Normen
62010CJ0499 Vlaamse Oliemaatschappij VORAB;
62016CJ0021 Euro Tyre VORAB;
62016CJ0026 Santogal M-Comercio e Reparacao de Automoveis VORAB;
BAO §236;
UStG 1972 Anh Art6 Abs3;
UStG 1994 Anh Art7 Abs2;
ZollRDG 1994 §71a;
ZollRDG 1994 §83;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbende Gesellschaft m.b.H.
(Revisionswerberin) beantragte mit 13 Anmeldungen im Zeitraum zwischen dem 4. November 2009 bis zum 24. Februar 2010 als Anmelderin die Überführung verschiedener, als Parfum oder Toilettewasser bezeichneter Waren in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr unter Inanspruchnahme der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer (Art. 6 Abs. 3 UStG 1994) durch Angabe des Codes 4200 im Feld 37 (Verfahren) des Einheitspapiers. Bei diesen im Informatikverfahren abgegebenen Anmeldungen trat sie als indirekte Vertreterin des im Feld 8 des Einheitspapiers von ihr angeführten Empfängers, einer A. s.r.o. in der Slowakei, auf. Als Versender war jeweils die S. AG in der Schweiz angegeben.
2 Mit Bescheid vom 5. April 2011 teilte das Zollamt Feldkirch Wolfurt der Revisionswerberin näher angeführte Beträge an gemäß Art. 204 des Zollkodex iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG entstandenen Eingangsabgaben (Einfuhrumsatzsteuer) mit. Die Revisionswerberin sei nach § 71a ZollR-DG als Anmelderin Schuldner dieser Einfuhrumsatzsteuer, denn alle Transaktionen der als Empfänger genannten Firma seien betrügerisch.
3 Die Revisionswerberin bekämpfte dies erfolglos; die außerordentliche Revision gegen das diesen Bescheid bestätigende Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 16. Juli 2015 wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. November 2015, Ra 2015/16/0097, zurück.
4 Mit Schriftsatz vom 20. März 2012 beantragte die Revisionswerberin die Erstattung u.a. des im Bescheid des Zollamtes vom 5. April 2011 angeführten Betrages an Einfuhrumsatzsteuer und begründete dies zusammengefasst damit, sie habe alle Pflichten eingehalten, die ihr für die Durchführung der Zollanmeldungen gesetzlich oblegen seien. Ein Hinweis darauf, dass es sich beim Empfänger um ein Scheinunternehmen gehandelt habe, sei ihr nicht bekannt; die durchgeführten "Level 2-Abfragen" hätten den aufrechten Bestand der UID-Nummer und die Übereinstimmung mit dem jeweiligen Empfänger bestätigt.
5 Diesen Antrag wies das Zollamt Feldkirch Wolfurt mit Bescheid vom 20. März 2013 ab. Die dagegen mit Schriftsatz vom 22. April 2013 erhobene Berufung wies das Zollamt mit Berufungsvorentscheidung vom 29. Mai 2013 ab.
6 Dagegen brachte die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 6. Juni 2013 eine (Administrativ‑)Beschwerde ein.
7 Das für die Weiterführung des Verfahrens gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG zuständige Bundesfinanzgericht wies die Beschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Nach Schilderung des Verwaltungsgeschehens und Wiedergabe verschiedener Rechtsvorschriften stellte das Bundesfinanzgericht fest, die Revisionswerberin habe als Anmelderin im Zeitraum vom 4. November 2009 bis 24. Februar 2010 in insgesamt 13 Einfuhrfällen unter Verwendung ihrer Sonder-UID die Überführung von Parfümeriewaren in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung (Verfahren 4200) beantragt. Als indirekt vertretener Empfänger sei in den Zollanmeldungen die slowakische Gesellschaft A. s.r.o. angegeben gewesen. Die Revisionswerberin habe weder die Transporte organisiert noch diese selbst durchgeführt. Ein innergemeinschaftliches Verbringen der in Rede stehenden Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat liege nicht vor, weil die Waren nicht zur Verfügung und nicht für die Unternehmenszwecke des von der Revisionswerberin in den jeweiligen Zollanmeldungen genannten Empfängers verbracht worden seien, sondern die Versendungen der Waren in einen anderen Mitgliedstaat jener Person, die unter Verschleierung ihrer Identität als Geschäftsführer des genannten Unternehmens nach außen aufgetreten sei, zuzurechnen seien. Ein Bestätigungsverfahren nach Art. 28 Abs. 2 UStG 1994 sei am 23. Oktober 2009 durchgeführt worden.
9 Zunächst begründete das Bundesfinanzgericht, weshalb seiner Ansicht nach eine Existenzgefährdung der Revisionswerberin durch die Abgabenbelastung im Gefolge des erwähnten Bescheides vom 5. April 2011 nicht vorliege.
10 Der Revisionswerberin sei weiters offensichtliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Sie habe es in allen 13 Einfuhrfällen, in denen ihr die Einfuhrumsatzsteuer vorgeschrieben worden sei, unterlassen, ein Bestätigungsverfahren im Sinn des Art. 28 Abs. 2 UStG 1994 in Anspruch zu nehmen. Eine Überprüfung sei lediglich am 23. Oktober 2009 erfolgt, also zu dem Zeitpunkt, zu dem ihr im Wege der Schweizer Verkäuferin die "Vollmacht zur Fiskalverzollung/EU-Einfuhrabfertigung" gleichen Datums übermittelt worden sei. Der Einwand, dass die UID-Nummer gültig gewesen sei, gehe insofern ins Leere, als es auf die Überprüfung der Gültigkeit der UID-Nummer im Zeitpunkt der Anmeldung durch die Revisionswerberin angekommen sei. Der Einwand, dass eine Überprüfung der UID-Nummer zum Ergebnis geführt hätte, dass diese gültig gewesen sei, stehe mit den Feststellungen im Abgabenverfahren in Widerspruch, wonach die in den Zollanmeldungen genannte A. s.r.o. keine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe, die in Rede stehenden Waren nicht zu deren Verfügung und nicht für deren Unternehmenszwecke in einen anderen Mitgliedstaat verbracht worden seien, sondern die Versendungen der Waren in einen anderen Mitgliedstaat jener Person, die unter Verschleierung ihrer Identität als Geschäftsführer des genannten Unternehmens nach außen aufgetreten sei, zuzurechnen seien.
11 Die Revisionswerberin müsse sich im Revisionsfall daher vorwerfen lassen, dass ihre Mitarbeiter nicht nur in einem, sondern in insgesamt 13 Einfuhrfällen mit demselben Auftraggeber ein Bestätigungsverfahren im Zeitpunkt der Zollanmeldung unterlassen hätten. In Anbetracht dieser gehäuften Unterlassung könne nicht mehr bloß von einem Fehler gesprochen werden, der "passieren kann", sondern es liege eine Kette von Fehlern vor, die keinesfalls passieren dürften. Ein sorgfältig agierender Zollspediteur hätte im Hinblick darauf, dass er für die Ordnungsmäßigkeit der Unterlagen hafte (Art. 199 ZK-DVO), dass er selbst mit der ihm genannten Abnehmerin keinen direkten Kontakt gehabt habe, dass er weder die Transporte organisiert noch diese selbst durchgeführt habe und dass Unterlagen und Aufträge über Dritte übermittelt worden seien, zur Risikominimierung weitere Informationen, etwa im Rahmen von sogenannten Due Diligence - Überprüfungen, über die Tätigkeit und die Liquidität der ihr unbekannten Gesellschaft eingeholt. Dies auch deshalb, weil die Revisionswerberin im Revisionsfall keine Kontrolle über die tatsächlichen Warenbewegungen gehabt habe und auf Grund der Bestimmung des § 71a ZollR-DG immer damit habe rechnen müssen, nachträglich mit der Einfuhrumsatzsteuer belastet zu werden. Die Revisionswerberin habe offenbar auf von einem Dritten vorgelegte oder übermittelte Unterlagen vertraut und Missbrauch der Bestimmungen der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung in Kauf genommen.
12 Selbst wenn der Revisionswerberin keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könnte, läge keine Unbilligkeit nach Lage der Sache vor. Denn nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum insofern vergleichbaren § 236 BAO liege eine sachliche Unbilligkeit unter anderem dann vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintrete. Da § 71a ZollR-DG gerade vorsehe, dass in den Fällen einer Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 eine nach Art. 204 Abs. 1 ZK entstehende Einfuhrumsatzsteuerschuld auch der Anmelder schulde, wenn er nicht bereits nach Art. 204 Abs. 3 ZK selber als Schuldner in Betracht komme, und dieser Bestimmung eine Einschränkung auf ein "Wissen" oder "Wissen hätte müssen" nicht zu entnehmen sei, entspreche die Vorschreibung der Einfuhrumsatzsteuer an die Revisionswerberin als Anmelderin dem Normzweck der genannten Bestimmung.
13 Auf den guten Glauben infolge eines Schreibens des Bundesministeriums für Finanzen habe sich die Revisionswerberin nicht verlassen können, weil dieses nicht an sie selbst ergangen sei und sich auch kein Hinweis darin finde, dass der nunmehr gegenständliche Fall eines Verschleierns des tatsächlichen Erwerbers einer der im Schreiben beschriebenen Fälle sei.
14 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
15 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); das Zollamt Feldkirch Wolfurt brachte mit Schriftsatz vom 22. Mai 2017 eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag ein, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.
16 Die Revisionswerberin erachtet sich im Recht auf Erstattung der in Rede stehenden Einfuhrumsatzsteuer verletzt.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
19 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
20 Die Revisionswerberin trägt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, entgegen der näher zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle es im angefochtenen Erkenntnis an einer zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung als zentrales Begründungselement und an einer Beweiswürdigung in wesentlichen Punkten. Insbesondere fehlten Sachverhaltsfeststellungen zu von der Revisionswerberin vorgebrachten Umständen, welche sie durch Urkunden belegt habe, nämlich durch Rechnungen und CMR-Frachtbriefe für jede einzelne der verfahrensgegenständlichen Warensendungen.
21 Weiters fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob offensichtliche Fahrlässigkeit im Sinn des Art. 239 Zollkodex und des § 83 ZollR-DG allein deshalb vorgelegen sei, weil die Revisionswerberin ein Bestätigungsverfahren nach Art. 28 Abs. 2 UStG nur zu Beginn der Geschäftsbeziehung und nicht bei jeder einzelnen Anmeldung durchgeführt habe, obwohl nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes selbst die verfahrensgegenständlichen 13 Anmeldungen ausschließlich in den auf die Bestätigung darauffolgenden vier Monaten erfolgt seien und im gesamten Zeitraum und auch bis etwa acht Monate nach der letzten Zollanmeldung die bestätigte Umsatzsteueridentifikationsnummer der A. s.r.o. gültig gewesen sei.
22 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
23 Nach Art. 143 Abs. 1 Buchst. d) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347 vom 11.12.2006, (im Folgenden: MwSt-RL) sind Gegenstände von der Einfuhrumsatzsteuer befreit, die von einem Drittgebiet oder einem Drittland aus in einen anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung versandt oder befördert werden, sofern die Lieferung dieser Gegenstände durch den gemäß Art. 201 der MwSt-RL als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur bewirkt wird und gemäß Art. 138 der MwSt-RL befreit ist.
24 Gemäß Art. 138 Abs. 1 der MwSt-RL befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, von der Einfuhrumsatzsteuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem Beginn der Versendung oder der Beförderung der Gegenstände handelt. Darüber hinaus befreien die Mitgliedstaaten gemäß Art. 138 Abs. 2 Buchst. c) der MwSt-RL von der Steuer die Lieferung von Gegenständen in Form der Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat, die u.a. gemäß Abs. 1 von der Mehrwertsteuer befreit wäre, wenn sie an einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt würde.
25 Gemäß Art. 201 der MwSt-RL wird bei der Einfuhr die Mehrwertsteuer von der Person oder den Personen geschuldet, die der Mitgliedstaat der Einfuhr als Steuerschuldner bestimmt oder anerkennt.
26 Gemäß Art. 6 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1994 (UStG 1994) ist die Einfuhr der Gegenstände, die vom Anmelder im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen verwendet werden, steuerfrei. Die Befreiung ist nur anzuwenden, wenn derjenige, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist, die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung tätigt.
27 Es kann sowohl der Anmelder selbst, aber auch der vom Anmelder indirekt Vertretene den Tatbestand des Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 erfüllen und die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung ausführen (vgl. VwGH 28.3.2014, 2012/16/0009).
28 Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt gemäß Art. 7 Abs. 2 UStG 1994 auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes, nämlich das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer in Art. 3 Abs. 1 UStG 1994 näher beschriebenen vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat.
29 Gemäß Art. 204 Abs. 1 der im Revisionsfall noch maßgebenden Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom 19.10.1992, (im Folgenden: Zollkodex - ZK) entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn in anderen als den in Art. 203 leg. cit. genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabepflichtigen Ware aus deren vorübergehenden Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das überführt worden ist, ergeben, oder eine der Voraussetzungen für die Überführung einer Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder Einfuhrabgabenfreiheit auf Grund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird, es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder das betreffende Zollverfahren nicht wirklich ausgewirkt haben.
30 Zollschuldner ist gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabepflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.
31 Der Zollkodex gilt gemäß § 2 Abs. 1 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes (ZollR-DG) in der im Revisionsfall noch anwendbaren Fassung der ersten ZollR-DG-Novelle, BGBl. Nr. 516/1996, und gemäß § 26 Abs. 1 UStG in der im Revisionsfall noch maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 756/1996, sinngemäß auch für die Einfuhrumsatzsteuer.
32 Gemäß § 71a ZollR-DG in der im Revisionsfall noch anzuwendenden Fassung der dritten ZollR-DG-Novelle, BGBl. I Nr. 13/1998, schuldet in den Fällen einer Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG eine nach Art. 204 Abs. 1 ZK entstehende Einfuhrumsatzsteuerschuld auch der Anmelder, wenn er nicht bereits nach Art. 204 Abs. 3 ZK als Zollschuldner in Betracht kommt.
33 Gemäß Art. 239 Abs. 1 ZK können Einfuhrabgaben in Fällen erstattet oder erlassen werden, welche sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind.
34 Gemäß Art. 905 Abs. 1 der im Revisionsfall noch maßgeblichen Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 253 vom 11.10.1993, (im Folgenden: Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO) übermittelt der entscheidungsbefugte Mitgliedstaat den Fall der Kommission zur Entscheidung, wenn ein Antrag auf Erstattung oder Erlass gemäß Art. 239 Abs. 2 ZK in seiner Begründung auf einen besonderen Fall schließen lässt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt und wenn u.a. die Abgaben, die bei einem Beteiligten infolge desselben besonderen Umstandes nicht erhoben wurden, 500.000 EUR oder mehr betragen.
35 Gemäß Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO entscheidet die Entscheidungsbehörde, sofern nicht nach Art. 905 ZK-DVO die Kommission zu befassen ist, von sich aus, die Einfuhrabgaben zu erstatten oder zu erlassen, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.
36 § 83 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes (ZollR-DG) in der im Revisionsfall noch maßgeblichen Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2005 (AbgÄG 2005), BGBl. I Nr. 161, und des (den materiellen Gehalt des § 83 ZollR-DG unberührt lassenden) Abgabenänderungsgesetzes 2010 (AbgÄG 2010), BGBl. I Nr. 34, lautet:
"§ 83. Im Falle einer Erstattung oder eines Erlasses der sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben nach den Bestimmungen des Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO liegt ein besonderer Fall dann vor, wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist oder wenn die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung ernsthaft gefährdet ist. Letzteren Falls stellte die betrügerische Absicht oder grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten keinen Ausschließungsgrund für die Gewährung einer Erstattung oder eines Erlasses dar, sofern alle sonstigen Voraussetzungen vorliegen und eine Gesamtbetrachtung für eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers spricht. Eine Vorlage an die Europäische Kommission hat zu unterbleiben."
37 Die Einfuhrumsatzsteuer, deren Erstattung im Revisionsfall beantragt wurde, ist für die oben genannte slowakische A. s.r.o. gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK in Verbindung mit § 2 Abs. 1 ZollR-DG und § 26 Abs. 1 UStG entstanden. Die Revisionswerberin wurde dafür mit dem erwähnten Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 16. Juli 2015 im Instanzenzug gemäß § 71a ZollR-DG als Gesamtschuldnerin herangezogen.
38 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass der von einem nach § 71a ZollR-DG herangezogenen Gesamtschuldner dagegen eingewandte Vertrauensschutz oder dessen Gutgläubigkeit im Erlass- oder Erstattungsverfahren nach § 83 ZollR-DG zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 28.9.2016, Ra 2016/16/0052, und VwGH 25.4.2017, Ra 2016/16/0059).
39 Den Vertrauensschutz einer Person, welche die Sorgfalt eines verständigen Wirtschaftsteilnehmers beachtet hat und alle ihr zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, hat der EuGH etwa im Urteil vom 21. Dezember 2011, Vlaamse Oliemaatschappij NV, C-499/10 , Rn. 26, als Kriterium gesehen, das im Rahmen der Feststellung zu berücksichtigen ist, ob diese Person als Gesamtschuldner der Mehrwertsteuer herangezogen werden kann. Im erwähnten Erkenntnis vom 25. April 2016, Ra 2016/16/0059, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, weshalb diese vom EuGH getroffenen Aussagen noch nicht bei der Heranziehung eines Einfuhrumsatzsteuerschuldners nach § 71a ZollR-DG, sondern im Verfahren über einen Erlass oder eine Erstattung nach § 83 ZollR-DG maßgeblich sind.
40 Im vorliegenden Revisionsfall einer Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer ist somit die Rechtsprechung des EuGH, wonach von einem Wirtschaftsteilnehmer gefordert werden kann, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (vgl. in jüngerer Zeit etwa EuGH 9.2.2017, Euro Tyre BV - Sucursal em Portugal, C-21/16 , Rn. 40, und EuGH 14.6.2017, Santogal M - Comercio e ReparaCão de Automoveis Lda, C-26/16 , Rn. 71), die Richtschnur bei der Anwendung des § 83 ZollR-DG, ob die Abgabenbelastung sich als unbillig nach Lage der Sache erweist und ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt.
41 Das Bundesfinanzgericht führt aus, dass selbst dann, wenn der Revisionswerberin keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könnte, keine Unbilligkeit nach Lage der Sache im Sinn des § 83 ZollR-DG vorläge, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum insofern vergleichbaren § 236 BAO eine sachliche Unbilligkeit unter anderem dann vorliege, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, wovon im Revisionsfall keine Rede sein könne.
42 Der Gesetzgeber hat in § 83 ZollR-DG bei der Umschreibung, was als ein besonderer Fall im Sinn des Art. 239 ZK und des Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO im Falle der sonstigen Eingangsabgaben (darunter die Einfuhrumsatzsteuer) zu verstehen ist, eine eigenständige Regelung getroffen, die sich auch im Wortlaut von derjenigen des § 236 BAO unterscheidet.
43 Beschränkte sich § 83 ZollR-DG in der Stammfassung noch auf einen Verweis auf Art. 239 ZK, so wurde mit der 3. ZollR-DG - Novelle, BGBl. I Nr. 13/1998, der in Art. 239 ZK enthaltene unbestimmte Gesetzesbegriff des "besonderen Falles" für den Bereich der sonstigen Eingangsabgaben näher erläutert (vgl. ErläutRV 916 BlgNR 22. GP 17). Diese Erläuterung wurde durch das Abgabenänderungsgesetz 2003, BGBl. I Nr. 124, geändert und durch das für den Revisionsfall maßgebliche AbgÄG 2005 textlich gestrafft, ohne den Inhalt zu verändern (vgl. die ErläutRV 1187 BlgNR 22. GP 29).
44 Da § 83 ZollR-DG etwa im Falle der Erstattung oder des Erlasses von Einfuhrumsatzsteuer auch der Rechtsprechung des EuGH zum Vertrauensschutz genügen muss, kann der in § 83 ZollR-DG umschriebene Begriff des besonderen Falles (wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist) durch einen Vergleich mit der im Revisionsfall eben nicht anzuwendenden "ähnlichen" Bestimmung des § 236 BAO und durch die dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes - nicht eingeschränkt werden.
45 Die tragende Begründung des Bundesfinanzgerichtes, weshalb es der Revisionswerberin offensichtliche Fahrlässigkeit anlaste, besteht im Vorwurf, die Revisionswerberin habe es unterlassen, jeweils im Zeitpunkt der Anmeldung ein Bestätigungsverfahren nach Art. 28 Abs. 2 UStG durchzuführen. Dieses sei lediglich einige Wochen vor der ersten Anmeldung erfolgt.
46 Gemäß Art. 28 Abs. 2 UStG 1994 in der im Revisionsfall noch maßgeblichen Stammfassung bestätigt das Bundesministerium für Finanzen dem Unternehmer auf Anfrage die Gültigkeit einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer sowie den Namen und die Anschrift der Person, der die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer von einem anderen Mitgliedstaat erteilt wurde.
47 Im vorliegenden Revisionsfall hat das Bundesfinanzgericht festgestellt, dass zu allen Zeitpunkten der jeweiligen Zollanmeldung die in den Anmeldungen angeführte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der A. s.r.o. gültig erteilt gewesen sei und dass diese erst Monate später gelöscht worden sei.
48 Das Unterlassen eines Bestätigungsverfahrens war daher nicht kausal für die behauptete Unkenntnis der Revisionswerberin, dass es sich bei dem in den Anmeldungen angeführten vertretenen Empfänger, der A. s.r.o. in der Slowakei, um einen unredlichen Wirtschaftsteilnehmer handelte. Die Revisionswerberin konnte zu den Zeitpunkten der jeweiligen Anmeldung durch ein Bestätigungsverfahren nicht verhindern, dass sie sich an einem Steuerbetrug des Empfängers beteiligte, denn die früher angefragte und bestätigte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer war für die Person, für die sie angefragt wurde, (noch) wirksam erteilt. Deshalb ist das Unterlassen des Bestätigungsverfahrens zu diesen Zeitpunkten der Revisionswerberin nicht als offensichtliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob im - hier nicht gegebenen - Fall einer Ungültigkeit einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer für jede einzelne Zollanmeldung ein Bestätigungsverfahren einzuleiten ist oder wie lange auf die Richtigkeit einer bestätigten UID-Nummer vertraut werden kann.
49 Das Bundesfinanzgericht führt aus, im Rahmen der Prüfung, ob offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliege, könne außerdem nicht unberücksichtigt bleiben, dass nicht von einer langjährigen unproblematischen Geschäftsbeziehung oder von einem Geschäft mit einem international bekannten Abnehmer gesprochen werden könne. Die Revisionswerberin habe keine Kontrolle über die tatsächlichen Warenbewegungen gehabt und keinen direkten Kontakt mit der von ihr vertretenen Abnehmerin der Waren gepflogen.
50 Diese Umstände können durchaus den Ansatzpunkt bilden, dem Vorwurf offensichtlicher Fahrlässigkeit nachzugehen. Das angefochtene Erkenntnis enthält allerdings keine ausreichenden Feststellungen insbesondere darüber, wie die Geschäftsbeziehung zwischen der Revisionswerberin und der nach ihrer Behauptung von ihr vertretenen A. s.r.o. in der Slowakei zustande gekommen ist, welche Kontakte in welcher Form zwischen der Revisionswerberin und der A. s.r.o. in der Slowakei gepflogen wurden, welche Unterlagen bei den einzelnen Anmeldungen der Revisionswerberin vorgelegen sind, welchen Inhalt die Unterlagen hatten und welche Maßnahmen und Schritte die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang gesetzt hatte. Davon ausgehend fehlen Ausführungen des Bundesfinanzgerichtes, welche sich aus den zu treffenden Feststellungen ergebende konkrete Umstände die Revisionswerberin hätten veranlassen müssen, weitere Schritte zu setzen und welche konkreten Schritte diese gewesen wären, um im Unterbleiben solcher Schritte eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Revisionswerberin annehmen zu dürfen.
51 Da das angefochtene Erkenntnis keine tragfähige Begründung enthält, weshalb im Revisionsfall ein besonderer Fall nach § 83 ZollR-DG erster Fall (Unbilligkeit nach Lage der Sache) entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin nicht vorliegt, erübrigt es sich, das Revisionsvorbringen dahin zu prüfen, ob das Bundesfinanzgericht das Vorliegen eines besonderen Falles nach § 83 ZollR-DG zweiter Fall (ernsthafte Gefährdung der Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung) zu Recht verneint hat.
52 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
53 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-AufwErsV. Das abgewiesene Mehrbegehren betrifft die Umsatzsteuer, deren Ersatz in den zitierten Rechtsvorschriften nicht vorgesehen ist.
Wien, am 21. November 2017
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