den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bis zum 31. Dezember 2015 in Einklang zu bringen. Über diese Änderungen der Verfassungen und Statuten hat der Bundeskanzler bis spätestens 1. März 2016 zu entscheiden.
(3) Vereine, deren Zweck in der Verbreitung der Religionslehre einer Religionsgemeinschaft nach diesem Bundesgesetz besteht und die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bestehen, sind zum 1. März 2016 mit Bescheid des Bundesministers für Inneres aufzulösen, wenn der Vereinszweck nicht an die Erfordernisse dieses Gesetzes angepasst wurde.
(4) ..."
7 Die Amtsrevision bezweckt die Klärung der Frage, ob die - vom Revisionswerber mit Bescheid vom 17. Oktober 2016 ausgesprochene - (rückwirkende) Auflösung des Vereins entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts gemäß § 31 Abs. 3 IslamG zu Recht erfolgte.
8 Die Revision ist unzulässig.
9 Gemäß Art. 133 Abs. 5 B-VG sind von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen Rechtssachen, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehören.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Vergangenheit - der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes folgend - wiederholt ausgesprochen, dass ausschließlich der Verfassungsgerichtshof für Beschwerden, in denen ein materieller Verstoß gegen die freie Vereinsbildung oder -betätigung regelnde gesetzliche Vorschriften behauptet wird, zuständig ist. Für eine solche Angelegenheit (Art. 133 Z 1 B-VG aF) erachtete sich der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig (vgl. etwa VwGH 24.1.2013, 2013/01/0003, mit Hinweis auf VwGH 31.5.2012, 2012/01/0016, und 11.12.2009, 2009/17/0227).
11 Diese Rechtsprechung folgte der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, wonach hinsichtlich der Grundrechte auf Versammlungs- und Vereinsfreiheit jede unrichtige Anwendung der einfachgesetzlichen Ausführungsbestimmungen (einschließlich wesentlicher Verfahrensmängel) als eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts im Sinne des Art. 144 B-VG zu werten und daher ausschließlich von ihm und nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu prüfen sei (sog. "Feinprüfungsjudikatur" bei Grundrechten mit Ausgestaltungsvorbehalt; vgl. etwa VfSlg. 9103/1981, 14.367/1995, 15.109/1998, 17.126/2004, 19.078/2010; vgl. weiters die überblicksweise Darstellung bei Hengstschläger, Vereins- und Versammlungsfreiheit - Ausführungs- oder Eingriffsvorbehalt, in: FS Holzinger (2017) S. 328 ff). Es trete in jedem solchen Fall die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des Verfassungsgerichtshofes ein, die nach Art. 133 Z 1 B-VG (aF) die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausschließe, weshalb auch dem Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht Folge zu geben sei (vgl. etwa das Erkenntnis VfSlg 19.078).
12 Beginnend mit seinem (zum Versammlungsrecht ergangenen) Erkenntnis VfSlg 19.818/2013 hat sich der Verfassungsgerichtshof von seiner "Feinprüfungsjudikatur" im dargestellten umfassenden Sinn abgewendet. Er vertritt seither die Auffassung, dass lediglich Entscheidungen, die den Kernbereich der Versammlungsfreiheit betreffen - wie die Untersagung oder die Auflösung einer Versammlung -, in seine ausschließliche Zuständigkeit fallen, er darüber hinaus aber nicht zu prüfen habe, ob die angefochtene Entscheidung "in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht" (vgl. in diesem Sinne auch VfSlg. 19.852/2014, 19.961/2015 und 19.962/2015). Der Verfassungsgerichtshof tritt in Beschwerdesachen, die Angelegenheiten des Versammlungsrechts außerhalb des Kernbereichs betreffen, die Beschwerde im Falle der Ablehnung ihrer Behandlung nunmehr auch gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (vgl. etwa die Beschlüsse vom 9. Juni 2017, E 536/2017-8, bzw. vom 31. Juli 2017, E 536/2017-11).
13 Diese Judikatur hat der Verfassungsgerichtshof in weiterer Folge auf das Grundrecht auf Vereinsfreiheit übertragen:
14 Demgemäß obliegt dem Verfassungsgerichtshof zB. in Fragen der Bestrafung eines Vereinsorgans wegen Verstoßes gegen Anzeigepflichten nach § 31 VereinsG lediglich die verfassungsrechtliche "Grobprüfung" (vgl. VfSlg 19.994/2015); im Übrigen besteht in derartigen Fragen nunmehr eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur "Feinprüfung".
15 Die behördliche Auflösung eines Vereins selbst (§ 29 VerG) wie auch die Erklärung, dass die Vereinsgründung nicht gestattet ist (§ 12 VerG), sind hingegen, so wie die Beurteilung der Frage, ob überhaupt ein Verein iSd Art. 11 EMRK vorliegt, Entscheidungen, die den Kernbereich der Vereinsfreiheit betreffen. Eingriffe sind nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art. 11 Abs. 2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind. Eine Entscheidung darüber obliegt (Anm: wie bisher) dem Verfassungsgerichtshof (vgl. VfSlg. 20.057/2016, sowie zuletzt VfGH 12.12.2016, E 580/2016, jeweils mwN).
16 Fragen des Eingriffs in den Kernbereich der Grundrechte auf Versammlungs- und Vereinsfreiheit betreffen sohin Rechtssachen, die gemäß Art. 133 Abs. 5 B-VG (nach wie vor) von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen sind, zumal auch die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz bzw. das Revisionsmodell keine Auswirkungen auf die diesbezügliche Kompetenzabgrenzung zwischen Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof entfaltete (vgl. Hengstschläger, aaO., S. 343).
17 Zur Beurteilung der vom Amtsrevisionswerber angenommenen Zulässigkeit der behördlichen Auflösung des Vereins (hier: nach § 31 Abs. 3 IslamG) ist der Verwaltungsgerichtshof somit nicht zuständig. Dass diese Frage im Wege einer Amtsrevision an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen wurde, ändert nach Art. 133 Abs. 5 B-VG nichts.
18 Die Revision war daher in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 leg. cit. zurückzuweisen.
19 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. Februar 2018
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