VwGH Ra 2017/08/0111

VwGHRa 2017/08/011117.11.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des H Y in W, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. August 2017, Zl. W216 2134020- 1/8E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Dresdner Straße), zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §6;
MRK Art6;
VwGVG 2014 §24 Abs4;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die Zuerkennung der Notstandshilfe an den Revisionswerber vom 20. August 2014 bis 8. November 2014 sowie vom 15. November 2014 bis zum 31. März 2015 gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und von ihm gemäß § 25 Abs. 1 AlVG EUR 4.370,90 zurückgefordert. Der Revisionswerber sei in den genannten Zeiträumen nicht arbeitslos, sondern als Taxilenker vollversicherungspflichtig beschäftigt gewesen.

 

2 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

3 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

4 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

5 Das Verwaltungsgericht durfte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrages von der Verhandlung nur absehen, wenn die Akten hätten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse, und wenn einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegengestanden wären.

6 Bei Leistungen bzw. Rückforderungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um "civil rights" im Sinn des Art. 6 EMRK (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2016, Ra 2016/08/0142, mwN).

7 Das Verwaltungsgericht war bei den Feststellungen über den strittigen Anspruchslohn (§ 12 Abs. 3 lit. a iVm Abs. 6 lit. a AlVG) weder an die Gebietskrankenkassenmeldungen des Dienstgebers noch an die beim Hauptverband gespeicherten Daten gebunden.

8 Es gehört gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen - hier über den Anspruchslohn und über die Erstattung einer Meldung - zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer (bei Geltendmachung von "civil rights" in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden) mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. November 2016, Ra 2016/08/0089, mwN). Auf die Relevanz des Verfahrensmangels, der in der Unterlassung der Durchführung einer nach Art. 6 EMRK gebotenen mündlichen Verhandlung liegt, kommt es nicht an (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. November 2016, Ra 2016/05/0014, und vom 2. März 2017, Ra 2017/08/0004, jeweils mwN).

9 Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

10 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. November 2017

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