VwGH Ra 2017/11/0131

VwGHRa 2017/11/013111.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des R G in M (Italien), vertreten durch Mag. Ferdinand Kalchschmid, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 2-4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 6. April 2017, Zl. LVwG-2017/41/0271-3, betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), den Beschluss gefasst:

Normen

AVRAG 1993 §7b Abs1 Z4;
AVRAG 1993 §7b Abs5;
AVRAG 1993 §7b Abs8 Z3;
AVRAG 1993 §7d Abs1;
AVRAG 1993 §7d Abs4;
AVRAG 1993 §7i Abs4 Z1;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Revisionswerber als in Italien ansässiger Arbeitgeber (bzw. in manchen Fällen als Geschäftsführer einer näher bezeichneten GmbH mit Sitz in Italien und insoweit verantwortliches Organ des Arbeitgebers) schuldig erkannt, er habe am 19. Jänner 2015 hinsichtlich fünf namentlich genannter Arbeitnehmer (Staatsangehörige von Italien und Rumänien) einerseits § 7d Abs. 1 iVm § 7i Abs. 4 Z 1 und andererseits § 7b Abs. 5 und 8 Z 3 AVRAG (hier in der zum angelasteten Tatzeitpunkt maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 94/2014) übertreten, weil er einerseits die Lohnunterlagen und andererseits das gültige Sozialversicherungsdokument A1 (iSd Verordnung EG Nr. 883/04) dieser Arbeitnehmer am Arbeitsort (näher bezeichnete Baustelle in Österreich) nicht bereitgehalten habe. Über den Revisionswerber wurden pro Arbeitnehmer und Deliktsart (somit insgesamt zehn) Geldstrafen zu je EUR 500,-- (sowie Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben.

Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

2 In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht nach durchgeführter Verhandlung fest, dass anlässlich der Kontrolle der Baustelle durch Organe der Finanzpolizei am 19. Jänner 2015 die genannten Unterlagen weder in Papierform noch in elektronischer Form unmittelbar vor Ort bereitgehalten worden seien (eine Übermittlung der Unterlagen an die Finanzpolizei mit E-Mail sei erst nach dem Abschluss der Kontrolle erfolgt). Es hätte sich gegenständlich auch nicht ergeben, dass das Bereithalten der Unterlagen auf der Baustelle unzumutbar gewesen sei, zumal diese, allerdings erst am Tag nach der Kontrolle, in einem Ordner auf die Baustelle gebracht worden seien.

3 Das Verwaltungsgericht bejahte die Erfüllung des objektiven Tatbestandes und verwies zum Einwand der Unionsrechtswidrigkeit der genannten Verpflichtung auf gegenteilige, im hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2015, Zl. Ro 2014/11/0100, erwähnte Judikatur des EuGH.

4 Bei der Strafbemessung sei, da die Übertretung des § 7b (Nichtbereithaltung des Sozialversicherungsdokuments) einen Wiederholungsfall des Revisionswerbers darstelle, von einer gesetzlichen Mindeststrafe von EUR 1.000,-- pro Arbeitnehmer (§ 7b Abs. 8 AVRAG) und beim zweiten Delikt (Nichtbereithaltung der Lohnunterlagen), weil gegenständlich fünf Arbeitnehmer betroffen gewesen seien, von einer Mindeststrafe von EUR 2.000,-- pro Arbeitnehmer (§ 7d Abs. 4 dritter Strafsatz AVRAG) auszugehen. Die gegenständlich von der belangte Behörde mit jeweils EUR 500,-- festgesetzten Geldstrafen lägen daher (ohne dass hier § 20 VStG erfüllt sei) ohnedies deutlich unter den gesetzlichen Mindeststrafen.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Diesem Erfordernis wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. die hg. Beschlüsse vom 25. März 2014, Zl. Ra 2014/04/0001, und vom 18. Februar 2015, Zl. Ra 2015/08/0008).

9 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme:

10 Gemäß § 7b Abs. 5 AVRAG in der genannten Fassung haben Arbeitgeber, sofern für den entsandten Arbeitnehmer in Österreich keine Sozialversicherungspflicht besteht, in dieser Bestimmung näher umschriebene Unterlagen über die Anmeldung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin zur Sozialversicherung am Arbeits(Einsatz)ort im Inland bereitzuhalten oder diese den Organen der Behörden unmittelbar vor Ort in elektronischer Form zugänglich zu machen.

11 Gemäß § 7d Abs. 1 AVRAG haben Arbeitgeber während des Zeitraums der Entsendung den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel (§ 7b Abs. 1 Z 4), Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem entsandten Arbeitnehmer für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten.

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die in Rede stehenden Unterlagen auf der Baustelle weder in Papierform noch in elektronischer Form unmittelbar vor Ort bereitgehalten worden seien. Vielmehr "hätten" die Unterlagen problemlos über das

Internet abgerufen werden können, sie "hätten ... auch auf das

Smartphone des Poliers überspielt werden können".

13 Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im genannten Sinn könnte mit diesem gegen die Beweiswürdigung gerichteten Vorbringen nur dann dargetan werden, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 21. Juli 2016, Zl. Ra 2016/11/0090). Dies ist hier nicht der Fall, weil das Verwaltungsgericht - nach durchgeführter Verhandlung - aufgrund der gewonnenen Aussagen festgestellt hat (Erkenntnis S. 7 f.), ein Laptop der Bauarbeiter sei auf der Baustelle nicht vorhanden gewesen. Die geforderten Unterlagen seien auch nicht vom Büro des Revisionswerbers auf das Smartphone des Poliers übermittelt worden, und dieser habe mangels Passwortes auch keinen direkten Zugang auf die im Büro des Revisionswerbers elektronisch gespeicherten Daten gehabt. Als entscheidungserheblich hat das Verwaltungsgericht folglich festgestellt, die Unterlagen

"wurden ... unmittelbar vor Ort weder in Papierform noch in

elektronischer Form bereitgehalten".

14 Ob, wie in der Revision zur Zulässigkeit vorgebracht wird, die Unterlagen problemlos über das Internet abgerufen oder auf das Smartphone des Poliers überspielt "hätten werden können", kommt es bei der vorzitierten Rechtslage nicht an.

15 Auch mit dem Vorbringen, das angefochtene Erkenntnis verstoße gegen das Unionsrecht, weil dieses einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit entgegen stehe, wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgezeigt. Zum Einen wird nicht behauptet, das Verwaltungsgericht hätte - aufgrund fallbezogener, vom Revisionswerber konkret dargelegter Umstände - annehmen müssen, dass das Bereithalten auf der gegenständlichen Baustelle nicht zumutbar (vgl. dazu § 7b Abs. 5 und § 7d Abs. 1 AVRAG) gewesen sei. Zum Anderen hat der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2017, Zl. Ra 2016/11/0164, die in Rede stehende Bereithaltungspflicht unter ausführlicher Bezugnahme auf die Judikatur des EuGH als unionsrechtskonform qualifiziert (vgl. zur Bereithaltungspflicht speziell betreffend die Sozialversicherungsunterlagen auch das dort zitierte Erkenntnis vom 6. März 2014, Zl. 2013/11/0143).

16 Soweit die Revision für die genannten Übertretungen nur eine (einheitliche) Gesamtstrafe als rechtmäßig ansieht, setzt sie sich über den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 7b Abs. 8 und des § 7i Abs. 4 AVRAG ("für jede/n Arbeitnehmer/in") hinweg.

17 Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 11. Oktober 2017

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