VwGH Ro 2016/04/0047

VwGHRo 2016/04/004724.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, den Hofrat Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision der F W in S, vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2016, Zl. W109 2107438-1/44E, betreffend ein Genehmigungsverfahren gemäß § 17 UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Partei:

W GmbH in U, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH, in 1010 Wien, Schottenring 19), den Beschluss gefasst:

Normen

NatSchG NÖ 2000 §10 Abs3;
NatSchG NÖ 2000 §7 Abs2;
NatSchG NÖ 2000 §7 Abs4;
UVPG 2000 §17 Abs5;
UVPG 2000 §19 Abs10;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2016040047.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 und dem Land Niederösterreich Aufwendungen in Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei stellte am 22. August 2014 den Antrag gemäß § 5 UVP-G 2000 auf Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines näher bezeichneten Windparks mit dreizehn Windkraftanlagen.

2 Mit Bescheid vom 17. März 2015 wurde diesem Vorhaben von der belangten Behörde im vereinfachten Verfahren die beantragte Genehmigung erteilt. Gegen diesen Bescheid erhob unter anderem die Revisionswerberin Beschwerde.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Genehmigungsbescheid mit der Maßgabe der Erteilung weiterer Auflagen und wies die von der Revisionswerberin gegen den Genehmigungsbescheid erhobene Beschwerde ab (Spruchpunkt B). Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich dieses Spruchpunktes für zulässig (Spruchpunkt D.2.).

4 In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, jene Standorte der Windkraftanlagen, die außerhalb des Europaschutzgebietes "S" lägen, würden nicht zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten im Sinne des Art. 4 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates (Vogelschutzrichtlinie) zählen, weshalb es sich entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht um ein "faktisches Vogelschutzgebiet" handle. Hinsichtlich des Vorbringens in der Beschwerde der Revisionswerberin, bei der Beurteilung des Vorhabens seien rechtswidrig Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-RL) berücksichtigt worden, führte das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die zu beurteilenden Maßnahmen aus, diese - in der Umweltverträglichkeitserklärung und im bekämpften Bescheid enthaltenen - Maßnahmen würden jeweils keine Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG , Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL), sondern vielmehr schadensbegrenzende Maßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL darstellen. Solche schadensbegrenzende Maßnahmen seien in die Beurteilung des Vorhabens miteinzubeziehen.

5 Die erhobenen und verwendeten Daten zur Populationsdynamik seien - entgegen der Beschwerde - ausreichend. Die im UVP-Gutachten vorgenommene Bewertung der Erheblichkeit unter Berücksichtigung der erteilten Auflagen sei zulässig, weil es sich jeweils um schadensbegrenzende Maßnahmen handle. Das Vorhaben sei mit den Schutzzielen des betroffenen Europaschutzgebietes vereinbar. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Großtrappe könne ausgeschlossen werden.

6 Zu den möglichen kumulativen Auswirkungen hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, im Zusammenhang mit dieser Frage mangle es an Kenntnissen betreffend andere bewilligte Projekte. Überdies gebe es eine Reihe von bewilligungsfreien Projekten, die Auswirkungen auf die Europaschutzgebiete haben könnten. Die vom behördlich bestellten Sachverständigen vorgeschlagene Vorgehensweise der Anlegung deutlich attraktiverer Nahrungshabitate für kollisionsgefährdete Greifvogelarten sei grundsätzlich dazu geeignet, eine erhebliche Beeinträchtigung der relevanten Arten zu vermeiden. Zusätzlich werde die Auflage erteilt, anhand der Ergebnisse eines geeigneten Monitorings bis 2020 nachzuweisen, dass diese lebensraumverbessernden Maßnahmen zu dem Ergebnis geführt hätten, dass der Windpark keinen die "Bagatellgrenze" übersteigenden Einfluss auf das Schutzgebiet habe. Somit könne durch die insgesamt erteilten Auflagen eine erhebliche Beeinträchtigung durch kumulative Wirkungen jedenfalls vermieden werden.

7 Gestützt auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen gelangte das Bundesverwaltungsgericht weiter zu der Ansicht, dass für alle im Untersuchungsgebiet vorkommenden Vogelarten sowie für alle Arten des Anhangs IV der FFH-RL mit Ausnahme der Fledermäuse ausgeschlossen werden könne, dass durch die Errichtung des Windparks der Tatbestand des Art. 5 der Vogelschutz-Richtlinie bzw. Art. 12 Abs. 1 der FFH-RL erfüllt werde. Mit der Auflage betreffend die Abschaltungen könnte jedoch auch das Risiko für die betroffenen Fledermausarten vermieden werden, weil damit nur von einer vernachlässigbaren Anzahl an Kollisionsopfern auszugehen sei. Es liege damit aufgrund der Definition des Leitfadens der Europäischen Kommission keine "Absichtlichkeit" im Sinne des Art. 12 FFH-RL vor.

Das mangelnde System der Überwachung des unbeabsichtigten Tötens könne so kompensiert werden.

8 Das eingereichte Vorhaben sei insgesamt unter Erteilung der spruchgemäßen Auflagen mit den Bestimmungen der Vogelschutz-Richtlinie, der FFH-RL und § 10 NÖ NSchG 2000 vereinbar.

9 Die Revision sei zulässig, weil insbesondere zu der Frage, ob die Beurteilung kumulativer Effekte nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bzw. § 10 NÖ NSchG 2000 bei fehlendem Wissen zu Vorbelastungen bzw. anstehenden weiteren Belastungen durch andere Pläne und Programme durch eine umfassende Anwendung des Vorsorgegrundsatzes kompensiert werden könne, keine Rechtsprechung vorliege. Ebenso fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob bei einem fehlenden System zur Überwachung des unbeabsichtigten Tötens nach Art. 12 Abs. 4 FFH-RL dieses durch eine besondere Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips kompensiert werden könne.

10 Gegen dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.

11 Die mitbeteiligte Partei und die belangte Behörde beantragten in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils die kostenpflichtige Abweisung der Revision.

12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

15 Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die maßgeblichen Gründe für die Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (VwGH 19.6.2018, Ro 2016/06/0011, mwN).

16 Ist die Rechtslage eindeutig, liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor, und zwar selbst dann nicht, wenn dazu noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist, sofern nicht fallbezogen (ausnahmsweise) eine Konstellation vorliegt, die es im Einzelfall erforderlich macht, aus Gründen der Rechtssicherheit korrigierend einzugreifen (vgl. VwGH 20.1.2016, Ra 2016/02/0004).

17 Die Revision verweist auf die vom Bundesverwaltungsgericht zur Begründung der Zulässigkeit der Revision als grundsätzlich aufgezeigten Rechtsfragen.

18 Mit diesen wird die Zulässigkeit jedoch entgegen der Ansicht der Revision nicht aufgezeigt:

19 Das Bundesverwaltungsgericht trifft im Zusammenhang mit dem Beschwerdevorbringen betreffend die möglichen erheblichen Beeinträchtigungen des Europaschutzgebietes durch kumulative Wirkungen im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL die Feststellung, dass die vom Sachverständigen des behördlichen Verfahrens vorgeschlagenen und im angefochtenen UVP-Bescheid als Auflagen erteilten Maßnahmen grundsätzlich für alle vier betroffenen Vogelarten geeignet seien, den Einfluss des Vorhabens unter die "Bagatellgrenze" zu bringen. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, dass somit durch die Auflagen des angefochtenen UVP-Bescheides und die ergänzenden Auflagen im Erkenntnis sowie durch die im Beschwerdeverfahren vorgenommenen Projektänderungen eine erhebliche Beeinträchtigung durch kumulative Wirkungen gemäß § 10 Abs. 1 NÖ NSchG 2000 iVm Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vermieden werden könne.

20 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 17. November 2015, Ra 2015/03/0058, festgehalten, dass bei der gemäß § 10 Abs. 3 NÖ NSchG 2000 vorzunehmenden Beurteilung, ob die Erhaltungsziele des Europaschutzgebietes tatsächlich beeinträchtigt werden, die Notwendigkeit der Berücksichtigung etwaiger Kumulationseffekte besteht, auch wenn § 10 Abs. 3 NÖ NSchG 2000 - anders als Abs. 1 dieser Bestimmung - das Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten nicht ausdrücklich erwähnt. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass die Rechtslage eine Kompensation dieser Prüfung möglicher Auswirkungen kumulativer Effekte durch die Heranziehung anderer Parameter erlauben würde.

21 Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch - ausgehend von den auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen gestützten und insofern unbestritten gebliebenen Feststellungen - eine mögliche Beeinträchtigung durch das Vorhaben wegen kumulativer Wirkungen bei Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen ausdrücklich verneint (siehe oben Rn 19). Die Frage der Erlaubtheit einer "Kompensation" - im Sinne einer Unterlassung - der Beurteilung kumulativer Wirkungen im Sinne des § 10 NÖ NSchG 2000 stellt sich damit nicht, weil das Bundesverwaltungsgericht die möglichen Auswirkungen des Vorhabens unter diesem gesetzlich geforderten Blickwinkel ohnehin untersucht hat.

22 Insofern die Zulässigkeitsbegründung in der Revision darauf abzielt, zu hinterfragen, ob im Rahmen der Beurteilung der kumulativen Effekte fehlendes Wissen über mögliche Vorbelastungen durch Auflagen ausgeglichen werden kann, ist festzuhalten:

Aufgrund der Bestimmung des § 17 Abs. 5 UVP-G 2000, wonach ein Genehmigungsantrag abzuweisen ist, wenn die Gesamtbewertung ergibt, dass durch das Vorhaben und seine Auswirkungen schwerwiegende Umweltbelastungen zu erwarten sind, die durch Auflagen, Bedingungen, Befristungen, sonstige Vorschreibungen, Ausgleichsmaßnahmen oder Projektmodifikationen nicht verhindert oder auf ein erträgliches Maß vermindert werden können, ist es jedenfalls grundsätzlich unbedenklich, dass die Genehmigungsfähigkeit des Projektes erst durch Auflagen hergestellt wird (vgl. die inhaltlich korrespondierende Bestimmungen des § 7 Abs. 2 und Abs. 4 NÖ NSchG 2000). Dies gilt nach dem klaren Wortlaut des § 17 Abs. 5 UVP-G 2000 auch für den Fall, dass trotz Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens bestimmte Sachverhaltsmomente nicht erhoben werden können und die Auswirkungen des Projektes durch die vorgeschriebenen Auflagen auf ein solches Minimum eingeschränkt werden, dass ungeachtet der Unkenntnis anderer, das Gebiet potentiell betreffender Belastungen eine von dem Vorhaben ausgehende Beeinträchtigung über der Erheblichkeitsschwelle jedenfalls - auch unter Berücksichtigung allfälliger kumulativer Effekte - ausgeschlossen werden kann. Durch eine solche Vorgangsweise werden Umweltschutzvorschriften - deren Einhaltung die Revisionswerberin gemäß § 19 Abs. 10 UVP-G 2000 geltend machen kann - nicht verletzt. Ob die konkreten Auflagen zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sind, ist jeweils aufgrund der Umstände im Einzelfall zu prüfen.

23 Die in der Zulässigkeitsbegründung angeführte Forderung des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL zur Einrichtung eines Systems zur Überwachung des unbeabsichtigten Fangens oder Tötens richtet sich schon dem Wortlaut nach an die Mitgliedstaaten und steht in keinem Bezug zu dem konkreten Prüfungsverfahren.

24 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

25 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 24. Oktober 2018

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