VwGH Ra 2017/22/0038

VwGHRa 2017/22/003825.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des A I in V, vertreten durch Dr. Klaus Holter, Rechtsanwalt in 4710 Grieskirchen, Uferstraße 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 3. März 2017, LVwG- 750411/2/BP/SA, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck), zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art6;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §46 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, beantragte am 28. Juli 2016 bei der österreichischen Botschaft in Belgrad die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Weiters stellte er einen Zusatzantrag auf quotenfreie Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen des Privat- und Familienlebens gemäß § 46 Abs. 2 NAG sowie weitere Zusatzanträge auf Absehen von verschiedenen Erteilungsvoraussetzungen. Als Zusammenführende war die Ehefrau des Revisionswerbers angeführt, eine ebenfalls serbische Staatsangehörige, die in Österreich über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfüge.

2 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (Behörde) vom 3. Jänner 2017 wurden der Antrag des Revisionswerbers abgewiesen sowie die Zusatzanträge teilweise abgewiesen und teilweise zurückgewiesen.

3 Die Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, dass der Revisionswerber nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfüge und sein Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Eine Titelerteilung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens erachtete die Behörde nicht als geboten.

4 Mit Erkenntnis vom 3. März 2017 wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und bestätigte den Bescheid der Behörde. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

5 Das Verwaltungsgericht gab den bekämpften Bescheid und die dagegen erhobene Beschwerde in seinen wesentlichen Teilen wörtlich wieder. Anschließend hielt es fest, dass es bei seiner Entscheidung von dem von der Behörde zugrunde gelegten relevanten Sachverhalt ausgehe. Da der entscheidungswesentliche Sachverhalt nach der Aktenlage hinreichend geklärt sei und in der Beschwerde ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen worden seien, könne von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

6 Begründend hielt das Verwaltungsgericht fest, dass der Revisionswerber über keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfüge und die nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG geforderten Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht nachgewiesen worden seien. Bei der Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG verwies das Verwaltungsgericht auf das Familienleben des Revisionswerbers mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen, bei der Ehefrau lebenden Sohn. Unbestritten sei, dass die Ehefrau des Revisionswerbers einen Erwerbsminderungsgrad von 100 % aufweise, wobei die Pflege von ihrer Mutter übernommen werde. Der Revisionswerber habe angegeben, seine Schwiegermutter beim Pflegeaufwand zu entlasten, lasse aber jegliche Initiative vermissen, einen Beitrag zur finanziellen Bestreitung des Lebensunterhaltes zu leisten. Der Grad der Integration im Bundesgebiet sei ausnehmend gering. Im Hinblick auf das Verhältnis des Revisionswerbers zu seinem Sohn merkte das Verwaltungsgericht an, dass der Revisionswerber infolge visumfreien Aufenthaltes die Hälfte des Jahres in Österreich verbringen könne. Die Ehefrau und der Sohn des Revisionswerbers besäßen die serbische Staatsangehörigkeit, die Familie habe daher die Wahl zwischen einer "Perpetuierung des status quo" und einem frei gewählten Umzug nach Serbien.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Die Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 In der Revision wird zur Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, die Zumutbarkeit der Ausreise der Ehefrau des Revisionswerbers und des minderjährigen Sohnes sei zugrunde gelegt worden, ohne dass diesbezüglich Ermittlungen - etwa dahingehend, inwieweit der Ehefrau infolge ihrer körperlich starken Beeinträchtigung ein Umzug nach Serbien zumutbar sei, sie in Serbien Unterstützungsleistungen erhalte bzw. eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung stünde - erfolgt wären. Im Hinblick darauf, dass damit - gerade noch erkennbar - die unterlassene Durchführung einer mündlichen Verhandlung angesprochen wird, erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.

10 Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde Vorbringen dazu erstattet, dass seine in Österreich geborene und aufgewachsene Ehefrau, die an einer starken spastischen Lähmung (Grad der Behinderung: 100 %) leide und Pflegegeld der Stufe 3 beziehe, für sich selbst sowie für den gemeinsamen fünfjährigen Sohn auf Unterstützung angewiesen sei und ihr eine Ausreise nach Serbien auf Grund ihrer Sozialisation in Österreich bzw. ihrer Behinderung nicht zumutbar sei. Der Revisionswerber könne seiner Beistandspflicht nur nachkommen, wenn er mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haushalt lebe. Fragen wie das Bestehen und Ausmaß eines Betreuungsbedarfs, die (aktuelle bzw. erforderliche) Einbindung des Revisionswerbers in die Betreuung bzw. die Zumutbarkeit der Ausreise nach Serbien lassen sich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduzieren. Angesichts des Vorbringens des Revisionswerbers zur Unterstützungsbedürftigkeit seiner Ehefrau kann auch nicht gesagt werden, dass der Sachverhalt nur substanzlos bestritten worden wäre (siehe dazu - wenn auch betreffend die Regelung des § 21 Abs. 7 BFA-VG - VwGH 5.5.2015, Ra 2014/22/0035).

11 Ausgehend davon trifft es aber nicht zu, dass in der Beschwerde ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen wurden bzw. dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse. In der vorliegenden Konstellation wäre daher die Durchführung einer Verhandlung und damit die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks geboten gewesen und das Verwaltungsgericht hätte nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehen dürfen (siehe etwa VwGH 18.6.2014, Ra 2014/21/0019; 23.5.2017, Ra 2016/08/0096, 0097; vgl. dazu, dass bei der Beurteilung des Ausmaßes gesundheitlicher Einschränkungen im Zusammenhang mit dem Grad der Behinderung wegen des für die Entscheidungsfindung wesentlichen persönlichen Eindrucks eine mündliche Verhandlung geboten ist, VwGH 21.6.2017, Ra 2017/11/0040).

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. Oktober 2017

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