VwGH Ra 2017/11/0211

VwGHRa 2017/11/021117.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der Dr. H A in W, vertreten durch Dr. Eike-Bernd Lindinger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 26/5, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. Mai 2017, Zlen. VGW‑162/045/3225/2017‑4, VGW‑162/045/3235/2017, VGW‑162/045/3247/2017, VGW‑162/045/3264/2017, betreffend Zurückweisung von Beschwerden gegen die Vorschreibung von Beiträgen zum Wohlfahrtsfonds (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

VwRallg
ZustG §13 Abs3
ZustG §16
ZustG §16 Abs5
ZustG §17 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017110211.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht Wien Beschwerden der Revisionswerberin gegen vier Erledigungen der belangten Behörde jeweils vom 4. Dezember 2015 (Zl. 11311‑B‑0000875499 betreffend Beitrag zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien für das Jahr 2000, Zl. 11311‑B‑0000875500 betreffend Beitrag zum Wohlfahrtsfonds für das Jahr 2001, Zl. 11311‑B‑0000875503 betreffend Beitrag zum Wohlfahrtsfonds für das Jahr 2005 und Zl. 11311‑B‑0000875545 betreffend Beitrag zum Wohlfahrtsfonds für das Jahr 2009) als verspätet zurück.

2 Unter einem wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

3 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Unter „Revisionspunkte“ wird darin ausgeführt, die Revisionswerberin erachte sich in ihrem subjektiven Recht „auf richtige Anwendung des ZustellG sowie die sich daraus ergebende Berechnung der Rechtsmittelfrist sowie durch Entzug des dadurch nicht gewährten rechtlichen Gehörs im Sinne der Durchführung eines fairen Verfahrens“ verletzt.

4 2.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Diesem Erfordernis wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. die hg. Beschlüsse vom 25. März 2014, Zl. Ra 2014/04/0001 und vom 18. Februar 2015, Zl. Ra 2015/08/0008).

7 2.2. Die §§ 16 und 17 des Zustellgesetzes (ZustG) lauten (auszugsweise):

„Ersatzzustellung

§ 16. (1) Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.

(2) Ersatzempfänger kann jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die ‑ außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt ‑ zur Annahme bereit ist.

...

(5) Eine Ersatzzustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.

 

Hinterlegung

§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

...“

8 2.3.1. Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung folgende Sachverhaltsannahmen zugrunde:

9 Die vier Erledigungen der belangten Behörde hätten richtige und vollständige Rechtsmittelbelehrungen enthalten. Sie seien jeweils am 11. Dezember 2015 einem an der Abgabestelle der Revisionswerberin anwesenden Ersatzempfänger zugestellt worden. Die Beschwerden seien erst am 9. Jänner 2016 eingebracht worden. Über Vorhalt der Verspätung habe die Revisionswerberin ausgeführt, sie wäre am Freitag dem 11. Dezember 2015 nicht an der Abgabestelle gewesen. Die Schriftstücke wären wegen ihrer Abwesenheit von ihrem Ehemann ersatzweise entgegengenommen worden. Die Revisionswerberin habe vorgebracht, sie pendelte wegen der Pflege ihrer Mutter sehr häufig zwischen ihrem (gemeint: deren) Wohnort in Niederösterreich und ihrer Dienststelle in einem näher genannten Spital in Wien, sodass sie öfters einige Tage nicht in ihrer Wohnung in Wien (der besagten Abgabestelle) wäre. Am Freitag dem 11. Dezember 2015 wäre sie nach Dienstschluss direkt von ihrer Dienststelle nach Niederösterreich zu ihrer Mutter gefahren und erst am Montag dem 14. Dezember 2015 von dort zu ihrer Dienststelle nach Wien gependelt und erst nachmittags nach Dienstschluss in ihre Wohnung zurückgekehrt. Dort hätte sie sich erstmals von den Schriftstücken Kenntnis verschaffen können.

10 2.3.2. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, im Hinblick auf die wirksame Ersatzzustellung am 11. Dezember 2015 habe die vierwöchige Beschwerdefrist an diesem Tag begonnen und habe am 8. Jänner 2016 geendet, weshalb die erst am 9. Jänner 2016 eingebrachten Beschwerden verspätet seien. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2015, Zl. Ro 2014/07/0107) müsse, wenn der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt habe, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem Großteil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, eine Zustellung durch Hinterlegung bzw. die Ersatzzustellung als ordnungsgemäß angesehen werden. Diese Voraussetzung sei im Falle der Revisionswerberin erfüllt, es sei ihr für eine rechtzeitige Beschwerdeerhebung noch ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden. Eine Fristverkürzung von drei Tagen wie im vorliegenden Fall müsse als vom Gesetzgeber in Kauf genommen angesehen werden.

11 2.4.1. Die Revision führt zur Zulässigkeit aus, bei der Frage einer Fristverkürzung, insbesondere der über den konkreten Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Grenze (wie viele Tage Verkürzung der Rechtsmittelfrist hinzunehmen sind) und welche als allgemein üblich von einem großen Teil der Bevölkerung hinzunehmen sei, handle es sich um eine erhebliche Rechtsfrage von grundsätzlich weitreichender Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse eine Rechtsmittelfrist relativ ungekürzt zur Verfügung stehen. Im vorliegenden Fall habe die Revisionswerberin erst nach vier Tagen vom Inhalt der Schriftstücke tatsächlich Kenntnis erlangen können. Berücksichtige man dies und die in den Fristlauf fallenden Weihnachtstage, so liege darin eine erhebliche Verkürzung. Im Übrigen lasse das Verwaltungsgericht den letzten Satz des § 16 Abs. 5 ZustG außer Acht, demzufolge die Frist jedenfalls erst mit dem dem Tag der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag als rechtswirksam ausgelöst werde.

12 2.4.2.1. Mit diesem Vorbringen gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die Behandlung der Revision von der Beantwortung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd. Art. 133 Abs. 4 B‑VG abhängt.

13 Eingangs ist hervorzuheben, dass die Revision die Zulässigkeit einer Ersatzzustellung an den Ehemann der Revisionswerberin nicht in Zweifel zieht.

14 Die Revision übersieht zunächst, dass § 16 Abs. 5 letzter Satz ZustG von vornherein nur dann einschlägig sein kann, wenn im Fall einer Zustellung an einen Ersatzempfänger davon auszugehen ist, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen der Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, weil andernfalls die Rechtsmittelfrist eben mit der wirksamen Ersatzzustellung zu laufen beginnt. Ein Verkennen der Rechtslage durch das Verwaltungsgericht ist in dieser Hinsicht mithin nicht ersichtlich.

15 Darüber hinaus misst die Revision zu Unrecht dem Umstand, dass die Ersatzzustellung an einem Freitag erfolgt ist und die Revisionswerberin nach ihrem eigenen Vorbringen am dritten Tag danach, nämlich am folgenden Montag, vom Inhalt der Schriftstücke Kenntnis erhielt, keine Bedeutung zu. Die Revisionswerberin befand sich nämlich in keiner anderen Situation als ein Empfänger, der infolge seiner Berufstätigkeit ein Schriftstück an einem Freitag nicht selbst übernehmen kann, es erst am folgenden Werktag, üblicherweise dem Montag der Folgewoche, bei der Post beheben kann und gleichwohl im Regelfall eine bereits am Freitag durch Hinterlegung bewirkte Zustellung gegen sich gelten lassen muss (vgl. § 17 Abs. 3 ZustG). Vor diesem Hintergrund ist aber nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht mit seiner Auffassung, die Revisionswerberin habe nicht später die Möglichkeit erlangt, in den Besitz der Sendungen zu kommen, als es bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge Berufstätigkeit bei einer Zustellung durch Hinterlegung der Fall gewesen wäre und ihr für eine rechtzeitige Einbringung der Beschwerden noch ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden sei, von der hg. Rechtsprechung ‑ vgl. insbesondere das vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführte hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2015, Zl. Ro 2014/07/0107 mit zahlreichen Nachweisen ‑ abgewichen wäre.

16 2.4.2.2. Es sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt, dass die Revision auch insofern unzulässig ist, als durch die mit dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Zurückweisung der Beschwerden durch das Verwaltungsgericht allenfalls eine Verletzung im Recht auf Sachentscheidung, keinesfalls aber in den von der Revision so genannten, oben wiedergegebenen „Rechten“, die richtigerweise nur Beschwerdegründe darstellen, in Betracht kommt. Auch soweit die Revision vorbringt, den von ihr mit Beschwerden angefochtenen Erledigungen der belangten Behörde fehle es an der Bescheidqualität, lässt sie außer Acht, dass sie durch die Zurückweisung der Beschwerden gegen, wie sie vermeint, Nichtbescheide nicht in Rechten verletzt sein könnte.

17 2.3. Der erkennende Senat hat aus diesen Erwägungen beschlossen, die Revision in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 34 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 17. August 2017

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