Normen
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
BDG 1979 §15b Abs3;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RO2016120024.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem im Beschwerdeverfahren ergangenen angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der belangten Behörde, mit dem über Antrag des Revisionswerbers vom 29. Oktober 2017 gemäß § 15b Abs. 1 bis 3 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) festgestellt worden war, dass er im Zeitraum von dem der Vollendung des 40. Lebensjahrs folgenden Monatsersten bis zu dem dem Einlangen des Antrags folgenden Monatsletzten, das sei der Zeitraum vom 1. März 1998 bis zum 31. Oktober 2015, 92 Schwerarbeitsmonate aufweise. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für zulässig.
2 In seinem - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung -
erlassenen Erkenntnis stellte das Bundesverwaltungsgericht folgenden "Verfahrensgang" als "Sachverhalt" fest:
"1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, Chefinspektor bei der Landesverkehrsabteilung Salzburg, ersuchte mit Schreiben vom 29.10.2015 um bescheidmäßige Festsetzung der Anzahl seiner Schwerarbeitsmonate.
2. Mit Schreiben vom 04.11.2015 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ihre Ermittlungsergebnisse - er weise 92 Schwerarbeitsmonate auf - zur Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs mit.
3. Nach Ablauf dieser Frist und ohne Eingang einer etwaigen Stellungnahme durch den Beschwerdeführer stellte die belangte Behörde mit dem im Spruch genannten und nun bekämpften Bescheid fest, der Beschwerdeführer weise im Zeitraum ab Vollendung seines 40. Lebensjahres folgenden Monatsersten bis zum Einlangen seines Antrages folgenden Monatsletzten, also vom 01.03.1998 bis zum 31.10.2015, 92 Schwerarbeitsmonate auf.
4. Mit am 28.12.2015 bei der Behörde eingelangtem Schreiben erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und führte zusammenfassend begründend aus, seine Arbeit bestehe seit 2003 nicht aus Büroangelegenheiten, sondern mehrheitlich in Präventionsarbeit, welche hauptsächlich aus Vortragstätigkeiten bestehe, Verkehrserziehung sowie allgemeinen Verkehrsangelegenheiten im Außendienst. Darüber hinaus führe er Verkehrsverhandlungen im gesamten Bundesland durch, dies nehme mehrere Tage Außendienst in Anspruch. Die Präventionsarbeit mit Schülern bei Fahrradworkshops, Mopedworkshops, Ausbildungen von Schulverkehrserziehern und Schülerlotsen finde auf öffentlichen Verkehrsflächen statt, deshalb handle es sich um wachespezifischen Außendienst. An Wochenenden würden Tätigkeiten wie Zivilstreife oder Verkehrsleitungen durchgeführt. Präventionsarbeit werde bei anderen Organisationseinheiten der LPD als Schwerarbeit anerkannt, daher weise er auf das Prinzip der Gleichbehandlung hin.
5. Mit Schreiben vom 10.02.2016 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt bezughabendem Akt - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo das Konvolut am 17.02.2016 einlangte."
3 Beweiswürdigend erklärte das Verwaltungsgericht, die Feststellungen ergäben sich aus dem Verwaltungs- und dem Gerichtsakt.
4 Rechtlich führte es - nach Darstellung maßgeblicher gesetzlicher Bestimmungen - in der Sache aus, dass im gegenständlichen Fall die Anzahl der Schwerarbeitsmonate strittig sei. Der Revisionswerber habe (erst) in seiner Beschwerde in zumindest quantitativer Hinsicht unsubstantiiert ausgeführt, sein Tätigkeitsbereich bestehe seit 2003 in der Abteilung Schulung sowie allgemeine Verkehrsangelegenheiten nicht aus Büroangelegenheiten, sondern mehrheitlich aus Präventionsarbeit, Verkehrserziehung sowie allgemeinen Verkehrsangelegenheiten im Außendienst. Zusammenfassend nehme er an Symposien und Projekten teil, koordiniere landesweite Ausbildungen von Schülerlotsen und Schulwegpolizisten und halte als Präventionsarbeit Schulungen und Vorträge. Er führe diverse Verkehrsverhandlungen im gesamten Bundesland durch, welche monatlich mehrere Tage Außendienst in Anspruch nähmen. Der Revisionswerber habe sich im behördlichen Verfahren zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme nicht geäußert und erst in der Beschwerde vorgebracht, er sei der Meinung, Schwerarbeit zu verrichten, ohne jedoch die von ihm aufgelisteten Tätigkeiten substantiiert zu quantifizieren. Jedenfalls sei aus den unsubstantiierten Wendungen "mehrere Tage" bzw. "an Wochenenden" nicht zwingend davon auszugehen, dass die belastenden Tätigkeiten das Ausmaß von 15 Kalendertagen pro Monat überschritten. Die Präventionsarbeit, die laut Angaben des Revisionswerbers großteils aus Schulungen und Vortragstätigkeiten bestehe, sei nicht als Schwerarbeit zu qualifizieren. Die Vortrags- und Verkehrsschulungstätigkeit sei weder als Tätigkeit "mit erhöhter Gefährdung", bei der "das tatsächliche regelmäßige Risiko für Leib und Leben im Einsatz die Grenze von allgemein akzeptierter Gefahr in erheblichem Ausmaß übersteigt" noch nach allgemeiner Lebenserfahrung als "schwere körperliche Arbeit" (mit Verbrauch von mehr als 2.000 Arbeitskalorien auf acht Arbeitsstunden) zu werten. Ebenfalls nach allgemeiner Lebenserfahrung erfolgten Vortrags- und Schulungstätigkeiten auch nicht im Schicht- oder Wechseldienst, während der Nacht, regelmäßig unter Hitze oder Kälte im Sinne des Nachtschwerarbeitsgesetzes oder unter chemischen und physikalischen Einflüssen. Gegenteiliges sei vom Revisionswerber jedenfalls nicht behauptet worden. Somit könnten nur die von ihm angeführten Wochenenddienste bei der Zivilstreife oder Verkehrsleitung zumindest theoretisch für die Prüfung des Vorliegens von Schwerarbeitsmonaten in Betracht kommen. Ungeachtet der Frage, ob hier "das tatsächliche regelmäßige Risiko für Leib und Leben im Einsatz die Grenze von allgemein akzeptierter Gefahr in erheblichem Ausmaß übersteigt", erreiche der Revisionswerber selbst bei Heranziehung zu sämtlichen Wochenenddiensten im Monat höchstens die Summe von acht bis zehn Tagen in einem Monat und somit nicht den in den anzuwendenden Rechtsgrundlagen festgelegten Wert von 15 Kalendertagen. Dem Argument, dass Präventionsarbeit bei anderen Organisationseinheiten als Schwerarbeit bzw. als wachespezifischer Außendienst anerkannt werde, hielt das Verwaltungsgericht entgegen, dass der Revisionswerber nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts daraus keinen Anspruch auf gleiches Fehlverhalten für sich geltend machen könne.
5 Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine, weil der Sachverhalt nach einem grundsätzlich ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festgestellt und der Sachverhaltsfeststellung in der Beschwerde nicht substantiiert entgegen getreten worden sei. Weder sei der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig gewesen, noch in entscheidenden Punkten als nicht richtig erschienen. Es sei daher ausschließlich über eine Rechtsfrage zu erkennen gewesen. Auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs könne eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität sei. Der Revisionswerber habe keinen Antrag auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gestellt und die Durchführung einer solchen sei von Amts wegen nicht erforderlich.
6 In den Entscheidungsgründen begründete das Bundesverwaltungsgericht eine "Unzulässigkeit der Revision" mit dem Fehlen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende Revision. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
8 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Klärung des Sachverhalts verpflichtet gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht habe selbst ausgeführt, dass die vom Revisionswerber angeführten Tätigkeiten unsubstantiiert gewesen seien. Folglich hätte es einer Erörterung der relevanten Tätigkeit bedurft, weil diese Grundlage der Entscheidung sei.
9 Zudem wird nach den Revisionsausführungen eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin gesehen, ob Präventionsarbeit, Verkehrserziehung sowie allgemeine Verkehrsangelegenheiten im uniformierten Außendienst als "wachespezifischer Außendienst zur Aufrechterhaltung der öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit" zu qualifizieren sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Das Verwaltungsgericht erklärte im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig, erachtete die Revision in seiner Begründung jedoch für unzulässig. Wie in der Revision zutreffend ausführt wird, ist in einem solchen Fall bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über die Zulässigkeit der Revision (gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof an den diesbezüglichen Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden) vom Vorliegen einer "ordentlichen" Revision auszugehen (vgl. das Erkenntnis vom 9. November 2016, Ro 2015/11/0015, unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063).
11 Die vorliegende Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) und die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt ist "in der Sache selbst" zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtssache abspricht, wobei sie entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zur entscheiden war (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 30. Juni 2016, Ra 2016/11/0044, sowie vom 2. März 2017, Ra 2015/08/0175). Ferner wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs das Verwaltungsgericht den Begründungserfordernissen des § 29 Abs. 1 VwGVG nur dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (siehe etwa das Erkenntnis vom 28. Juni 2017, Ra 2016/09/0091).
13 Im vorliegenden Fall lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis bereits nicht entnehmen, weshalb das Verwaltungsgericht zur Schlussfolgerung gelangte, dass 92 Schwerarbeitsmonate des Revisionswerbers im relevanten Zeitraum vorlägen (siehe zur Vergütung für wachespezifische Belastungen gemäß § 83 Abs. 1 Gehaltsgesetz das Erkenntnis vom 29. März 2012, 2008/12/0118, mwN). Schon dieser Begründungsmangel verhindert eine Überprüfung der Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof und stellt daher einen relevanten Verfahrensmangel dar.
14 Darüber hinaus ist folgendes auszuführen: Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass dienstrechtliche Streitigkeiten öffentlich Bediensteter unter den Begriff der "civil rights" im Verständnis des Art. 6 Abs. 1 MRK fallen, insoweit derartige Streitigkeiten durch die innerstaatliche Rechtsordnung geregelte, subjektive Rechte oder Pflichten des jeweils betroffenen Bediensteten zum Gegenstand haben (vgl. etwa das Erkenntnis vom 9. September 2016, Ro 2015/12/0025, mwN, sowie das zum Entfall von Bezügen gemäß § 12c Abs. 1 Z 2 Gehaltsgesetz 1956 ergangene Erkenntnis vom 21. Dezember 2016, Ra 2016/12/0067; siehe auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Dezember 2007, B 639/07, VfSlg. 18.309/2007). Dass die hier strittige Feststellung von Schwerarbeitsmonaten nach § 15b Abs. 3 BDG 1979 eine solche dienstrechtliche Streitigkeit darstellt, kann nicht weiter zweifelhaft sein.
15 Im vorliegenden Fall lag kein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vor. Der zu diesem Zeitpunkt anwaltlich nicht vertretene Revisionswerber hat in seiner Beschwerde zwar nicht ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, jedoch in der von ihm selbst eingebrachten Beschwerde nicht als unsubstantiiert zu bezeichnendes Sachverhaltsvorbringen erstattet und die Aufnahme eines Zeugenbeweises angeboten.
16 Wie das Verwaltungsgericht selbst zutreffend ausführte, war im vorliegenden Fall auch die Anzahl der Schwerarbeitsmonate strittig. Dies betrifft jedoch (auch) eine Tatsachen- und nicht (bloß) eine Rechtsfrage, bedarf es dazu doch konkreter Feststellungen hinsichtlich der tatsächlichen Verhältnisse und kommt es nicht bloß auf den nach den Organisationsnormen (Arbeitsplatzbeschreibung) gesollten Zustand an. Es hätte somit auch im vorliegenden Fall zunächst konkreter Feststellungen bedurft, welche Tätigkeiten der Revisionswerber in welchem Ausmaß erbrachte. So ist nach wie vor unklar, was unter den vom Revisionswerber angeführten "allgemeinen Verkehrsangelegenheiten im Außendienst" zu subsumieren ist, in welchem Umfang diese Tätigkeiten tatsächlich anfielen und ob sie einen "wachespezifischen Außendienst zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit" darstellen. Erst wenn hiezu konkrete Feststellungen vorliegen, kann eine rechtliche Beurteilung im Hinblick auf die relevante Einordnung als Schwerarbeitsmonate erfolgen.
17 Es kann daher dem Revisionswerber nicht entgegen getreten werden, wenn er argumentiert, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten war.
18 Auf die weiter aufgeworfene Zulässigkeitsfrage brauchte in diesem Verfahrensstadium mangels konkreter Feststellungen der Tätigkeiten des Revisionswerbers und ihres Ausmaßes noch nicht eingegangen zu werden, weil von ihrer Beantwortung das Schicksal der Revision nicht abhängt.
19 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. September 2017
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